Zur Ausgabe
Artikel 41 / 101

AFFÄREN Der doppelte Klaus

Die Ermittlungen gegen ehemalige Betriebsräte und Manager des VW-Konzerns bringen immer neue Details über deren Lustreisen und Tarnfirmen ans Licht. Hinter den Bordellgeschichten verbirgt sich eine zweite Dimension der Affäre: ein Kampf um die Macht in Europas größtem Autokonzern.
aus DER SPIEGEL 8/2006

Man erkenne den Klaus nicht wieder, sagt ein Freund von ihm. Klaus Volkert sei in sich zusammengesunken. Von Selbstbewusstsein keine Spur. Der einstige Betriebsratschef des VW-Konzerns, der mit markigen Sprüchen mehr als 10 000 Mitarbeiter auf einer Betriebsversammlung zum Tosen bringen konnte, traut sich kaum noch aus seinem Haus. Vormittags liest er Zeitung, nachmittags flimmert der Fernseher. Wenn Volkert samstags auf dem Markt in Wolfsburg einkaufen geht, hakt er sich bei seiner Ehefrau unter, als brauche er ihren Schutz.

Der Peter sei fast schon depressiv, sagt eine Bekannte von ihm. Peter Hartz verstehe nicht, was um ihn herum geschehe. Es könnten doch nicht alle vergessen haben, wie er für die Arbeitsplätze bei Volkswagen gekämpft habe, für Reformen und Jobs im ganzen Land. Er versuche, Zeitungen mit Berichten über die Affäre vor seiner Frau zu verstecken. Aber Hartz kann nicht verhindern, dass einer, der sich Journalist nennt, an der Tür klingelt und ihm die Druckfahne einer Geschichte vorhält. Die Erzählungen einer Prostituierten, die über den Sex mit dem damaligen VW-Vorstand plaudert, sollen demnächst erscheinen. Aber vielleicht wolle Hartz ja lieber mit der Zeitung reden.

Zwei Männer sind unten angekommen, ganz unten. Tiefer konnten zwei Menschen kaum stürzen, die mit der Vier-Tage-Woche und anderen Modellen Tarifgeschichte geschrieben haben. Deren Einfluss einst reichte, um mit einem Brief an den Bundeskanzler die höhere Besteuerung von Jahreswagen zu stoppen.

Man muss kein Mitleid mit Volkert und Hartz haben. Die beiden haben das Scheinwerferlicht genossen wie eine zweite Sonne. Wenn sie sich nun verstecken, während ihre Nachfolger um die Zukunft von 20 000 Arbeitsplätzen im VW-Konzern kämpfen, sind sie dafür selbst verantwortlich.

Hartz schweigt. Als Zeuge hat er am Anfang der VW-Affäre noch vor der Braunschweiger Staatsanwaltschaft ausgesagt. Als Beschuldigter will er sich nicht äußern. Volkert plauderte am Dienstag vergangener Woche den ganzen Tag lang vor den Staatsanwälten in Braunschweig.

Durch seine Aussagen wird für die Braunschweiger Oberstaatsanwältin Hildegard Wolff und ihren Kollegen Ralf Tacke das Bild der VW-Affäre immer klarer, vor dem lange ein Nebel aus Rotlicht und Blaulicht waberte. Ein paar Monate noch, dann können sie ihre Ermittlungen um Lustreisen und Tarnfirmen abschließen. Und es dürfte kaum überraschen, wenn sie dann Anklage gegen Volkert und Hartz erheben, gegen den einst mächtigsten Betriebsrat Deutschlands und den einst einflussreichsten Personalmanager.

Juristisch geht es um Paragraf 266 des Strafgesetzbuchs, um Untreue und Beihilfe zur Untreue, für die Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren vorgesehen sind. Zudem muss bei Hartz geprüft werden, ob er gegen Paragraf 119 des Betriebsverfassungsgesetzes verstoßen hat, der bis zu einem Jahr Gefängnis für die Begünstigung von Betriebsräten androht.

