FLUGZEUGBAU Der Luft-Angriff
So harmonisch können die transatlantischen Beziehungen sein, auch wenn es ums Geld geht: Henry Kissinger, Altmeister der amerikanischen Außenpolitik, warb am Mittwochabend vergangener Woche um Spenden für den Wiederaufbau des Stadtschlosses im fernen Berlin.
In New York, wo er wohnt und arbeitet, habe man zwar wenig Verständnis dafür, dass er Geld für Berlin eintreibe, sagte er bei einem Wohltätigkeitsdiner in der deutschen Botschaft in Washington. Aber für den Fall großzügiger Spenden versprach er zur Stadtschlosseröffnung im Jahre 2015 höchsten Besuch aus Amerika: »Dann kommt US-Präsident John McCain in seiner zweiten Amtszeit.« Freundliches Gelächter. Ein Prosit der Gemeinsamkeit.
Zur gleichen Zeit spielten sich im Rest des Landes weit weniger herzliche Szenen ab. Eine Ankündigung des Verteidigungsministeriums hatte Politiker aller Parteien in Aufregung versetzt: Das Pentagon will den zweitgrößten Einzelauftrag in seiner Geschichte an ein Konsortium unter Beteiligung des europäischen Airbus-Konzerns vergeben - und damit den heimischen Luftfahrtgiganten Boeing leer ausgehen lassen.
Es geht um weit über hundert Tankflugzeuge. Es geht aber auch um Standortpolitik und die Arithmetik globaler Wirtschaftsmacht.
In Chicago, wo die Boeing-Zentrale und das Hauptquartier des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama beheimatet sind, meldete sich umgehend der Jungsenator zu Wort. Er wolle nicht glauben, »dass eine amerikanische Firma, die traditionell in der Luftfahrt erfolgreich ist, diesen Job nicht erledigen könnte«, sagte Obama.
Seine Konkurrentin Hillary Clinton legte nach. Sie sei »tief besorgt«, dass die Regierung von Noch-Präsident George W. Bush entschieden habe, »die Tanker im Ausland zu produzieren«, sagte sie. Gemeinsam mit ihrer Parteifreundin Nancy Pelosi sah sie sogar »nationale Sicherheitsinteressen« berührt.
Der republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain gab sich überraschend vorsichtig. Er fragte sich lediglich, ob die Luftwaffe »ihre eigenen Regeln fair angewendet hat«. Ansonsten wolle er erst die Details des Deals prüfen, bevor er sich äußere. Doch die Parteibasis der Republikaner ist aufgewühlt.
Die Auftragsvergabe gilt vielen als unpatriotisch. Eine tiefsitzende Angst vor der Globalisierung hat weite Teile der Bevölkerung erfasst. Den freien Welthandel, gestern noch das Zeichen imperialer Stärke, sehen viele nun als Bedrohung.
In industrielastigen Bundesstaaten wie Ohio glauben 80 Prozent der Befragten, so eine aktuelle Umfrage in der »Washington Post«, dass vor allem der Freihandel für die Jobverlagerung verantwortlich ist. Lautstark fordern die Wähler den Schutz ihrer Arbeitsplätze. Und die Politiker greifen das Thema begierig auf.
Erfolg hat viele Maßstäbe: Was dem Airbus-Manager seine verkauften Flugzeuge, sind dem Polit-Profi die ergatterten Wählerstimmen.
Die Währung der Bosse ist der Dollar, die Wahlkämpfer rechnen in Delegiertenstimmen. Wenn der eine seine Geschäfte auf Kosten des anderen macht, wenn also auf der einen Seite die Dollars klingeln,
während auf der anderen die Wahlaussichten schwinden, ist Ärger programmiert.
Vor allem die Stimmung unter den klassischen Werktätigen ist schlecht. In den USA ist die Zahl der Industriejobs in den vergangenen 30 Jahren um ein Drittel geschrumpft. Der größte Teil fiel in traditionellen Arbeiterstaaten wie Ohio, Michigan oder Illinois weg. Der ehemals größte Netto-Exporteur USA ist zum Land mit einem enormen Handelsbilanzdefizit geworden. Nun scheint selbst der Staat seinen eigenen Firmen zu misstrauen, wenn er schon Großaufträge ins Ausland vergibt.
Sollte die gerichtliche Prüfung des Airbus-Geschäfts, wie sie Boeing derzeit erwägt, ergeben, dass tatsächlich alles mit rechten Dingen zuging, wäre das von allen denkbaren Ergebnissen sogar das schlimmste. Denn dann bekämen die Amerikaner schwarz auf weiß bestätigt, was Experten schon länger anprangern: die dramatisch gesunkene Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft.
Praktisch alles, was der moderne Mensch zum Leben braucht, wird heute nach Amerika eingeführt: Die Shrimps kommen aus Thailand, die Fernseher aus Taiwan, das Kinderspielzeug liefert China - und das Verteidigungsgerät stammt künftig aus Europa, zumindest Teile davon.
Bisher war wenigstens die Ausstattung der Streitkräfte heilig - und der heimischen Industrie vorbehalten. Die aktuelle Auftragsvergabe des Pentagon ist daher beides: Provokation und Tabubruch - gerade weil ihr knallharte Qualitätsanforderungen für die Produkte beider Hersteller zugrunde lagen.
Eilig trafen sich wütende US-Abgeordnete am Mittwoch vergangener Woche zu einer Sondersitzung des Unterausschusses für Verteidigungsausgaben. »Die Luftwaffe hat einen großen Fehler gemacht«, grollte der Abgeordnete Norm Dicks aus dem Bundesstaat Washington, wo der Schwerpunkt der Boeing-Fertigung liegt.
»Alle Hauptteile des Tankers werden in Europa gebaut«, klagte er. »Ich hoffe, wir können das Richtige tun: das Flugzeug von einer amerikanischen Firma bauen lassen, mit amerikanischen Arbeitern.« Der Demokrat John Murtha drohte: »Der Ausschuss finanziert dieses Programm. Und alles, was wir tun müssen, ist, das Geld stoppen, und nichts bewegt sich.«
Es war die Sternstunde der Demagogen und Polemiker. Ein Demokrat aus Illinois sagte: »Nachdem wir sichergestellt haben, dass Irak neue Schulen, Straßen, Brücken und Dämme bekommt, die Amerika nicht kriegt, stellen wir jetzt sicher, dass Franzosen die Jobs kriegen, die früher die Amerikaner hatten.«
Der mächtige kalifornische Abgeordnete Duncan Hunter beschwerte sich gar, dass mit den Einnahmen aus den Aufträgen »die Staatssäckel der europäischen Regierungen« unterstützt würden. Es seien dieselben, »die sich weigern, uns im Kampf gegen den Terror zu unterstützen«. Und der republikanische Senator Sam Brownback warnte davor, dass US-Soldaten nun womöglich Französisch lernen müssten, um ihr Material künftig bedienen zu können.
Im Airbus-Land Deutschland dagegen herrscht Hochstimmung, zumindest in den Chefetagen von Wirtschaft und Politik. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist der Zuschlag in den USA ein »Riesenerfolg«. Mit dem Auftrag des Pentagon besitzt die Airbus-Führung ein wichtiges Druckmittel, um einen seit längerem geplanten Strategiewechsel durchzusetzen, der sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Raus aus Europa! Der Großauftrag könnte helfen, Produktionskapazität in Staaten außerhalb der EU zu verlagern. Deshalb sind die Gefühle der hiesigen Belegschaften nicht ganz so euphorisch.
So werden beispielsweise die Mitarbeiter des EADS-Hubschrauberwerks im bayerischen Donauwörth den 10. Januar wohl noch lange in Erinnerung behalten - als Tag der Wahrheit im europäischen Luftfahrt- und Verteidigungskonzern. Viele Angestellte der EADS-Tochter Eurocopter waren gerade erst aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekehrt, da meldete sich hoher Besuch an: ihr oberster Chef Louis Gallois.
Der Spitzenmanager nutzte seine traditionelle Neujahrsansprache gleich für zwei Botschaften: Einerseits wollte er seine Wertschätzung gegenüber den Tüftlern aus Donauwörth bekunden. Andererseits aber kündigte er an, weitere Teile der Wertschöpfung des Konzerns in den Dollar-Raum zu verlegen.
Mittelfristig, so der Franzose, solle der Konzern gut ein Fünftel seiner Angestellten fernab der Heimat beschäftigen, vorzugsweise in Asien und den USA. Bislang
besitzen bei EADS und der wichtigsten Tochter Airbus stolze 97 Prozent der Angestellten einen europäischen Pass.
Auch zugelieferte Teile und komplette Baugruppen wolle der Konzern künftig außerhalb Europas besorgen und sich so gegen einen weiteren Verfall des Dollar schützen, sagte der EADS-Chef. Die US-Währung ist bis heute das Hauptzahlungsmittel im Luftfahrtgeschäft. Fällt der Dollar, sinken bei den Europäern auch die Gewinne. Noch immer muss der Konzern 70 Prozent seiner Kosten in Euro bezahlen.
Bis Freitag vorvergangener Woche sah es so aus, als hätte Gallois nur eine Brandrede unter vielen gehalten - um die eigenen Mitarbeiter, aber auch die Regierungen in den Airbus-Ländern Deutschland, Frankreich und Spanien wachzurütteln. Nun könnten seine Pläne, intern hochtrabend »Vision 2020« getauft, schneller Wirklichkeit werden als erwartet.
Dreh- und Angelpunkt der transatlantischen Verschiebeaktion ist das EADS-Entwicklungszentrum in Mobile im US-Bundesstaat Alabama. Dort forschen schon heute knapp 90 US-Ingenieure für Konzernstandorte in ganz Europa.
Nach den bisherigen Plänen soll an dem Standort künftig nicht nur die Tanker-Variante des Airbus-Erfolgsmodells A330 montiert und vom US-Partner Northrop Grumman mit Elektronik ausgestattet werden. Die Pläne reichen weiter.
Kurz vor der Entscheidung des US-Verteidigungsministeriums war Airbus-Chef Thomas Enders Ende Januar höchstpersönlich zu seinem Ableger gereist, um einen weiteren Köder auszulegen. Sollte sein Konzern zusammen mit Northrop Grumman gewinnen, kündigte er an, in Mobile fortan auch Frachtmodelle des A330 zusammenzubauen.
Dabei muss es nicht bleiben. Ist die Produktion in Mobile erst einmal erfolgreich angelaufen, könnte das US-Provinznest neben Hamburg, Toulouse und Tianjin in China zum weltweit vierten Montagestandort für Passagierflugzeuge aufsteigen. »Dazu gibt es bislang keine Pläne«, sagt ein EADS-Sprecher. Noch nicht.
Dass die Europäer überhaupt als ernsthafte Bieter für den US-Milliardenauftrag akzeptiert wurden, haben sie nicht nur ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken und gezieltem Lobbyismus, wie ihn Boeing auch beherrscht. Es war auch Glück im Spiel sowie ein schwerer Fehler der Konkurrenz.
Mitentscheidend dürfte gewesen sein, dass sich Boeing durch unsaubere Tricks selbst ins Abseits manövriert hatte. Eine hochrangige Air-Force-Mitarbeiterin belieferte Boeing schon in einer frühen Phase der Ausschreibung mit wichtigen, aber vertraulichen Informationen. Im Gegenzug sollte sie später einen gutdotierten Job innerhalb des Konzerns erhalten. Das zwielichtige Geschäft flog auf, übrigens nicht zuletzt dank hartnäckiger Nachfragen des Senators McCain.
Die Frau und ein hochrangiger Boeing-Manager bekamen Haftstrafen, wenig später trat sogar der oberste Konzernchef zurück. Vor allem zwei Männer erkannten die Chance, die der Korruptionsskandal für EADS barg: der damalige Chef der Verteidigungssparte Enders, der heute Airbus führt, und der ehemalige US-Rüstungsmanager Ralph Crosby.
Der Amerikaner hatte beim Wettkampf um die Führung der US-Firma Northrop Grumman den Kürzeren gezogen, wurde von Enders abgeworben und erwies sich als eine der besten Personalinvestitionen, die der EADS-Konzern in seiner bald zehnjährigen Geschichte getätigt hat. Enders und Crosby entwarfen den Masterplan, mit dessen Hilfe sich die Europäer nun den Auftrag für die ersten 179 Tankflugzeuge sicherten - und die Chance, weitere rund 400 Exemplare dieser fliegenden Tankstellen zu produzieren.
Der bekennende Militärfan Crosby war es, der seinen Ex-Konzern als Partner für die heißumkämpfte Ausschreibung anwarb und den US-Triebwerkshersteller General Electric als dritten Mitstreiter an Bord holte. Begleitet von einer geschickten PR-Kampagne wählte er aus gut zwei Dutzend Bewerbern in den USA schließlich die kleine Gemeinde Mobile als Standort für ein Entwicklungszentrum und die spätere Endmontage der Tankerflugzeuge aus - und hatte damit zugleich den Nachbarstaat Mississippi auf seine Seite gezogen.
Denn von dort aus pendeln viele Arbeitnehmer nach Alabama. In Mississippi finden diese Woche Vorwahlen statt. Dort dürften Befürworter und Gegner des geplanten Airbus-Tankerdeals erneut lautstark aufeinandertreffen.
Werden sich die Boeing-Manager wenigstens als gute Verlierer erweisen - oder die Entscheidung doch noch anfechten? Innerhalb von zehn Tagen müssen Boeing-Chef James McNerney und seine Kollegen erklären, ob sie beim US-Rechnungshof Beschwerde gegen die Vergabe einlegen.
Die Behörde hat dann 100 Tage Zeit, den Deal zu untersuchen. Vieles spricht dafür, dass die Amerikaner versuchen werden, den Entscheid auf juristischem Wege zu kippen.
Rätselhaft ist vor allem, weshalb die Boeing-Manager ausgerechnet ihren technisch veralteten Langstreckenjet vom Typ 767 als Basis für den Tanker-Wettbewerb ausguckten. In der Ausschreibung, rechtfertigt sich Boeing-Verteidigungschef Jim Albaugh, sei nie die Rede davon gewesen, dass vor allem die Größe und Frachtkapazität der eingesetzten Jets zähle.
Genau diese Vorteile, die der A330 gegenüber dem Boeing-Modell aufweist, gaben nun aber den Ausschlag für die Wahl des Pentagon.
»Wir hätten auch unser größeres Modell 777 anbieten können«, sagt Albaugh, »doch wir wurden davon abgehalten.« Von wem, sagt er nicht. Noch nicht.
DINAH DECKSTEIN, CORDULA MEYER,
GABOR STEINGART