Zur Ausgabe
Artikel 25 / 73

»Der Erfolg hat uns total überrascht«

Westdeutschlands Auto-Manager tragen Zuversicht zur Schau. Zum erstenmal seit Ausbruch der Ölkrise steht die PS-Zunft vor einer neuen Konjunktur. Eingeleitet wurde die Renaissance des Automobils, aber auch der härtere Wettbewerb der Branche vom VW »Golf«. Der »Käfer-Killer« wurde Deutschlands klassenloses Automobil.
aus DER SPIEGEL 37/1975

Zwanzig Monate jammerten sie -- seit zwei Wochen jubeln sie wieder: Am 26. August verkündeten Westdeutschlands Fahrzeug-Manager über ihren Verband der Automobilindustrie (VdA) das jähe Ende der Tristesse: »Wir haben«, sprach Verbandspräsident Johann Heinrich von Brunn, »die Talsohle durchschritten.«

Steigende Zulassungsziffern und sinkende Importe aus anderen Auto-Ländern machten die Auto-Manager euphorisch. Die Pleite aller konkurrierenden Nahverkehrssysteme und wachsende Gewinn-Chancen auf den Dollarmärkten, der Rückzug der Anti-Auto-Fronde und der wiederkehrende Spaß der Deutschen am PS-Spiel gaben den Branchen-Größen ihre heile Welt zurück. Die 46. Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt gerät ihnen zum Tempel teutonischer Tüchtigkeit.

Drinnen in Halle 5, gleich beim Westeingang, wird Bundespräsident Walter Scheel am Donnerstag gegen zwölf dem Star der Auto-Renaissance ins Gesicht schauen: Auf einem polierten Drehpodest schwebt -- silbermetallic, viertürig und in teurer GTI-Version mit 110 PS -- Wolfsburgs neues Wohlstandssymbol, der Käfer-Killer VW »Golf«.

Als Golf in schlicht und Golf in schwarz, als Golf in Spar- und Golf in Sprintversion, als Golf für Einsame und Golf für Familien war der Mitte vergangenen Jahres präsentierte VW-Neuling auf Anhieb zum Renner der Saison geworden. Seit genau einem Jahr steht das eckige Gefährt an der Spitze der deutschen Zulassungsskala.

Nie, so hatte VW-König Heinrich Nordhoff, der zwanzig Jahre lang Herrscher über Käfer. Kasse und Konzern in Wolfsburg war, proklamiert, könne der Käfer ersetzt werden. Auf undenkbare Zeiten, erzählten VW-Manager noch lange nach dem Tode des Monarchen, werde der Käfer das Rückgrat der Produktion bleiben.

Der bis zu 6000mal am Tag hergestellte Käfer markierte für Deutschlands Produzenten die Untergrenze des Automobils: Zwanzig Jahre lang hatte keine deutsche Fabrik mit Gewinn einen Kleinwagen bauen können, der billiger war als der VW. Auf dem VW-Preis bauten die US-Töchter Opel und Ford die Preislisten ihrer kleinsten Kreationen »Kadett« und »Escort«. Den Markt der ganz Kleinen überließen sie Franzosen und Italienern. Erst als der Käfer wankte, fiel das Eckdatum der deutschen Auto-Industrie. Mit dem Desaster von VW fuhr die gesamte Fahrzeugindustrie bergab -- die exklusive Auto-Manufaktur Daimler-Benz ausgenommen. Schon 1972, als bei VW die ersten Schwächezeichen kamen, waren die Zulassungen in der Bundesrepublik unter die des Rekordjahres 1971 gefallen. 1973 waren sie niedriger als 1970, und 1974 -- dem schwärzesten Jahr der Branche und des VW-Konzerns -- sackten sie gar unter den Stand von 1969.

Vorbehalte gegen das Automobil schärften die Krise an. 1973 noch konnte Städtebauminister Hans Jochen Vogel mit dem Refrain »Das Auto mordet unsere Städte« auf Stimmenfang gehen. 1973 noch irritierte die Lawine immer größerer, teurerer und aufwendigerer Karossen die Zunft der linken Gesellschaftskritiker. Im Herbst des gleichen Jahres verstörten die Ölkrise, hohe Benzinpreise und niedriges Tempolimit das sonst so willige Käuferheer.