Aber die Befragungen von Managern, Betriebsräten und Prostituierten förderten auch eine andere, bislang kaum beleuchtete Dimension des Falls zutage: Hinter all den Bordellgeschichten verbirgt sich ein Kampf um die Macht in Europas größtem Autokonzern.

Es geht um die Frage, ob Betriebsräte käuflich sind. Setzte der damalige Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch seine umstrittene Luxusstrategie mit Bentley, Lamborghini und Bugatti auch deshalb durch, weil Volkert und andere Betriebsräte ihm gar nicht widersprechen konnten, nachdem sie sich Prostituierte vom Konzern hatten bezahlen lassen? Nutzte Piëchs Nachfolger Bernd Pischetsrieder später die Aufklärung der Affäre, um seinen Kritiker Volkert loszuwerden und die eigene Vertragsverlängerung abzusichern? Oder bekamen Piëch und Pischetsrieder, wie beide beteuern, nichts mit vom Treiben ihres Personalvorstands und des Betriebsratschefs?

Ihren Ausgang nahm die Entwicklung 1993. Piëch war Vorstandschef des VW-Konzerns geworden und wusste, dass der

Autohersteller 30 000 Mitarbeiter zu viel an Bord hatte. Er brauchte einen, der den Arbeitsplatzabbau möglichst geräuschlos hinbekommen konnte. Er holte Hartz.

Dem Saarländer war es zuvor gelungen, als Arbeitsdirektor in der Stahlindustrie mehrere tausend Arbeitsplätze abzubauen, ohne einen Mitarbeiter zu entlassen. Hartz war IG-Metall- und SPD-Mitglied. Er hatte eine Lehre, Abendgymnasium und Fachhochschule absolviert und stets eng mit Betriebsräten zusammengearbeitet.

In Wolfsburg suchte Hartz die Nähe zum Betriebsratsboss Volkert, mit dem ihn eine ähnliche Biografie verband. Auch Volkert hatte ganz unten angefangen, als gelernter Schmied, der erst Vertrauensmann, dann Betriebsrat und schließlich Vorsitzender des Arbeitnehmergremiums wurde. Volkert galt als kollegial, aber auch als ehrgeizig und durchsetzungsstark. Er hatte Sinn für Symbolik. In sein Büro hängte er ein Foto, das mehrere tausend VW-Arbeiter zeigte, die in der Fabrikhalle aufmarschiert waren. Sie wirkten wie eine Armee, wie Volkerts Armee.

Seine Macht bezog der Betriebsrat auch aus der besonderen Eigentümerstruktur des VW-Konzerns. Größter Aktionär war das Land Niedersachsen, das zwei Plätze im Aufsichtsrat besetzte. Volkert und seine Arbeitnehmer hatten im Kontrollgremium die Mehrheit, wenn die beiden Vertreter Niedersachsens mit ihnen stimmten. Und das war zumindest naheliegend, solange die SPD das Land regierte und Volkerts Duzfreund Gerhard Schröder im VW-Aufsichtsrat saß.

Manager, die etwas werden wollten, stellten sich gut mit Volkert. Sie luden den Betriebsrat privat zum Essen ein, nahmen ihn mit zu Automessen nach Tokio oder Detroit, zu Testfahrten in Europa und Afrika. Volkert verkehrte in der Fünf-Sterne-Welt der Vorstände. Und wenn er mit seinen Betriebsräten unterwegs war, konnte er auf ein Abrechnungssystem zurückgreifen, das Personalchef Hartz installiert hatte - und das ihm fast unkontrollierten Zugang zu Geld gewährte.

Die Organisation der Treffen des Gesamt-, des Europa- und des Weltbetriebsrats hatte Hartz dem Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer übertragen. Ihm wurden Freiheiten eingeräumt, die im VW-Konzern wohl kaum ein zweiter Manager genoss.

