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WIRTSCHAFT Das »Syndikat": Leo und die Burda-Brüder

Der Kampf der Medienriesen um das Presse-Imperium Axel Springer Filmgroßhändler Leo Kirch greift nach dem Erbe Axel Cäsar Springers. Der als »zweiter Hugenberg« geschmähte Medienmulti landete einen Coup: Zum Entsetzen der Verlegererben verbündete er sich mit bislang verfeindeten Teilhabern, den Brüdern Franz und Frieder Burda. Im Pool gieren sie nach der Konzern-Macht. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Friede Springer hatte seit Wochen schon ein ungutes Gefühl. Die Verlegerwitwe war Ende letzten Jahres mit einem Partner des Axel Springer Verlags, dem Münchner Filmgrossisten Leo Kirch, zusammen-, aneinander- und wieder auseinandergeraten. Nach vielen Gesprächen empfand sie die plötzlich einsetzende »Funkstille« als bedrohlich. Frau Springer: »Da kommt noch mal ein Hammer.«

Jetzt hat Leo Kirch zugeschlagen.

Seit Dienstag letzter Woche kennen die Erbin und ihre Berater den Text eines Vertrages, den Leo Kirch Anfang März insgeheim mit zwei anderen Springer-Teilhabern abgeschlossen hat - den badischen Verlegersöhnen Franz und Frieder Burda. »Erschreckt« mußte Friede Springer zur Kenntnis nehmen, daß sich die Burda-Brüder, vermeintliche Freunde und langjährige Partner, den früheren »Erzfeind zum Verbündeten genommen« hatten.

»Über die Burdas bin ich grenzenlos enttäuscht«, klagte die Springer-Witwe letzte Woche im Hamburger Springer-Hochhaus, »ich hätte nie für möglich gehalten, daß sie diesen Schwenk machen.« Dem listigen Leo und seinen Leuten hatte sie schon länger nicht mehr getraut: »Es geht ihnen um die Macht, die sie übernehmen wollen.«

Diesem Ziel ist der undurchsichtige Filmgroßhändler aus dem Fränkischen, der 600 Mitarbeiter beschäftigt und 600 Millionen Mark Umsatz macht, ein großes Stück nähergekommen. Ausgerechnet Frieder Burda, 51, der noch vor kurzem öffentlich gegen »diesen Narren« zu Felde zog und Friede Springer warnte, sie dürfe sich von ihm nicht »blenden lassen«, wandte sich nun dem angefeindeten Rivalen zu. Zusammen mit seinem Bruder Franz, 55, verpflichtete sich der badische Druckerei- und Verlagsteilhaber am 3. März gegenüber Leo Kirch in einem Pool-Vertrag, in allen wesentlichen Unternehmensfragen bei Springer gemeinsam zu handeln.

Kirch und die Burdas bilden ein Gremium, in dem die »Beschlußgegenstände« der Hauptversammlung und des Aufsichtsrates vorher beiderseits aufeinander abgestimmt werden. Zu den abstimmungspflichtigen Entscheidungen gehören Wahlvorschläge für den Aufsichtsrat und die Bestellung des Vorstandes, Geschäftsführungsfragen der Axel Springer AG und ihrer wesentlichen Beteiligungsgesellschaften.

Das Abstimmungsgremium tritt jeweils vor Hauptversammlungen und Aufsichtsratssitzungen zusammen.

Die Konferenz, »bis zu zwei Vertreter« von beiden Seiten, muß sich laut Vertrag um Einigkeit bemühen. Kommt kein Konsens zustande, sind die Kirch- und die Burda-Vertreter bei Springer verpflichtet, eine Beschlußfassung in den Konzernorganen zu verhindern. Verstöße gegen die Absprachen werden rigoros unter Strafe gestellt: zehn Millionen Mark Vertragsstrafe »für jeden Fall der Zuwiderhandlung«.

Damit haben die beiden Burda-Buben, die sich immer auf die Wahrung von Axel Springers verlegerischem Erbe beriefen, den Springer-Verlag an Leo Kirch und dessen Geschäftspolitik ausgeliefert. Selbst wenn sich Kirch in strittigen Fragen mit ihnen nicht einigt, kann er im Pool sein Veto einlegen. In solchen Fällen sind Unternehmensentscheidungen bei Springer blockiert. Denn Kirch und Burda verfügen zusammen über eine Aktienmehrheit von mehr als 52 Prozent.

Nach dem Bekanntwerden der neuen Springer-Ehe ohne die Springers hüpfte der Aktienkurs des Verlagskonzerns vorübergehend um 60 Mark auf 575 Mark. Leo Kirch deutete den Börsenschub zufrieden als das Ende »einer Lähmung auf der Eigentümerseite«.

Ganz anders die vehemente Reaktion der Nachlaßverwalter um Friede Springer: Axel Springers Testamentsvollstrecker kündigten an, sie würden »diesen Versuch eines in Deutschland bisher unbekannten unfriendly take-over« verhindern, weil er »rechtswidrig« sei. Das neue »Syndikat« verstoße gegen das Vermächtnis Axel Springers, die Unabhängigkeit des Verlags und seiner Blätter zu wahren.

Der Machtkampf um Deutschlands größtes Zeitungshaus ist voll entbrannt. Leo Kirch hat sein Vorhaben, das deutsche Privatfernsehen und den mächtigsten Pressekonzern gleich im Paket in den Griff zu bekommen, fast erreicht.

Das war sein heimliches Ziel, seit er 1985 mit zehn Prozent bei Springer eingestiegen war. Damals wurden die Aktien allerdings vinkuliert, um Machtballungen zu vermeiden. Sie sind also an den Inhaber gebunden, ihr Verkauf an andere muß von Vorstand und Aufsichtsrat genehmigt werden. An dieser Bestimmung scheiterte bisher die Übertragung von weiteren 16,1 Prozent auf Kirch, die seine Hausbank durch Treuhänder ankaufen ließ. In der Hauptversammlung stimmen die Aktienverwalter für Kirch.

Deshalb erreicht er nun die Stimmenmehrheit mit den Burdas, die mit ihrem Bruder Hubert von Axel Springer als Erben ausersehen waren. Vor Springers Tod, im September 1985, hatte das Bundeskartellamt die Mehrheitsübernahme der Burdas verhindert, sie mußten sich mit 26 Prozent begnügen.

Gelingt es Kirch, den Druckkoloß Springer in einen »Medienverbund« mit seinen eigenen elektronischen Geschäftszweigen einzubinden, könnte nach Ansicht der »Süddeutschen Zeitung« diese Doppelrolle im Fernseh- und Pressegeschäft in ihrer Machtfülle durchaus an »jene des Verlegers Alfred Hugenberg gegen Ende der Weimarer Republik« erinnern. Kirch hofft, über die Meinungsmacht der Springer-Presse den Aufstieg des Privatfernsehens »zu beschleunigen«.

Der konservative Katholik ist seit langem von der Idee eines Multi-Medienverbundes besessen, in dem sich Massenblätter wie »Bild« (4,8 Millionen Auflage) und »Hörzu« (3,2 Millionen) mit marktbeherrschenden Lokalblättern und dem Privatfernsehen zum Nutzen einer konservativen Regierung und gleichermaßen zum eigenen finanziellen Wohl verbinden. Die Bedeutung des umkämpften Konzerns hat auch Frieder Burda erkannt: »Wer die 'Bild'-Zeitung hat, hat die Macht im Land.«

Anders als die hanseatische Verlegerwitwe Friede Springer oder die badischen Burda-Sprößlinge Frieder und Franz ist der fränkische Winzersohn Leo Kirch, 61, ein richtiger Selfmademan. Schon als Werkstudent in Erlangen war ihm der Handel lieber als die Handarbeit. Bei seinem ersten größeren Geschäft, so erinnern sich Kommilitonen, importierte er Feldstecher aus der DDR und verkaufte sie nach Spanien weiter.