Die große Krise traf das PS-Gewerbe wie ein wüstes, eruptives Beben. In den Büros der Auto-Direktoren breitete sich Endzeitstimmung aus. Denn niemand, auch die Professoren des Club of Rome nicht, hatte einen so abrupten Stopp der Blechlawine vorhergesehen. Niemand, selbst die vorsichtigen Mercedes-Manager nicht, hatten den Abbruch der Autokonjunktur noch in den siebziger Jahren vermutet -- 1980, 1982 oder gar 1985 sollte er kommen -- keinesfalls früher.

Die Großen des Gewerbes reagierten verstört, hilflos, über die Maßen erschrocken. Von »Tod« (Porsche-Chef Ernst Fuhrmann). »Katastrophe« (BMWs damaliger Verkaufschef Lutz) und »Untergang« (VW-Chef Leiding) war die Rede. Die Hersteller von Großserienwagen schrieben rote Zahlen. Da startete VW-Chef Rudolf Leiding, dessen Unternehmen 1974 rund 800 Millionen Mark verlor, im Mai 1974 den Golf.

Den Golf hatte Leiding, als er 1971 den gescheiterten Generaldirektor Kurt Lotz ablöste, als halbfertige Modellstudie vorgefunden. Praktiker Leiding baute um den Golf und den vom Audi 80 abgeleiteten VW-,"Passat« ein Programm leichter, flotter Frontantriebler, die gemeinsam den Käfer ablösen sollten. »Der Golf«, durfte Leidings Öffentlichkeitsarbeiter Horst Backsmann lediglich verraten, »ist unsere große Hoffnung.« Indes -- das putzige kleine Gefährt. kurz, hoch und steif, unprätentiös und sparsam, kompakt und vielseitig, erwies sich rasch als ein klassenloses Automobil, wie es vorher nur der »Käfer« gewesen war. Und wie ihn chauffierten ihn bald Arbeitslose und Spitzenverdiener, Rentner und Direktoren, Hausfrauen und Feierabend-Sportler.

»Neue Dimensionen im Wettbewerb.«

Der Golf brachte die starren Märkte in Bewegung. Unter dem Golf-Erfolg schrumpften die Marktanteile der Konkurrenten Opel und Ford. Im Oktober 1974 wurden vom Golf mehr verkauft als von sämtlichen Opel-Personenwagen zusammen. Und Opels Konkurrent Ford, einstmals zu 18 Prozent am deutschen Markt beteiligt, fiel auf acht Prozent Marktanteil zurück,

Unter den Golf-Schlägen reagierte die Branche. Fords neuer Generaldirektor Robert Lutz erkannte »eine neue Dimension im Wettbewerb«, der sich bis dahin »einfallslos auf Preise, Werbung, Modelle« beschränkt hatte. Aus den Schubfächern des eingeschüchterten Ford-Managements holte der neue Mann fertige Pläne über verdoppelte Garantiefristen heraus, die er mit dem Angebot von »Komplett-Autos« -- Extras im Preis inbegriffen -- kombinierte. Lutz: »Diese beiden Aktionen haben uns sehr viel gebracht.« Der Ford-Marktanteil schnellte auf 14 Prozent hoch -- 20 Prozent will Lutz erreichen.

Damit die Kölner ihn nicht erreichen. zogen Deutschlands Auto-Konzerne nach: VW, Opel, BMW und Daimler-Benz garantierten -- ohne Kilometerbegrenzung -- für ein volles Jahr, die Sportwagenfirma Porsche gar bei ihrer neuen feuerverzinkten Karosse für sechs Jahre. Schmücker: »Als wir merkten, daß Fords Angebote bei unentschiedenen Käufern den Ausschlag gaben, mußten wir handeln.«

Die Handlung kostet Geld. BMW-Chef Eberhard von Kuenheim ("Der Wettbewerb ist ein paar Klassen härter geworden") beziffert den Anteil der Garantiekosten auf bis zu 140 Mark je Auto. Die Verlängerung der Fristen traf das Münchner Unternehmen besonders hart. Während Opel, Ford und VWs rund 13 000 Kilometer im Jahr rollen, fahren BMWs 28 000. Prompt erhöhte Kuenheim den Preis seiner Gefährte um 3,8 Prozent -- selbst die Preise der acht Wochen vorher auf den Markt gerollten Typenreihe 318/320. Daimler-Benz, deren Autos wegen der vielen Taxen gar 30 000 Kilometer im Jahr fahren, will die Preise dieses Jahr halten.

Nicht nur neuen Wettbewerbswirbel entfesselte Wolfsburgs Golf, er wurde bald auch zum Rammbock wider die ausländische Konkurrenz. Er und der von ihm abgeleitete Audi 50 rollten in ein Marktsegment ein, das der Käfer längst nicht mehr füllen konnte: in die Nische der kleinen Kompakten, die bis dahin von Fiat, Renault, Peugeot, Simca und Citroen verstellt war. Noch im Frühjahr 1975 hielten Italiener und Franzosen 27 Prozent des deutschen Marktes. Im Spätsommer 1975 waren es gerade noch 20 Prozent.

Der im Vergleich zum Käfer hohe Golfpreis ermunterte freilich die amerikanischen Tochtergesellschaften Opel und Ford, sich an die von Rudolf Leiding entfachte Kleinwagen-Konjunktur anzuhängen. Anfang nächsten Jahres schon werden beide mit zusätzlichen »Compacts« zur Stelle sein. Schon vorher hatte Ford die Golf-Position mit seinem im Januar auf die Straße gebrachten neuen Escort angegriffen -- und damit vorwiegend den Opel »Kadett« getroffen. Im August begann Opel mit neuen Ascona- und Manta-Modellen den Angriff auf Fords »Capri« und »Taunus«, aber auch auf VW-Schmückers zweites Zugpferd, den VW-»Passat«. Im Gegenzug bereiten die Kölner Ford-Werke nun einen neuen Ford-,"Taunus« vor.

Um auch letzte Käuferreserven vorzulocken, prunken die drei Konkurrenten neuerdings wieder mit sogenannten heißen Öfen. Der VW-Konzern bringt seine Superleichten als Golf GTI mit 182 und als Audi 80 GTE mit 185 Stundenkilometer Spitze auf die Räder, Ford den 180 Kilometer schnellen Escort RS 2000 und Opel einen fast 200 Kilometer raschen Rallye-Kadett -- Leichtgewichte nahe an der Abhebegeschwindigkeit eines Düsen-Klippers.

Die vom Golf begonnene Offensive in der kleinen Klasse brachte den heimischen Massenmarkt zurück in deutsche Hand. Auf dem Europa-Markt fürchten die Deutschen nur noch Französen, Italiener und den schwedischen Volvo-Konzern, der den Daf-Kleinwagen nun als »Volvo 66« puschen will. Auf dem Weltmarkt streiten sie sich Vor allem mit den Japanern. »Die Briten«, so Daimler- Direktor Helmut Schmidt dagegen, »nehmen wir eigentlich nicht mehr so ernst.«

Problem-Markt der Deutschen indes bleiben die USA. Dort brach der Markt für VW in der Endzeit des Käfers nahezu nieder. Der neu eingeführte Golf dagegen, von dem US-Händler nicht so viele zugeteilt bekommen, wie sie haben möchten, fuhr zunächst wegen des ruinösen Dollarkurses Verluste ein. VW-Chef Leiding im Herbst 1974: »Mit jedem Golf verlieren wir ein paar hundert Mark.«

Leidings Nachfolger Toni Schmücker hat es da ohne eigenes Zutun leichter. Seit der Dollarkurs die kritische Marke von 2,40 überschritten hat, wird in-Amerika wieder flott verdient. Freilich -- auch jetzt noch verkaufen die VW-Leute in den USA allenfalls 60 Prozent ihrer Stückzahlen aus dem Rekordjahr 1970.