Gebauer musste bei der Abrechnung über die Kostenstelle 1860 von Hartz keine Rechnungen vorlegen. Er konnte Ersatzbelege in Höhe von mehreren zehntausend Euro ausstellen, auf denen lediglich vermerkt war: »Im Interesse des Gesamtbetriebsausschusses«.

Es ist offen, ob dies eine bewusst gestellte Falle war, um Betriebsräte in Versuchung zu führen. Sicher ist, dass Mitte der neunziger Jahre mit einem solchen Vermerk im VW-Konzern erstmals Prostituierte abgerechnet wurden, die Betriebsräten ein paar schöne Stunden bereitet hatten.

Seitdem drehte sich das Karussell aus Lustreisen und Prostituierten immer schneller, und Gebauer drehte ordentlich mit. Der große, eher schwammig wirkende Mann kennt sich aus in der Szene. Noch heute legt er bei Gesprächen drei Handys vor sich auf den Tisch. Auf einem davon hat er die Telefonnummern von Roselia, Jana, Nina und anderen Prostituierten aus Barcelona, Prag und Hannover gespeichert.

Die Frauen zählten für einige VW-Betriebsräte im Laufe der Zeit zum festen Bestandteil der Reisen. Deren Verfügbarkeit beeinflusste sogar die Auswahl der Tagungsorte. Brüssel beispielsweise galt als ungeeigneter Treffpunkt. Gebauer hatte herausgefunden, dass die Prostituierten dort abends nicht auf die Hotelzimmer kommen konnten, weil sie bis vier Uhr morgens in Clubs arbeiten mussten.

Bei seinen Aussagen vor der Staatsanwaltschaft gab Gebauer zu Protokoll, Volkert habe den Einsatz der Frauen strategisch geplant. Er habe so viele Betriebsräte wie möglich einbeziehen wollen. Wenn etwas hochkomme, könne keiner plaudern. Volkert habe auch gesagt, wer zu den Begünstigten zählen solle. Vier weitere Betriebsräte hätten auf jeden Fall dazugehört. Drei davon waren wie Volkert Mitglied im VW-Aufsichtsrat und sollten den Vorstand dort kontrollieren.

Im Sommer 1998 gab es Arbeit für die Kontrolleure. Der damalige Vorstandschef

Piëch wollte für knapp 1,8 Milliarden Mark Bentley und den Motorenbauer Cosworth kaufen. Bei Analysten und auch im Arbeitnehmerlager wuchs die Kritik am teuren Einstieg ins Superluxussegment. Zusammen mit Gerhard Schröder, dem damaligen Ministerpräsidenten, hätten Volkert und seine Kollegen den Deal im Aufsichtsrat stoppen können. Doch Volkert und die Betriebsräte stimmten für das Milliarden-Investment.

Freunde von Volkert sagen, er hätte dem Bentley-Kauf auch zugestimmt, wenn er nicht in den Genuss ganz spezieller Vergünstigungen gekommen wäre. Das mag sein. Dennoch hat der Betriebsratschef sich angreifbar gemacht - und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer dazu.

Es gibt in diesem Zusammenhang einen zweiten Vorgang, der zumindest seltsam anmutet nach allem, was man inzwischen über bezahlte Liebesdienste für VW-Betriebsräte weiß.

Am 15. November 2002 stand auf einer Sitzung des Aufsichtsrats die Vertragsverlängerung für den Personalvorstand an. Nach einem Grundsatzbeschluss aus dem Jahr 1983 soll ein VW-Vorstand nicht über das Jahr hinaus bestellt werden, in dem er das 63. Lebensjahr vollendet. Bei Hartz wäre dies der 31.12.2004 gewesen. Er hätte also noch einen Zweijahresvertrag erhalten können.

Auf der Sitzung aber wurde die Regel geändert. Künftig sollte die Bestellung eines Vorstands spätestens ein Jahr nach Vollendung des 65. Lebensjahrs enden. Im Klartext: mit 66 Jahren.

Eine solch ungewöhnliche Formulierung ist aus keinem anderen Dax-Unternehmen bekannt. Sie macht nur Sinn, wenn man weiß, was auf dieser Aufsichtsratssitzung unter Tagesordnungspunkt zwei beschlossen wurde: Da wurde der Hartz-Vertrag um vier Jahre verlängert, bis zum 8. 8. 2007 - einen Tag bevor Hartz 66 wird. Volkert und die übrigen Arbeitnehmervertreter haben dieser Lex Hartz im Aufsichtsrat zugestimmt. Dass dies die Gegenleistung für bezahlte Lustreisen gewesen sein könnte, behauptet niemand. Andererseits ist schwer vorstellbar, dass Volkert unabhängig und unbefangen über den Hartz-Vertrag abgestimmt hat.

Mit Hilfe von Hartz hatte der VW-Betriebsrat seit September 2000 seiner Geliebten Adriana Barros ein Zusatzeinkommen von 23 008 Euro im Quartal verschafft. Er hatte die Journalistin beauftragt, Projekte für Straßenkinder in Brasilien zu betreuen, die der Wolfsburger Betriebsrat unterstützte.

Das klingt edel. Aber nach den Recherchen der Wirtschaftsprüfer von KPMG ging es dabei weniger um das Wohl der Straßenkinder als um das der Geliebten. Den Prüfern wurden lediglich fünf DVD-Filme mit einem Bezug zu den Sozialprojekten des Betriebsrats ausgehändigt. Dafür wäre nach ihrer Einschätzung ein Preis von 40 000 bis 60 000 Euro angemessen. Tatsächlich kassierte Adriana Barros von September 2000 bis Dezember 2004 über ihre Quartalsrechnungen insgesamt 399 000 Euro von VW.

Es gab »keinen Vertrag mit einer definierten oder kontrollierten Gegenleistung«, so KPMG. Volkert habe Frau Barros einen mündlichen Auftrag erteilt. Das genügte offenbar. Während an anderen Stellen im Volkswagen-Konzern längst nach Sparmöglichkeiten gesucht wurde, konnte Barros einmal im Quartal eine Rechnung an Vorstand Hartz schicken. Der kannte sie, begrüßte sie auf Reisen mit Küsschen links, Küsschen rechts und zeichnete ihre Rechnungen mit »i. O. Hartz« ab. Dann floss das Geld.

Zu jener Zeit war der Wandel des Wolfsburger Arbeiterführers vom bodenständigen Betriebsrat zum Luxus-Lebemann weit gediehen. Vertrauten fiel auf, dass Volkert auf Reisen kein Zimmer, sondern eine Suite bezog. Er sprach von »meiner Fabrik«, wenn es um das Werk Wolfsburg ging, und er prahlte: »Ein Anruf genügt, und der Firmenflieger steht für mich bereit.«

Die Selbstbedienung erreichte ein Ausmaß, das trotz der inzwischen von Wirtschaftsprüfern und Staatsanwälten ermittelten Fakten nur schwer glaubhaft erscheint. Basis dafür war das von Hartz installierte Abrechnungssystem, in das selbst die Konzernrevision keinen Einblick nehmen durfte. Es funktionierte wie eine Gelddruckmaschine, die es Volkert über viele Jahre hinweg ermöglichte, seine Beziehung zu Adriana Barros zu pflegen. Er konnte seine Freundin für ein paar gemeinsame Tage oder eine Woche nach Barcelona, Paris oder Berlin einfliegen lassen. Für das Jahr 2003 beispielsweise zeichneten die Staatsanwälte folgende Reisen nach:

8. bis 18. Januar 2003: Volkert und Barros in Indien.

20. bis 21. Februar 2003: Volkert und Barros in Prag.

2. bis 5. März 2003: Volkert und Barros in Genf (Autosalon).

April 2003: Volkert und Barros in Lissabon (Präsidium des Europäischen Betriebsrats). Zwischendurch flogen die beiden für eine Nacht nach Casablanca.

4. bis 8. August 2003: Volkert und Barros in Dubrovnik.

16. bis 18. September 2003: Volkert und Barros in Prag (Präsidium des Weltbetriebsrats).

28. bis 30. Oktober 2003: Volkert und Barros in Lissabon (Sitzung des Europäischen Betriebsrats).

27. November bis 5. Dezember 2003: Volkert und Barros in Paris (Gesamtbetriebsausschuss).

Und immer zahlte der VW-Konzern. Adriana Barros musste meist aus Brasilien eingeflogen werden. Sie reiste von São Paulo über Frankfurt zu den jeweiligen Treffpunkten mit Volkert, erst Business, später First Class. VW zahlte und zahlte und zahlte. Insgesamt eine Million Euro gab der Konzern nach Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer für Reisen von Barros, für Beraterverträge und Filme aus, die Volkerts Freundin erstellt hatte. »Ich bin keine Prostituierte«, sagt Barros, »sondern habe für VW gearbeitet.«

VW pervers: Der Betriebsrat vereinbarte, dass die Beschäftigten der Auto 5000 GmbH länger arbeiten müssen für ihr Geld - und Volkerts Geliebte war so etwas wie die Eine-Million-Euro-Frau des Konzerns.

Aber warum eigentlich? Bekam außer Gebauer und Hartz niemand mit, welches Luxusleben der Konzern seinem Arbeiterführer und dessen Geliebter finanzierte? Piëch und Pischetsrieder erklären, sie hätten nichts davon gewusst. Gebauer sagt: »War Adriana zufrieden, war Volkert zufrieden, und dann war auch Piëch zufrieden.«

Auch andere Vorstände bemühten sich um ein gutes Verhältnis zum Betriebsratsboss.

Und das wusste der zu nutzen. Bei einem Fußballspiel des VfL Wolfsburg legte er Einkaufsvorstand Francisco Garcia Sanz eine Firma ans Herz, die dieser bislang nicht kannte: Aquanálise in Brasilien. Kurz darauf erinnerte er den Chefeinkäufer schriftlich an das Unternehmen. Sein Ansprechpartner sei Rogério B. gewesen, teilte Volkert mit und schloss: »Über eine Information zu dieser Angelegenheit würde ich mich freuen.«

Garcia Sanz setzte seine brasilianischen Kollegen in Marsch. Die Firma Aquanálise konnte sich als Lieferant registrieren lassen und sollte bei Ausschreibungen berücksichtigt werden. Doch als darüber hinaus nichts geschah, fasste Vorstand Sanz persönlich nach. »Berücksichtigen alleine reicht nicht«, notierte er handschriftlich. »Da ich ja Herrn Volkert eine Antwort geben muss, würde ich Sie bitten, der Firma eine Anfrage zu schicken.« Man bekomme »ja den Eindruck, Ihr wollt nicht«. Und fast schon drohend: »Bitte noch diese Woche Info wann Anfrage raus geht. MfG F. Sanz.«

Die Intervention des großen Konzernvorstands hatte Erfolg. Aquanálise konnte Reinigungsflüssigkeit an Volkswagen do Brasil liefern. Die Revision stellte später fest, dass Aquanálise zeitweise teurer war als die Konkurrenz. Aber das störte offenbar nicht. Der von Volkert empfohlene Repräsentant des Unternehmens, Rogério, ist der Bruder seiner Geliebten Adriana.

Diese kleine Geschichte zeigt, wie weit der starke Arm des Klaus Volkert reichte. Der Betriebsrat war keine Gegenmacht zur Kapitalseite. Er war die Macht. Als es einmal Kritik an Hartz gab, offenbarte Volkert, wie er die Kräfteverhältnisse im Autokonzern einschätzte: »Wer Hartz angreift, bekommt es mit mir zu tun.«

Dabei erfüllte der Betriebsratschef das Klischee vom kleinen Mann, der sich nach oben kämpft und dann skrupellos abkassiert, derart perfekt, dass es fast schon wie eine Parodie wirkte - bis hin zum Goldkettchen, mit dem er sich gern schmückte.

Doch Volkert war ein Mann mit zwei Gesichtern. Die Wolfsburger VW-Arbeiter erlebten einen ganz anderen Volkert. Für sie war er bis zu seinem erzwungenen Rücktritt »der Klaus«, der Kumpel, der es geschafft hat und sich dennoch mit ihnen bei Buletten und Bier zusammensetzt. Der auf Betriebsversammlungen denen da oben im Vorstand kräftig einen mitgab. Dem Vorstandsvorsitzenden vor allem, Bernd Pischetsrieder. Der müsse endlich mal »Dampf machen«, forderte Volkert, und alle klatschten.

Der doppelte Volkert hätte sein Spiel wohl noch bis zu seiner Pensionierung durchhalten können, wenn VW-Chef Pischetsrieder dem nicht ein Ende bereitet hätte. Der Konzernchef hatte von einem skandalträchtigen Auftritt des Personalmanagers Gebauer gehört. Die Chefin eines Berliner Hotels hatte sich beschwert, Gebauer sei volltrunken und mit einer fast nackten Frau im Arm durch die Lobby gelaufen. Als die Hotelmanagerin ihn später zur Rede stellte, habe er gedroht, der gesamte VW-Konzern würde nie wieder Zimmer in ihrem Hotel buchen.

Pischetsrieder forderte schon im Januar 2004 bei Hartz die Entlassung Gebauers. Hartz und Volkert setzten sich dafür ein, dass der Personalmanager bleiben durfte, und der VW-Chef gab nach.

Ein Jahr später fand die VW-Revision heraus, dass Gebauer und Skoda-Personalvorstand Helmuth Schuster an einem Prager Unternehmen beteiligt waren, das Geschäfte mit dem VW-Konzern machen wollte. Jetzt bestand Pischetsrieder auf der Entlassung von Gebauer und Schuster. Die Reaktion des Volkswagen-Bosses war konsequent. Aber Pischetsrieder ist ansonsten nicht gerade für seine konsequente Personalpolitik bekannt.

In großen Konzernen werden ertappten Managern oft Auflösungsverträge angeboten, mitunter erhalten sie noch eine Abfindung, wenn sie im Gegenzug Stillschweigen versichern über das, was sie mitbekommen haben an Ehrenwertem und weniger Ehrenwertem.

Das war auch bei VW eine nicht unbekannte Praxis. Deshalb gehen im Wolfsburger Konzern viele davon aus, Pischetsrieder habe geahnt, dass ein entlassener Gebauer Amok läuft und mit seinen Erzählungen Volkert und Hartz in Bedrängnis bringen dürfte. Der VW-Chef sagt: Das habe er weder geahnt noch gewusst. Er sei »einfach nicht bereit gewesen, etwas unter den Tisch zu kehren«. So wurde dem Betriebsratsvorsitzenden die Maske heruntergerissen, und was sich zeigte, war gar nicht schön.

Volkert kann nur noch darauf warten, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren abschließt. Andere Betriebsräte, die ein paar Mal auf Konzernkosten Prostituierte besuchten, hoffen auf eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße. Volkert muss mit einer Anklage wegen Beihilfe zur Untreue rechnen, Hartz mit einer wegen Untreue.

Auf Volkert und Hartz kommen außerdem Schadensersatzforderungen zu, die nach Schätzungen eines Mitarbeiters der VW-Revision jeweils bei mehreren hunderttausend Euro liegen werden.

Volkerts Reaktion auf den eigenen Absturz hat einige überrascht. Er ist nicht zu seiner Geliebten nach Brasilien geflohen. Er hat die Beziehung abgebrochen und ist in Wolfsburg geblieben. Er hänge, sagte er Freunden, an seiner Tochter und dem Enkelkind. Das VW-Gelände hat er seit seinem Rücktritt kein einziges Mal mehr betreten. DIETMAR HAWRANEK;

MICHAEL FRÖHLINGSDORF

Zur Ausgabe
Artikel 41 / 101
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren