Der Markt-Forscher Nokia hustet - Finnland wankt
Als das Wort "Handy" im Deutschen noch keine Bedeutung hatte, war Finn Crisp, der Knäckebrot-Favorit von Menschen auf Diät, das einzige finnische Produkt, mit dem der normale Verbraucher hier zu Lande bewusst in Kontakt kam. Sonst fiel einem zu Finnland ein Klischee-Dreieck aus Sauna, höchster Selbstmordrate und schnapsdurchtränkten Kaurismäki-Filmen ein.
Dann kam der Siegeszug des Mobilfunks. Wenn heute alle Welt Liebesgrüße per SMS verschickt oder Geschäftsleute über die Freisprechanlage Termine verschieben, dann stehen die Chancen sehr gut, dass sie dabei ein finnisches Produkt in der Hand und ans Ohr halten. Finnland wird von der CallYa-Generation mit Nokia (und vielleicht noch Mika) gleichgesetzt, das Bild vom "Land der tausend Seen" ist vom "Land der Millionen Handys" abgelöst worden.
Das ist - ökonomisch gesehen - auch ziemlich zutreffend. Denn Nokia dominiert heute die Wirtschaft seines Heimatlandes wie keine andere Firma in den Industriestaaten sonst. Zuletzt machte Nokia etwa drei Viertel der Marktkapitalisierung der Börse von Helsinki aus und hat ein entsprechendes Gewicht im finnischen Aktienindex. Über ein Fünftel der finnischen Exporte und mehr als fünf Prozent des Sozialprodukts erwirtschaftet allein Nokia mit seiner Mobilfunktechnologie.
All dies von einer Firma, deren Geschichte fast jedes Klischee bedient. Von den Anfängen in der traditionellen Papierindustrie über die Gummistiefelproduktion bis zum Selbstmord des letzten Chefs vor dem Handyboom. Finnischer und weniger zukunftsträchtig ging es kaum. Vor knapp zehn Jahren setzte Nokia dann alles auf die Mobilfunkkarte und gewann: Im vergangenen Jahr kam weltweit jedes dritte neue Mobiltelefon aus der Produktion von Nokia.
Nokia hat Finnland in die Weltspitze der Hightech-Nationen gebracht, aber auch in eine einzigartige Abhängigkeit. In keiner anderen Industrienation könnte eine Diskussion darüber entstehen, ob man den Aktienindex überhaupt noch berechnen soll, da dessen Verlauf ohnehin eine einzige Aktie bestimmt. In kaum einem anderen Land dürften die Geschäftsaussichten eines Konzerns wichtiger für die Wachstumsprognosen der Volkswirte sein als die Steuerpolitik oder Zinsentwicklung. Wenn Nokia sich auch nur räuspert, geschweige denn hustet, ist eine Bronchitis für die finnische Wirtschaft im Anflug. Und obwohl Nokia nicht zu politischen Drohgebärden neigt, ist klar, dass finnische Politiker Nokia kaum einen Wunsch abschlagen oder eine Unterstützung verweigern könnten.
Für das Paar Nokia und Finnland gibt es zwei Wege. Entweder werden sie zusammen reich und bekommen viele Kinder in Form kleiner Start-ups im Umfeld des Telekomgiganten. Einige von denen werden später vielleicht reich genug, um den Vater Nokia zu ersetzen und die Mutter Finnland zu ernähren. Oder die Ehe bleibt kinderlos, die Karriere von Nokia bekommt irgendwann einen Knick, und Finnland ist gezwungen, einen lahmenden Giganten durchzufüttern. Aber wenn sogar der Sänger der Leningrad Cowboys Gitarre und ellenlange Haartolle abgelegt hat, um mit einem Unternehmen namens WAPit in die Schar der mobilfunkenden Sprösslinge einzusteigen - dann scheinen zumindest die Finnen wirklich an eine fruchtbare Hightech-Ehe zu glauben.