Bald nach dem erfolgreichen Ost-West-Handel mit Fernrohren wandte sich Kirch mit geliehenen 20 000 Mark dem Fernsehen zu. Einer seiner frühen Erfolge war der Fellini-Film »La Strada«, dessen Hauptdarsteller Anthony Quinn und Giulietta Masina das deutsche Publikum viele Male zu Tränen rührten.

Um die Vorteile seiner Filmgeschäfte zu erkennen, hätte sich der Jung-Franke

aus Fahr bei Volkach freilich sein Mathematik-Studium ersparen können. Denn die Rechnung war allemal ganz einfach. 1959 zum Beispiel erwarb Kirch für 3000 Dollar die deutschen Rechte an dem Humphrey-Bogart-Klassiker »Casablanca« und verlieh ihn zu Standard-Preisen zwischen 126 000 und 250 000 Mark an das Fernsehen weiter, das ihn inzwischen 14mal ausgestrahlt hat.

Zupaß kamen dem Münchner Zelluloidgroßhändler in den Anfangsjahren auch die Zaghaftigkeit und der Bürokratismus der Fernsehmacher in den öffentlich-rechtlichen TV-Anstalten, die nicht über die Enge ihres Jahresetats hinauszublicken wagten und sich lieber portionsweise aus dem Münchner Filmantiquariat versorgten.

Kirch revanchierte sich bei seinen Partnern in den Fernsehhäusern mit vielerlei Aufmerksamkeiten. Er besorgte Eintrittskarten für die Bayreuther Festspiele, gewichtigere Partner kamen auch mal in den Genuß eines Abendessens mit Karajan in Salzburg.

Wer dann freilich immer noch nicht richtig spurte und spulte, der bekam den altfränkischen Zorn des Film-Fürsten zu spüren. Sich mit Kirch anzulegen, so eine frühe Erfahrung des Filmemachers Hans W. Geissendörfer, kam »einem Selbstmord gleich«.

Kirch mied von jeher die Öffentlichkeit. Nur selten tauchte er in den Klatschspalten der Münchner Abendblätter auf, schon gar nicht im Zusammenhang mit den ortsüblichen Gelagen und Amouren. Zurückhaltung gebot ihm wohl auch eine schwere Zuckerkrankheit, die den Filmhändler halb blind gemacht hat.

Auch geschäftlich entwickelte sich Kirch zu einem Meister der Mimikry, einem »Howard Hughes of Germany« ("Abendzeitung"). Als die ARD mit eigenen Großeinkäufen in den USA Kirch ins Geschäft pfuschte und das ZDF mit Abnahmequoten die Umsatzanteile des Münchners zu dämpfen versuchte, verstand es Kirch, mit einem schwer durchschaubaren Wust von Treuhänder- und Strohmannfirmen die Geschäfte seiner drei Urfirmen Beta, Taurus und Unitel zu sichern.

Im Lauf der Jahrzehnte hortete Kirch eine Million Blechdosen und Kartons mit 15 000 Spiel- und Musikfilmen, dazu Serien und Sendungen, mit denen sich weitere 50 000 Stunden Fernsehen füllen lassen. Acht Jahre lang könnte Kirch damit rund um die Uhr ein Fernsehprogramm bestreiten. Wie der Goldschatz von Fort Knox ruhen in einem Münchner Kühlsilo die unbewegten Bilder von Leo Kirch: 554mal Lassie, der treue Collie-Hund, sowie die Biene Maja, »Denver« und »Casablanca«, »Rheingold« und »High Noon«, »Der große Gatsby« und auch »Eleven Lies of Leo«.

Der Wert der Kirch-Schätze ist nur schwer zu taxieren. Seine Hochrechnungen auf drei oder mehr Milliarden Mark scheinen gewagt. Denn neben gängiger Hollywood-Ware wie »Vom Winde verweht« oder »Doktor Schiwago«, den Komödien von Heinz Rühmann, Hans Moser und Louis de Funes, den Highlights von Woody Allen bis Orson Welles ruht auch viel verstaubtes Material, oft ein halbes Jahrhundert alt.

Doch die Chancen für einen Filmanbieter wie Kirch stehen gut. Nach einer Untersuchung des Prognos-Instituts in Basel über »Die Entwicklung des Programmbedarfs bis zum Jahr 2000« sind in den letzten fünf Jahren die TV-Programme in Westeuropa von 37 auf 61 und die Programmstunden von 110 000 auf 230 000 gewachsen. Der Markt für Spielfilme und Unterhaltungsprogramme wird enger. Allein im deutschsprachigen Sendegebiet werden jetzt jährlich an die 4000 Spielfilme gesendet. Aus diesem Kuchen möchte sich Kirch ein ordentliches Segment herausschneiden.

Sein Engagement bei Axel Springer wird er nun aktivieren, um mit Hilfe auflagenstarker Printmedien die bundesdeutsche Zuschauerschaft endgültig aus den öffentlich-rechtlichen in seine privaten Kanäle zu treiben. Dann käme er auch in die Nähe von internationalen Mediengiganten wie dem Australo-Amerikaner Rupert Murdoch, 57, oder dem Engländer Robert Maxwell, 64, der mit 15 000 Mitarbeitern drei Milliarden Mark Umsatz macht.

Sehr zum Mißfallen der hanseatischen Springer-Erben arbeitet Kirchs Finanzier, die Deutsche Genossenschaftsbank (DG Bank) in Frankfurt, mit dem Schweizer Take-over-Spezialisten Tito Tettamanti zusammen, der über Panama, die Cayman-Inseln und Monte Carlo operiert. So vermutete das Schweizer Wirtschaftsmagazin »Bilanz« im Dezember, die DG Bank habe den heimlichen Aufkauf eines Springer-Aktienpakets von 16,1 Prozent über eine anonyme Tettamanti-Gesellschaft ("Company B") finanzieren lassen.

Die Bank widersprach. Die Company B habe mit Kirch und Springer nichts zu tun. Doch die Springer-Spitze streut, es gebe »gravierende Indizien« für eine derartige Verbindung. DG-Bank-Chef Helmut Guthardt, 53, von den Springer-Vertretern auf den abenteuerlichen Hintergrund angesprochen, berief sich auf das Bankgeheimnis.

Immerhin entschlüpfte dem Bankier Ende November in Hamburg die Bemerkung,

die DG Bank sei nur Konsortialführer - mithin nicht der einzige Kirch-Finanzier. Gefragt, ob sie Tettamanti im Spiel sehe, sagt Friede Springer resignierend: »Keine Ahnung.«

Doch die vagen Andeutungen Guthardts und die undurchsichtige Taktiererei des gewieften Kirch-Anwalts Joachim Theye veranlaßten die Springer-Testamentsvollstrecker Ende letzten Jahres, zu Kirch wieder auf Distanz zu gehen. Sie hatten, zum Ärger der Burdas, Kirch mehr Einfluß gewähren wollen, einen oder zwei Sitze im Aufsichtsrat, engere Zusammenarbeit. Kirch selbst verkündete, er wolle mit Frau Springer »die Zukunft von Springer gestalten«.

Auch auf Drängen Frieder Burdas verlangten die Vertreter der Familie Auskünfte über die Bonität des hochverschuldeten Filmgrossisten und trafen sich am 26. November in Hamburg mit Kirch, Theye und Guthardt. »Aber es kam nichts«, sagt Friede Springer, »das Gespräch war eine Katastrophe.«

Noch einmal brachte Kirch-Sprecherin Armgard von Burgsdorff letzte Woche den Schweizer Finanzakrobaten Tettamanti ins Gespräch. Von ihm gebe es, sagte sie über den Kirch-Deal mit den Burdas, »das schöne Zitat, so simpel wie wahr": »Ein Unternehmen gehört den Eigentümern, nicht den Managern.«

Die Bemerkung war auf Springer-Vorstandschef Peter Tamm, 59, gezielt, gegen den sich der gemeinsame Zorn der neuen Vertragspartner richtet. »Beim geringsten Widerspruch«, beschwert sich Frieder Burda, »ist er sofort beleidigt.« Tamm gibt den Vorwurf der Empfindlichkeit an die Burdas zurück - Dallas an der Elbe.