Der Dollar-Kurs rettete die VW-Bilanz. Ford und Opel sind, seit sie ihre Anlagen wieder zu rund 80 Prozent auslasten, in die Gewinnzone zurückgerollt. Rekordgewinne steckt Daimler-Benz ein: Das Stuttgarter Unternehmen arbeitete während der gesamten Krise mit voller Kapazität. Unbeirrt von neuen Wettbewerbern wie dem Peugeot 604, dem Citroen CX, dem Renault 30 TS und dem neuen Jaguar, wird Daimler dieses Jahr 345 000 Personenwagen und 180 000 Lastwagen und Omnibusse absetzen -- und an jedem wird verdient. Schon jetzt ist deutlich, daß die Stuttgarter Firma ihre Dividende erhöhen muß, weil der Supergewinn von 1975 sonst kaum unterzubringen ist.

Wie andere auch hat Daimler-Benz dennoch die Krise genutzt, Personal abzubauen und die Kosten zu filzen. Insgesamt strich Westdeutschlands Fahrzeug-Industrie 70 000 Arbeitsplätze. Am schnellsten reagierten die US-Tochterunternehmen Ford und Opel -- ihre Muttergesellschaften in USA lieferten dank vorher durchgestandener Krisen rechtzeitig das Know-how dafür. »Als wir noch Leute einstellten« erinnert sich ein VW-Manager. »waren die schon voll am Feuern.« Einmal in der Gesundungskur« war das Gewerbe auch mit den Preisen nicht zimperlich -- seit Anfang 1973 schlugen die deutschen Hersteller 15

bis 25 Prozent drauf. Die ausländische Konkurrenz, besonders die Franzosen, taten den Deutschen den Gefallen, bei sämtlichen Preiserhöhungen mitzuziehen. Denn die Bundesbürger, nach einem Jahr Askese. wollen zurück zum Automobil. »Bis Jahresende«, vermutet Achim Dickmann vom VdA, »wird die Zweimillionengrenze im Pkw-Absatz wieder erreicht sein.« Dauermarkt für zwei Millionen Autos?

Indes wähnt sich -- vor allem wegen der Exporte VW-Schmücker noch »auf sehr dünnem Eis«. VW- und Audi-Händler Fritz Haberl von der süddeutschen Mahag ist »da gleichfalls nicht so euphorisch«, und selbst der flinke Lutz wiegelt ab: »Im besten Fall wird soviel produziert wie im vergangenen Jahr.«

Viel mehr, so rechnen professionelle Auto-Propheten aus, wird es auch künftig nicht werden. Schon in wenigen Jahren, sagt eine neue Prognose der Deutschen Shell AG, ist die Marktsättigung da -- die Industrie arbeitet dann außer für den Export allein noch für den Ersatzbedarf. Den aber schätzen Kenner auf 2,2 Millionen Exemplare -bei einer Fertigungskapazität von 4,2 Millionen Stück in Deutschland.

Der Autorausch des späten Sommers fällt in den Herbst der Fahrzeug-Industrie. Die große Expansion der fünfziger und sechziger Jahre, geprägt durch den VW-Käfer, ist vorbei. Der Käufer, sagen die Propheten, verliebt sich nicht mehr in sein Auto -- er nutzt es nur.

Niemand in der Branche kann deshalb jene 2,2 Millionen Ersatzautos pro Jahr fest kalkulieren. Wenn nur ein Zehntel der Käufer mit dem Neukauf ein Jahr länger wartet als sonst, fallen Aufträge über 200 000 Autos aus. Zudem, vermutet BMW-Chef Eberhard von Kuenheim, wird das Durchschnittsauto der Deutschen nicht mehr ganz so üppig sein, wie bisher vermutet -- Golf-Zeit?

»Der Erfolg des Golf«, staunte gleichwohl der vom Sozialpsychologischen kaum angekränkelte VW-Boß Toni Schmücker, »hat uns total überrascht.«

Zur Ausgabe
Artikel 25 / 73
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren