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ARBEITNEHMER »Den Polen sei Dank«

Im Sand von Brandenburg wächst und gedeiht ein Spargelboom: Doch ohne polnische Saisonarbeiter ginge gar nichts.
aus DER SPIEGEL 21/1999

Ein feiner Riß in dem glattgeklopften Erdwall verrät den Spargel. Die blonde Ewa fährt mit der Hand am Stengel hinunter in das Erdreich, schaufelt die Erde beiseite und sticht mit einem langen Messer etwa 25 Zentimeter in die Tiefe. Eine frische Spargelstange wandert in den Korb. Dann schüttet sie das Loch wieder zu. Der Vorgang wiederholt sich - 1500mal am Tag.

Nach einer Stunde schmerzt der Rücken, der Schweiß läuft die Stirn hinunter, die Finger der linken Hand werden steif, und das rechte Handgelenk schwillt an. Wenn der Wind weht, knirscht der Sand zwischen den Zähnen, reizt die Augen und dringt sogar in die Unterhose ein. Die Sonne spiegelt von der Folie ab, sie blendet und brennt auf der Haut. Die Konzentration darf dennoch nicht nachlassen: Ein falscher Stich, ein hektisches Zerren - und schon ist der Spargel kaum noch etwas wert.

Ewa Rubczewska, 23 Jahre alt, klagt nicht. »Ich habe gestern über 93 Kilogramm geerntet«, prahlt die kräftig gebaute Frau. »Nur zwei Männer waren besser.« Ewa ist die einzige Frau unter rund 50 Männern, die auf dem 25 Hektar großen Feld von Josef Jakobs im brandenburgischen Schäpe Spargel sticht. Sie kommt aus Wielany, einem Dorf bei Konin.

Dort lebt sie mit Ehemann, einem Maurer, und Kind auf dem Hof ihrer Eltern. »Es reicht vorn und hinten nicht«, sagt die Polin. »Von unseren sieben Kühen kann die Familie nicht leben.« Deswegen kam sie mit ihrem Zwillingsbruder zur Spargel- ernte nach Deutschland und ist fest entschlossen, mit soviel Geld wie möglich nach Hause zurückzukehren.

Mitte April rollen Dutzende Busse mit polnischen Kennzeichen in die Mark Brandenburg. Bis Ende Juni arbeiten bei der Spargelernte rund um die ostdeutsche Spargelhauptstadt Beelitz etwa 1300 Polen. Die Arbeit ist schwer, da halten sich die deutschen Arbeitslosen lieber fern. »Bei der hohen Sozialhilfe kann man sich das Faulenzen leisten«, sagt Ewa ohne aufzublicken.

Josef Jakobs, 31, kam vor drei Jahren aus Westfalen nach Schäpe. Der Spargelbauer in der dritten Generation fand auf dem Beelitzer Sand, 30 Kilometer südwestlich von Berlin, gute Spargelböden und in der deutschen Hauptstadt einen tollen Absatzmarkt. Bald stellte er fest: Ohne polnische Landarbeiter ist der Spargelanbau in Brandenburg nicht möglich.

»Nur dank der Saisonarbeiter aus Polen können wir Arbeitsplätze für Deutsche schaffen, deutsche Verkäufer, Fahrer oder Mechaniker beschäftigen. Dennoch muß ich mich ständig rechtfertigen, warum ich Polen beschäftige«, schimpft der junge Spargelbauer.

»Die Polen sind mein wichtigstes Kapital«, meint auch der gebürtige Rheinländer Jörg Buschmann, 37. In seinem Spargelbetrieb in Klaistow, 1991 an Stelle einer verrotteten LPG errichtet, stechen und sortieren über 300 Polen den Spargel. 100 Hektar sind seine Felder groß, die langen folienbedeckten Spargelreihen erinnern an die Wellen auf dem Ozean. »Es ist ein Knochenjob«, sagt Buschmann. »Kein Deutscher wird für diesen Lohn die Arbeit tun. Sollten die polnischen Erntehelfer eines Tages ausbleiben, bin ich sofort pleite.« Höhere Tarife kann er nicht bezahlen: Spanischer und griechischer Spargel ist schon jetzt wesentlich billiger.

Obwohl das Land Brandenburg den deutschen Arbeitslosen, die bei der Ernte beschäftigt werden, 25 Mark pro Tag zuschießt, konnte das Arbeitsamt in Potsdam nicht einmal 15 Prozent der benötigten Spargelstecher vermitteln. Und diese wenigen bringen kaum eine Leistung. »Wozu soll ich mich da anstrengen«, schimpft Jana Hoppe, 31. »Nach zwei Monaten gehe ich doch wieder stempeln.« Manchmal sehnt sie sich an die alten DDR-Zeiten zurück: Damals arbeitete sie als Rinderzüchterin, bekam regelmäßig ihr Gehalt und fühlte sich gebraucht.

Die Polen stechen im Durchschnitt 80 bis 100 Kilogramm Spargel pro Tag, die deutschen Erntehelfer kommen nicht einmal auf die Hälfte. Der Unterschied liegt in der Motivation: Für die Deutschen liegt die Bezahlung nur knapp über der deutschen Arbeitslosenhilfe, die Polen verdienen bei der Spargelernte in Deutschland das vielfache ihrer polnischen Gehälter. Jörg Buschmann zahlt je nach Qualität zwischen einer Mark und 1,40 Mark pro Kilogramm Spargel. Nach zwei Monaten fährt manch ein polnischer Spitzenstecher mit gut 7000 Mark nach Hause.

»Es ist sicher ein harter Job«, meint Danuta Jarosz, 35, Grundschullehrerin aus Sandomierz, die täglich bis zu 14 Stunden in der Sortierung arbeitet. »Wir fühlen uns aber keineswegs ausgebeutet. Jeder kommt freiwillig und kann jederzeit nach Hause fahren. Zu Hause verdiene ich aber nur 400 Mark im Monat.«

Viele der Saisonarbeiter treibt die blanke Not auf die deutschen Felder. Sie kommen meist aus den Regionen um Przemysl, Kielce und Suwalki, aus Masuren und Pommern, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Adam Cejmer, 27, lebt in Górowo Ilaweckie, zehn Kilometer vor der russischen Exklave Kaliningrad. Arbeit gibt es hier nicht, die Staatsgüter sind pleite. »Der halbe Ort wäre gern hierher gekommen«, sagt der arbeitslose Elektromechaniker. »Wer zurückbleiben mußte, hat bittere Tränen geweint.«

Die Mehrheit der Erntehelfer sind Bauern und Arbeiter. Doch es gibt auch Lehrer, Polizisten oder Berufssoldaten. Buschmann hat ein kompliziertes Rekrutierungssystem aufgebaut: In verschiedenen Regionen Polens kümmern sich seine polnischen Vorarbeiter um die Anwerbung. Schon im November liegen ausgefüllte Anträge der Kandidaten vor, die dann nach Frankfurt an die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung geschickt werden. Im Frühjahr stellen deutsche Konsulate Arbeitsvisa für jeweils drei Monate aus. Dann kann es losgehen.

Kein Wirtschaftszweig entwickelt sich in Brandenburg schneller als der Spargelanbau. »Den Polen sei Dank«, sagt Manfred Schmidt aus Schlunkendorf. Er baut 10 Hektar Spargel an und ist Vorsitzender des Vereins »Beelitzer Spargel«, der 14 Mitglieder zählt. In diesem Jahr eröffnete er in seinem Geburtshaus das erste Spargelmuseum Norddeutschlands. Denn Spargel wird in Beelitz seit 1861 angebaut - und immer kamen polnische Saisonarbeiter zur Ernte.

1939 lag die Anbaufläche bereits bei 1000 Hektar. Dann verboten die Nazis den Spargelanbau, weil die kalorienarme Pflanze nicht nahrhaft genug war. Im Arbeiter-und- Bauern-Staat schließlich war der Spargel parteipolitisch als Gaumenfreude der bourgeoisen Feinschmecker verpönt - und zum tristen Dasein in den hintersten Ecken der LPG verbannt.

Zur Zeit der Wende umfaßten die Spargelfelder um Beelitz nur 10 Hektar. Heute sind es wieder 400 Hektar, in diesem Jahr wird eine Ernte von 2000 Tonnen Spargel erwartet.

Die Freude über die Wiedergeburt des Beelitzer Spargels ist den Deutschen und den Polen gemein. »Ich müßte zwei Kerzen anzünden, für Buschmann und den Spargel«, sagt Stanislaw Wiertelak, Landwirt aus Pommern, zum achtenmal bei der Spargelernte. »Ohne den Spargel wäre ich ein armer Hund. Mein Hof brannte zwei- mal, mit dem hier verdienten Geld konnte ich die dringendsten Löcher stopfen.«

Die Arbeit beginnt je nach Wetter zwischen sechs und acht Uhr morgens. Gegen 11.30 Uhr fängt die dreistündige Mittagspause an. Die Stecher werden zu ihrer Unterkunft, einem ehemaligen LPG-Hotel für Erntehelfer, gefahren, wo sie das Mittagessen bekommen. Die Polen mögen keine exotischen Gerichte: Das Essen muß einfach aber gehaltvoll sein. Ein Spargelstecher verbraucht schließlich dreimal soviel Energie wie ein Büroangestellter.

Spargel steht so gut wie nie auf der Speisekarte, denn der deutsche Gaumengenuß hat in Polen nur wenige Anhänger. Die meisten der Saisonarbeiter, auch wenn sie schon öfter bei der Ernte waren, haben den weißen Stengel nicht einmal probiert. »Keiner von uns hatte die leiseste Ahnung, wie Spargel aussieht oder wie er schmeckt. Wir haben uns so etwas wie eine Bohne vorgestellt«, sagt Mariusz Motyka, 24, aus Ruda im polnischen Südosten.

Während sich die Männer ausruhen, läuft die Arbeit in der Sortierhalle, wo rund 150 polnische Frauen auf vollen Touren arbeiten. Die Frauen fangen zwei Stunden später an und arbeiten manchmal bis Mitternacht. An 18 Fließbändern werden die Spargel gewaschen, auf Länge geschnitten und sortiert. Anschließend werden sie in verschiedene Körbe und Kisten verpackt, abgewogen und in die Kühlhalle gebracht. Oft sind sie schon am kommenden Tag beim Verbraucher.

Abends sind Männer wie Frauen hundemüde. Den mitgebrachten Wodka haben sie schon längst ausgetrunken, im Laden gibt es nur Bier. Wer betrunken randaliert, was allerdings äußerst selten vorkommt, riskiert die Heimfahrt.

»Niemand will den Job aufs Spiel setzen«, sagt der junge Motyka. »Jeder weiß, warum er gekommen ist.« ANDRZEJ RYBAK

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