HANDEL Der lachende Vierte
Das Kaffeekränzchen traf sich meist am Wochenende - und in gediegener Umgebung. Mal tagten die Manager auf Sylt. Mal in Bremen. Während für ihre mitgereisten Gattinnen ein Damenprogramm organisiert wurde, zogen sich die Herren zurück. In den Hotel-Hinterzimmern ging es dann zwar um Kaffee, aber weniger ums Verwöhnaroma als um das knallharte Bohnen-Business.
Das zumindest glauben die Ermittler der Abteilung 11 des Bundeskartellamts. Seit Sommer 2008 sind sie einem Kartell der Kaffeeröster auf der Spur. Im Zentrum: mehr als ein halbes Dutzend Vertriebsmanager und Geschäftsführer der vier größten deutschen Kaffeeröstereien. Seit mindestens Januar 2000 sollen die Akteure bei regelmäßigen Treffen »Höhe, Umfang, Zeitraum und Zeitpunkt« von Preiserhöhungen besprochen haben. Auf diese Weise sei der Kaffeepreis über Jahre hinweg künstlich hochgehalten worden, glauben Ermittler.
Seit vergangener Woche ist der Fall aus Sicht der Bonner Wettbewerbshüter hinreichend dokumentiert. Das Ergebnis: Tchibo, Melitta und Dallmayr sollen wegen unerlaubter Preisabsprachen 160 Millionen Euro Bußgeld zahlen, aufgefächert gemäß ihren Marktanteilen (siehe Grafik). Einspruch ist aber noch möglich.
Der vierte Kartellbruder, der US-Lebensmittelkonzern Kraft Foods mit seiner deutschen Kaffeemarke Jacobs, kommt wohl ungeschoren davon. Kraft ist der Kronzeuge der Behörde und hat die Ermittlungen erst ins Rollen gebracht.
Doch aus dem Kartell der Kassierer ist mittlerweile ein Kartell des Schweigens geworden. Kaum ein Beklagter will sich äußern. Schon gar nicht Kraft. Die Entrüstung im Land ist umso lauter: 148 Liter Kaffee trinken Deutsche durchschnittlich im Jahr. Nach Berechnungen von Verbraucherschützern haben sie seit dem Jahr 2000 durch die Absprachen 4,8 Milliarden Euro zu viel gezahlt.
Dabei begannen die aktuellen Ermittlungen gar nicht im Bohnen-Geschäft. Vieles spricht dafür, dass die Aufdeckung des Kaffeekartells am 7. Februar 2008 in Bremen startete, in der Deutschland-Zentrale von Kraft. Stundenlang durchsuchten die Fahnder Büros, nahmen Akten, Kalender und Laptops mit. Kurz zuvor hatten sie Wind von einem Treffen mehrerer Süßwarenhersteller bekommen und witterten ein Schokoladen-Kartell.
Allem Anschein nach war man bei Kraft aufgeschreckt. Was, wenn in den beschlagnahmten Akten Hinweise auf ein anderes Kartell zu finden wären, etwa in der Kaffeebranche? Kraft trat offenbar die Flucht nach vorn an - und erstattete Selbstanzeige. Diese Kronzeugenregelung gibt es seit dem Jahr 2000. Inhalt: Wer als Erster gesteht, kann straffrei bleiben.
Als die Fahnder am 3. Juli 2008 erstmals bei Tchibo, Dallmayr und Melitta anrückten, blieb die Bremer Kraft Foods - Zufall oder nicht - von Nachstellungen verschont.
Dabei sollen allein zwei illegale Preisabsprachen aus dem Dezember 2004 und dem April 2005 den Preis für die 500-Gramm-Packung um durchschnittlich einen Euro verteuert haben. Tatsächlich hatte Kraft - mit einem geschätzten Marktanteil von 23,5 Prozent der Branchenprimus - zum Jahresende 2004 eine deftige Preiserhöhung von 70 Cent pro Packung angekündigt.
Dallmayr und Melitta zogen nach. Erstmals seit vier Jahren stiegen die durchschnittlichen Kaffeepreise - um sagenhafte 15 Prozent. Ähnliche Absprachen soll es auch 2007 und 2008 gegeben haben. Solche Verabredungen funktionieren allerdings nur auf einem Markt wie dem Kaffeegeschäft, wo das vermeintliche Verschwörerquartett 65 Prozent des Umsatzes kontrolliert.
Dabei sei das Kaffeekartell nur ein Akt der Notwehr, sagen Insider. In kaum einer anderen Branche gelten die Gewinnmargen als so gering wie im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Deshalb versuchen nicht nur die Discounter, sondern auch Edeka, Rewe und Tengelmann, die Preise ihrer Lieferanten immer weiter zu drücken. Das bekamen in den vergangenen Jahren auch die Röster zu spüren. Der Kaffeepreis liegt heute auf dem Niveau von 1970. »Da ist es ganz schwer, etwas zu verdienen«, klagt ein Kaffeemanager.
Hinzu kommt der Einstieg der Discounter mit Eigenmarken. Aldi ist heute bereits einer der größten Röster im Land. Das setzte die sogenannten Premiumhersteller weiter unter Druck. Und nicht nur die.
Längst hat das Röst-Verfahren zu weiteren Kartell-Ermittlungen geführt: Seit Januar werden vier Hersteller von Cappuccino-Pulver durchleuchtet und zehn Kaffeefirmen, die den Gastronomiebereich beliefern. Darunter ist erneut Melitta, wie eine Sprecherin nun einräumte. Auch den Vorwurf gegen das Vierer-Kaffeekartell gibt sie grundsätzlich zu, doch die 28 Millionen Euro Strafe seien zu hoch.
Ähnlich kleinlaut wirkte auch die Reaktion der Firma Dallmayr, an der Nestlé zu 25 Prozent beteiligt ist. Zwar kritisierte der Röster die Geldbuße als »völlig überzogen« - das Wort »ungerechtfertigt« fiel aber nicht. NILS KLAWITTER, JÖRG SCHMITT