Auch Kirch, den Tamm lange Zeit als »Vollblutunternehmer« hofierte, ist dem Springer-Boß inzwischen gram, vor allem wohl, weil sich der robuste Tamm hartnäckig bemühte, die Interessen der Springer AG und weiterer 140 Zeitungsverlage bei Sat 1 gegen die Alleinherrschaft von Kirchs Anwalt und Manager Theye zu verteidigen.

Tamm klagte im Springer-Verlag über das »gigantische Machtstreben« der Kirch-Gruppe. Ein Springer-Mann in der Sat-1-Geschäftsführung wurde binnen Monaten isoliert und abserviert. Frieder Burda sah den Kabalen angewidert zu: »Das sind eben alles Machtmenschen.«

Bisher, versichert Burda, sei »über keine Personalie gesprochen worden«. Doch wenn es nach den Pool-Partnern geht, soviel scheint klar, fällt Tamm. Der als Nachfolger genannte Günter Prinz, 58, letztes Jahr im Streit als Tamms Stellvertreter bei Springer ausgeschieden, versichert, mit ihm sei »überhaupt nichts abgesprochen«, er fühle sich als »Bunte«-Herausgeber im Verlagshaus Hubert Burda »wahnsinnig wohl«. Den Sat-1-Geschäftsführer Werner E. Klatten wiederum, einen Vertrauensmann Theyes und Kirchs, hält Frieder Burda für zuwenig erfahren im Mediengeschäft und würde »ihn nicht akzeptieren«.

Kirch und Burda müßten aber nicht nur einen Chefmanager suchen, sondern für seine Bestellung auch eine Mehrheit im Aufsichtsrat finden. Gelingt ihnen das nicht, könnten sie den bis 1990 amtierenden Aufsichtsrat erst dann mit ihrer Stimmenmehrheit abberufen. Fünf der neun Sitze verlangen sie für sich.

Der Schlüssel liegt derzeit bei Deutsche-Bank-Sprecher Friedrich Wilhelm Christians, 65, der vier der neun Aufsichtsratsmandate unmittelbar beeinflußt. Zwei davon beansprucht Kirch - für seine beiden Vertrauten, den Anwalt Theye und den früheren österreichischen Rundfunkintendanten Gerd Bacher, einen engen Vertrauten von Bundeskanzler Kohl.

Offenbar um Christians günstig zu stimmen, haben ihm Kirch und die Burdas den Aufsichtsratsvorsitz anstelle des Springer-Testamentsvollstreckers Bernhard Servatius, 55, angeboten. Doch Christians, von der Entwicklung nach Rückkehr von einer Moskau-Reise überrascht, will erst Gespräche mit allen Seiten führen.

Steht er zum Springer-Nachlaß, kommt die Burda-Kirch-Koalition erst über ihre Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung zum Zuge. Doch der Bankier wirkt frustriert, sein Rückzug bei Springer wird nicht mehr ausgeschlossen.

Auch Ernst Cramer, 75, einer der Springer-Testamentsvollstrecker, steht im Aufsichtsrat auf der Abschußliste. Dabei war Cramer, wie er bekennt, »gegenüber einer Kirch-Beteiligung am weitesten aufgeschlossen«.

»Wir wurden von Cramer mit Mißtrauen verfolgt, weil wir Kirch zu Fall gebracht haben«, berichtet Frieder Burda, »jetzt bringt der Kirch ihn zu Fall, das ist der Treppenwitz.«

Die personellen und machtpolitischen Spekulationen sind die Folge einer fast absurd anmutenden »Drehung« (Frieder Burda), durch die sich plötzlich alle von Axel Springer einst ausbalancierten Gewichte im Konzerngefüge erneut verschoben haben. »Ich mußte mich wehren«, verteidigt Frieder Burda seinen Schwenk, »um nicht ins Abseits gedrängt zu werden - genau wie es jetzt dem Springer-Nachlaß passieren kann.«

Jetzt trauert Friede Springer längst vergangenen Stunden bei den Burdas nach, die sie Ende August in Baden-Baden und Offenburg erlebte. Die Witwen saßen freundschaftlich beisammen, Frau Friede, 45, an der Seite von Frau Aenne, 78. Und die Söhne stellten die neuen Frauen an ihrer Seite vor: Frieder seine Freundin Monika, Franz seine Gattin Christa. Die Springer-Witwe empfand es als wohltuend, daß über Trennendes hinweg »die alten freundschaftlichen Beziehungen« intakt geblieben waren.

Auch das Trennende räumte sie dann, wie sie glaubte, elegant beiseite: die geplante geschäftliche Liaison mit Leo Kirch. Als die Partnerschaft an Kirchs finanzieller Undurchsichtigkeit und seinen »Maximalforderungen« (Friede Springer) gescheitert war, schien die Rückwendung zu den Burdas geboten -

schon, um die von Axel Springer gewünschte »Verlegermehrheit« im Verlag zu sichern. Das sei auch geschehen, beteuert Frau Springer, man habe »gute Gespräche gehabt«. Keine Unternehmensentscheidung sei ohne die Burdas gefällt worden.

Aber Frieder Burda hat das so nicht mitbekommen. Er sei »höflich zu Abendessen« geladen worden, gewiß, aber eine gemeinsame Unternehmenspolitik sei offenbar nicht gewollt gewesen - »das spürt man doch«. Sein Fazit: »Man wollte letztlich das Unternehmen allein führen, hat aber vergessen, daß 74 Prozent verkauft worden sind.« Kirch sieht es genau so: »Wir haben nicht Eigentum erworben, um uns belehren zu lassen, daß sich mit 26 Prozent ein Unternehmen führen läßt, als sei man noch Alleineigentümer.«

Um drei Jahre nach Beginn seiner Beteiligung endlich »Bewegung in die Starrheit« zu bringen, habe er, so Burda, Anfang des Jahres ein neues Beteiligungsmodell vorgeschlagen: die Aufnahme von zwei neuen Teilhabern, etwa der Kaufhof AG und des Bauer-Verlags. Die Burdas erklärten sich bereit, dafür die Hälfte ihres 26-Prozent-Anteils zu verkaufen. Mit Unterstützung von Christians wandte sich Frieder Burda an Kirch, um ihn zum gleichen Schritt zu bewegen. Der von Friede Springer verschmähte Filmgrossist, froh, einen neuen Gesprächspartner gefunden zu haben, zeigte sich aufgeschlossen. Die Springer-Erben allerdings waren mit der neuen Stückelung nicht einverstanden, sie boten den Burdas den Rückkauf der 13 Prozent an. Doch dadurch, fanden die Brüder, hätte sich ihr Einfluß so verringert, daß sie praktisch gezwungen gewesen seien, sich »komplett von Springer zu trennen«.

Die Springer-Erben wären tatsächlich zur Übernahme bereit. Doch die Burdas wollen nicht. Ende Februar wandten sie sich endgültig Kirch zu und gründeten im März heimlich den Pool - »natürlich auch 'ne Trotzreaktion« (Frieder Burda). Noch heute glauben sie ernsthaft daran, Kirch sei wie sie bereit, eine Anteilshälfte zu verkaufen, so daß sich vier Teilhaber in einem gemeinsamen Pool mit je 13 Prozent begnügen würden. Für sie hätte das den Vorteil, gewaltig Kasse zu machen und im Pool weiter kräftig mitreden zu können.

