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STEUERFLUCHT Das Milliardenspiel

Kurz vor Jahresschluß nutzen viele Spitzenverdiener die Vorteile des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes. Sie beteiligen sich an Hotelbauten in Spanien und gehen dabei große Risiken ein.
aus DER SPIEGEL 53/1971

In Zahara de los Atunes, einem armseligen Fischernest »an der spanischen Atlantikküste betete früher der Pfarrer: »Herr, gib unseren Leuten einen guten Thunfischfang.« Vor Weihnachten änderte er seine Fürbitte: »Herr, sei uns gnädig und laß auf unserem Strand große Hotels wachsen.«

Der Alkalde des tristen Dorfes verfolgt, gespannt wie beim Stierkampf, die Planierarbeiten auf einer Großbaustelle in Atlanterra, einer kleinen zurückgebliebenen Siedlung, wo sich schweizerische und deutsche Grundstücksspekulanten vergeblich bemühen, Neuland für Touristen zu erschließen. In acht Jahren entstanden nur 30 kleine Landhäuser beim Fischerdorf. --

»Zugegeben, der Ort liegt am Ende der Welt«, bekannte der Madrider Anwalt Guillermo Frühbeck, der über 100 deutsche Firmen in Spanien vertritt, neuerdings auch die Ibero Finanz GmbH & Co. KG in Münster- Ihr Geschäftsführer, Architekt A. F. Rotter aus Lüdinghausen, will in diese Einöde moderne Zivilisation importieren und zwei gehobene Schlafhäuser bauen -- eine mit fünf Sternen.

Die Westfalenbank in Bochum, die schon für eine Anzahl anderer Spanien-Objekte Handlangerdienste leistete, hilft Geld beschaffen. Bis Weihnachten konnte sie etwa 35 Millionen Mark für die Sandwüste bei großen deutschen Steuerzahlern locker machen. »Es zeichneten vor allem Ärzte, Zahnärzte und Apotheker Kommanditanteile und Stille Beteiligungen, verriet Westfalenbank-Sachbearbeiter Götz Schulz.

Wie bei Zahara de los Atunes sind an Hunderten von anderen Plätzen pfiffige Makler, Spekulanten und Grundstückswucherer am Werk, unerfahrene deutsche Großverdiener zu einem Engagement in der überfüllten spanischen Hotelbranche zu überreden. Selbst Neckermann handelt mit Kommanditbeteiligungen an einem Grandhotel, das in Barcelona an der Avenida del Generalissimo Franco entstehen und von Hilton bewirtschaftet werden soll.

Die Phantasie der Organisatoren kennt keine Grenzen. Der Düsseldorfer Anwalt und Chef der Grundstücks-Entwicklungs- und Anlage-Gesellschaft (GEA) Georg W. Engler erwarb durch seine spanische Tochtergesellschaft 11,3 Millionen Quadratmeter Land auf den Kanarischen Inseln, darunter die menschenleere kleine Vulkaninsel Lobos, von der er in seinen Prospekten schwärmt: »Diese Insel stellt ein touristisches Juwel dar.«

Der Düsseldorfer will auf den Kanaren Hotels errichten und rechnete vor, daß man je Zimmer täglich 120 Mark einnehmen könnte. Gelernte Fachleute lachen darüber und halten das Lobos-Unternehmen für ein Abenteuer.

Von den großen Manipulations-Gewinnen des Milliardenspiels angelockt, mischt auch der ehemalige Roulett-Künstler Horst Günther Kuhn beim Projektaufreißen mit. Vor 17 Jahren zog er mit seinem ziegenbärtigen Freund Eitel Benno Winkel durch die internationalen Spielsäle. Beide schröpften damals mittels eines ausgeklügelten Systems die Spielkasinos.

Heute besucht Kuhn kein Kasino mehr, sondern läßt auf der portugiesischen Ferieninsel Madeira eine Superspielbank errichten. Als Architekten gewann er den Erbauer Brasilias, Oscar Niemeyer. »Das alte Kasino ist zu klein«, so erläuterte Kuhn in Hamburg seine Pläne. »Es wird abgerissen, und dafür entsteht nun das neue, zusammen mit einem Luxushotel und einer Kongreßhalle.«

Die Gesamtanlage soll 66,5 Millionen Mark kosten. Über 100 deutsche Spitzenverdiener vertrauten dem umgesattelten Systemspieler bisher ihr überschüssiges Geld an. »darunter auch welche mit sehr bekannten Namen«, sagt Kuhn. Er will beschleunigt bauen, bevor es in Bonn heißt: »Rien ne va plus.«

Alle Projektemacher spekulieren mit Erfolg auf das Unbehagen der Mittelständler an den Steuerreformplänen der Bundesregierung und am Fiskus überhaupt. »Die meisten großen Steuerzahler. vor allem aus den freien Berufen, handeln wie in Torschlußpanik«. stellte der Hamburger Kapitalanlage-Experte Rolf D. Romatowski von der Beratergemeinschaft Alster fest. »Es kommt ihnen im Augenblick nur darauf an. möglichst viel Geld wegzudrücken und der Einkommensteuer für 1971 zu entziehen.«

Nach Prüfung Dutzender von Projekten behauptet Romatowski: »70 bis 80 Prozent sind faule Eier.« Er selbst offeriert ein fast fertiges Hotel »El Flamenco« im Golf von Cádiz, an einer sauberen Küste, wo keine Fäkalien wie bei Torremolinos ins Meer fließen. Die Aufschließung wird von Schweizer Banken finanziert. Initiatoren sind der Münchner Reiseveranstalter Herbert Axmann und mehrere andere Touristikunternehmer. Da der ADAC sich bereits einen großen Teil der Hotelbetten für seinen Reisedienst vorbestellt hat, ist eine rentable Ausnutzung gesichert.

Eigentlich sollte die Steuerflucht nach Spanien längst überwunden sein, denn im Dezember vergangenen Jahres versuchte die Bundesregierung diese Bewegung durch eine Gesetzesänderung zu stoppen. In aller Eile wurde verfügt: Die Sonderabschreibungen dürfen bei den Kommanditgesellschaften nicht mehr zur Entstehung eines Verlustes führen.

Ähnlich wie bei schwer verschuldeten Gewerbebauten in Berlin oder im westdeutschen Zonengrenzgebiet« bei Frachtschiffen oder bei Charterjets. waren jedoch die hohen Abschreibungen das Reizvollste an der Spanientour. Wer zum Beispiel mit 100 000 Mark bei einer Hotel-Kommanditgesellschaft einstieg, erhielt eine sogenannte Verlustzuweisung, die beim Finanzamt zu einer Steuerersparnis von etwa 90 000 Mark verhalf.

Da bereits viele Gesellschaften unter den alten Bedingungen in Spanien rechtsverbindliche Verpflichtungen wie Grundstücksbeschaffungs- und Bauverträge eingegangen waren, ließ sich die Regierung erweichen. Ausnahmen zu genehmigen. Diese Großzügigkeit wurde von vielen Sonderabschreibungsexperten rücksichtslos ausgenutzt.

Es fiel ihnen nicht schwer. Verträge mit spanischen Partnern zurückzudatieren oder zu fingieren. um nachzuweisen, daß eine rechtsverbindliche Verpflichtung zur Investition am 17. 12. 1970, dem Stichtag der Stoppverordnung, bereits bestanden habe.

Wegen dieser Manipulationen hat sich 1971 nichts an der Massenflucht steuerpflichtiger Einkommen nach Spanien geändert. Mit Milliardenbeträgen wird dort ein Bauboom angeheizt, der die Grenzen vernünftiger Investitionen bereits überschritten hat.

An der ganzen Mittelmeerküste sowie auf den Balearen und den Kanarischen Inseln sprießen Hotelbauten wie Spargel. Im Manhattan der Hotelhochhäuser und Appartementtürme, an der Costa del Sol, herrscht bereits ein Überangebot an Touristenbetten.

Freilich prüfen die Finanzämter jedes einzelne »Ausnahmeprojekt«, bevor sie ihre Zustimmung für die sogenannte Verlustzuweisung geben. Deshalb steht in den meisten bescheiden der Satz: »Diese vorläufige Zusage wird gegenstandslos, sobald festgestellt wird, daß die tatsächlichen Verhältnisse eine andere Beurteilung erfordern.«

Das Bundesfinanzministerium schickte heimlich kriminalistisch begabte Beamte ins Land Francos« die dort besonders fragwürdige Investitionsprojekte und die »rechtsverbindlichen Verpflichtungen« röntgen sollen. So geht zur Zeit der Kampf im Steuerflucht-Dschungel weiter, der für manchen Kapitalanleger mit bösen Überraschungen enden kann, wenn ihm schließlich die Steuervorteile aberkannt werden.

Die Anstifter dieses makabren Milliardenspiels kümmert das wenig. Sie haben nicht nur ihre Provisionsgebühren abkassiert, sondern durch Grundstückswucher« Finanzmanipulationen und hohe Vergütungen für die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaften kräftig verdient.

Die Spanientour bietet aber noch wegen einer anderen Klippe Verlustgefahren. Alle Investitionsbauten müssen bis Dezember 1973 fertig sein. Dann läuft das verungüuckte Entwicklungshilfe-Steuergesetz endlich aus.

»Die meisten Hotelobjekte werden platzen, weil das nötige Kapital bis zu diesem Termin nicht zusammenkommt oder die Spanier mit ihren Baukapazitäten den Boom nicht bewältigen«, fürchtet der Aufsichtsrat der Germania Finanzberatung. Raimund Herden, in München: »Dann müssen die Steuerflüchtlinge ihre Spanien-Gelder voll versteuern. Im unvernünftigsten Fall werden sie es sogar verlieren, weil die Organisatoren es längst verbraten haben oder nicht zurückzahlen können. denn Unsummen sind in spanischen Kanälen versickert.«

Um den Geldstrom in andere Bahnen zu lenken, brachte die Westdeutsche Immobilienfonds Treuhand AG (Witag) in Köln eine neue Nuance in das Spiel. Sie arbeitet still für die größte israelische Investitionsgesellschaft »Israel Corporation Ltd«, die von Frankreichs reichstem Kapitalisten, Baron Edmond de Rothschild, geleitet wird und Riesenbeträge für Industriebauten, Hotels und Transportunternehmen sucht. Wer sich mit 100 000 Mark an dieser Gesellschaft beteiligt, spart in der Bundesrepublik rund 80 000 Mark Steuern.

Bisher konnten die Kölner fast 100 Millionen Mark aus deutschen Privatschatullen nach Israel transferieren. Aber ihre Geschäftsführer reden nicht gern darüber, denn in Bonn haben sich bereits die diplomatischen Vertretungen arabischer Länder darüber beklagt, daß im Orient nur ihr Erzfeind Nutzen aus dem Kuriositätenkabinett der deutschen Steuergesetzgebung ziehen kann. Denn auch Jordanien, Libanon und Algerien wollen von dem Milliardenspiel profitieren, solange es noch im Gange ist.

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