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FARBFERNSEHEN Den Dienst versagt

Mit einem eigenen Farbfernsehsystem und eigener Bildröhre suchten die Franzosen Europa zu erobern und die US-Konkurrenten abzuwehren -- vergebens. Jetzt verbündeten sie sich mit dem US-Konzern RCA.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Unser Farbfernsehen wird sich in Europa durchsetzen und auch woanders«, hatte einst Georges Pompidou prophezeit. Frankreichs derzeitiger Staatschef blieb ein halber Prophet.

Denn Frankreichs Farbfernseh-System Secam (Séquentielle à mémoire) setzte sich nur woanders durch -- im Libanon und in Ägypten beispielsweise sowie in einigen afrikanischen Ländern.

In Westeuropa dagegen sehen -- außer einer halben Million Franzosen -nur ein paar tausend Luxemburger Secam-fern. Sechs von sieben europäischen Farbgeräten empfangen ihre Color-Sendungen nach dem Konkurrenz-System Pal (Phase alternation line) der deutschen Firma AEG-Telefunken.

Mit dem von dem französischen Ingenieur Henri de France erfundenen Secam-System wollte Charles de Gaulle einst Europas Fernsehen erobern und die Amerikaner abwehren.

Um die Europäer in die Zange zu nehmen, verband sich Charles de Gaulle 1967 mit der Sowjet-Union. Nicht nur das französische Farbfernsehsystem Secam bot er den Sowjets an, sondern versprach auch das technische Know-how für eine Produktionsanlage, in der anfangs 350 000 von den Franzosen entwickelte sogenannte Gitterbild-Röhren produziert werden sollten.

Die Sowjets akzeptierten, weil sie hofften, damit von der amerikanischen Schattenmaske-Röhre unabhängig zu werden, die vor 20 Jahren vom US-Konzern RCA Corporation (Radio Corporation of America) entwickelt worden war.

Tatsächlich stellt die französische Gitterbild-Röhre ein technisch bestechendes Konzept der Fernsehleuchten dar. »Der Gitter-Prozeß verhält sich zur Schattenmaske wie der Wankel-Motor zum traditionellen Kolben-Motor«, lobte die französische Wirtschaftszeitung »Entreprise« -- Nur: Bis heute haben die Franzosen ihren fortschrittlichen Eigenbau nicht zur kommerziellen Serienreife gebracht. »Die französische Röhre versprach Leistungen zu günstigen Kosten. die bisher unerreichbar erschienen«, schrieb »Les Echos« und klagte: »Leider versprach sie es nur.«

Um nicht länger auf das französische Röhrenwunder warten zu müssen, entschied sich die Sowjetunion 1968. parallel zur Gitterröhre die amerikanische Schattenmaske zu studieren. und schloß einen Kooperationsvertrag mit der US-Firma Buckbee-Mears ab. Heute bauen die Sowjets bereits ein Großwerk. in dem bald 400 000 Röhren produziert werden -- ausschließlich nach dem amerikanischen Patent. Die eigene Entwicklung am Gitterprojekt stellten die Russen völlig ein.

Mit dem Mißerfolg der Gitterröhre droht auch die Option der kommunistischen Länder für Secam zu wanken. DDR-Versuchsanlagen werden bereits mit Pal-Geräten ausgestattet, und Jugoslawien hat Pal bereits akzeptiert. Ein slowenischer Privatsender berieselt bereits, zusammen mit einem an der Schweizer Grenze installierten Fernsehfunk, norditalienische Industriegebiete auf Pal-Wellenlänge und droht das bislang noch nicht festgelegte Mittelmeerland auf Pal-Kurs zu bringen, nachdem sich auch Spanien bereits für das Pal-System entschieden hatte.

Doch nicht nur die Partner in Ost-Europa werden unsicher. Auch die französische Heimat-Fernsehfront wankt. 30 Millionen Franc hatte Frankreichs Regierung in die mit der Gitterröhren-Entwicklung beauftragte Firma »France Couleur« gesteckt. Aber dem Unternehmen fehlte der Wettbewerbsgeist. »in meinem Alter«, sagte France-Couleur-Chef Sylvain Floirat, 71, »denkt man nicht mehr an Gewinn. Ich arbeite für das Vaterland und für meine Enkelkinder.

Auch Frankreichs bedeutendster Hersteller von Fernseh- und Rundfunkgeräten, Thomson-Brandt (mit 60 Prozent Mehrheitsaktionär an France Couleur), von der Regierung häufig als technologische Feuerwehr eingesetzt, versagte schließlich den patriotischen Dienst. Um den vom holländischen Elektrokonzern Philips mit seiner Schattenmaske beherrschten französischen Markt (85 Prozent) zurückzuerobern und künftige Exportchancen zu wahren, verbündete sich Thomson-Brandt vor kurzem mit dem US-Konzern RCA. Rund 150 Millionen Franc wollen beide Partner im Werk in Romilly (Departement Aube) investieren, das ursprünglich für die Gitterbild-Röhren-Produktion gedacht war. nunmehr aber US-Schattenmasken herstellen wird.

»Selbst wenn sie dem gaullistischen Traum von Unabhängigkeit widerspricht«, schrieb der Pariser »L'Express«. »hat die Übereinkunft mit RCA eine doppelte Logik für sich: Es wird produziert, und zwar mit Gewinn.

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