Doch so bald wird im Springer-Konzern, einem hochprofitablen Unternehmen mit rund 2,7 Milliarden Mark Jahresumsatz, auf der Eigentümerseite keine Ruhe einkehren. Testamentsvollstrecker Servatius, Vorsitzender des Aufsichtsrats, dessen Bemühungen um Ausgleich und Partnerschaft auch die Burdas anerkennen, kündigte härtesten Widerstand gegen den Pool-Vertrag an, den er »von vorn bis hinten für rechtswidrig und nichtig« hält. Juristische Gutachten sind bereits in Auftrag gegeben.

Der Betriebsrat, ein wohl einmaliger Fall in der bundesdeutschen Pressegeschichte, schloß sich mit »empörtem« Protest den opponierenden Aufsichtsräten an. Auf einer Betriebsversammlung wollen die Springer-Beschäftigten am Freitag nächster Woche im Hamburger Congress Centrum gegen die »angestrebte neue Machtkonstellation« antreten.

Die »Bild«-Zeitung rächte sich auf eigene Art. Unter der Schlagzeile »Skandal! Video-Sex mit Kubitschek« prangerte sie am Donnerstag letzter Woche an, daß der »Video-Gigant 'Taurus' (gehört zur Kirch-Gruppe)« einen harmlosen Spielfilm mit Ruth-Maria Kubitschek und Harald Leipnitz unter dem neuen Titel »Trio Pervers« zu einem Porno aufgemotzt habe. Die Kirch-Gruppe ("eine 'Bild'-Ente") erwiderte, Titel und Werbematerial für den Film würden seit Jahren vom Verleih selbst verwendet.

Bleibt die Gruppe der Erben bei ihrer Ablehnung, droht Frieder Burda mit »offener Feldschlacht«. Fügt sie sich allerdings dem neuen Bündnis, gerät sie in eine fast bedeutungslose Minderheitsposition. Dennoch gibt sich DG-Bankier Guthardt »überzeugt, daß sie sich einigen« und daß bald Schluß sei mit dem »Spielchen 'Haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden'«.

Frieder Burda baut nun ganz auf Kirch, der dankbar sei, daß »er mit unserer Hilfe die Mehrheit erreicht«. Wenn der Filmgroßhändler zu tricksen beginne, könne er, Burda, sich »noch immer mit dem Nachlaß einigen«.

Erst einmal setzt der Teilhaber die Springer-Erben gehörig unter Druck. Wenn sie nicht klein beigeben, droht Frieder Burda, könne er sich für sein Aktienpaket »von Kirch jeden Phantasiepreis bieten« lassen. Damit wäre das Vorkaufsrecht der Springers ausgehebelt, »und Kirch ist in der Mehrheit«.

[Grafiktext]

UMSTURZ IM HAUSE SPRINGER Besitzverhältnisse und Aufsichtsrat des Axel Springer Verlages EIGENTÜMER Erbengemeinschaft Axel Springer Gesellschaft für Publizistik GmbH & Co KG F & F Burda KG Leo Kirch Vinkulierte Namensaktien, Depotbank: Deutsche Bank 26,1% 26,0% bisher: 10% künftig: 26,1% Die Erbengemeinschaft hat bisher die Eintragung der zusätzlichen 16,1% ins Aktionärsverzeichnis abgelehnt. bisher: 38,9% künftig: 21,8% Vinkulierte Namensaktien dürfen nur mit Zustimmung der ausgebenden Gesellschafthier: Axel Springer Verlagveräußert werden. Burda und Kirch streben gemeinsam eine Satzungsänderung an. AUFSICHTSRATSVORSITZENDER bisher: Bernhard Servatius Kandidat der Gruppe Burda/Kirch: Friedrich Wilhelm Christians (Deutsche Bank) AUFSICHTSRAT Bernhard Servatius Friede Springer Ernst J. Cramer Frieder Burda Franz Burda Kirch fordert zwei dieser Aufsichtsratsposten F. Wilhelm Christians Horst Kramp Michael Otto Johannes Semler unter Deutsche-Bank-Einfluß

[GrafiktextEnde]

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