Wirtschaftsgeschichte Immer der Syphilis nach

Einer musste den Job ja machen! In den bizarren Tätigkeiten vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte spiegelt sich der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Autorin Michaela Vieser und die Illustratorin Irmela Schautz porträtieren ausgestorbene Berufe - wie etwa den Quacksalber.
Ein Quacksalber bei der Arbeit: Schokolade gegen Würmer, Zigaretten gegen Ashma

Ein Quacksalber bei der Arbeit: Schokolade gegen Würmer, Zigaretten gegen Ashma

Foto: Irmela Schautz

Quacksalber: im besten Sinne reisender Arzt oder Apotheker, im schlechtesten Scharlatan und Kurpfuscher

Aber auch: Bader, Kurpfuscher, Steinschneider, Zahnbrecher, Chirurg

Erkennungszeichen: lautes Mundwerk, Wundertaten

Aktive Zeit: 14. bis 19. Jahrhundert, später übernahm der Versandhandel seine Aufgaben

Auch wenn im Mittelalter dem Zahnweh eine durchaus positive Wirkung nachgesagt wurde - es schütze vor Gefräßigkeit und Geschwätzigkeit -, war man doch froh, einen maroden Zahn gezogen zu bekommen. Was hätte man anderes tun sollen, als dem Ganzen moralisch etwas abzugewinnen? Manch so Geplagter musste Monate warten, bis ein Zahnbrecher in der Stadt weilte, der unter "Trara" und Paukenschlag den Haderer entfernte. Trara und Paukenschlag dienten vor allem dazu, das Gejammer zu übertönen.

Quacksalber gilt als Berufsbezeichnung für viele Tätigkeiten, die sich seit dem Mittelalter der menschlichen Gesundheit beziehungsweise der Beseitigung von Krankheiten widmeten. Den genauen Ursprung des Wortes kann man heute nicht mehr nachweisen. Es finden sich zwei Haupttheorien: Zum einen liegt die Vermutung nahe, Quacksalber komme von Quecksilber. Das giftige Metall war eine der wenigen Ingredienzen, die, wohldosiert eingenommen, gegen Syphilis wirkten. Die Krankheit, auch Lustseuche, Franzosenkrankheit (bei den Franzosen die Italienerkrankheit) genannt, war zum ersten Mal 1494 auf einem französischen Schiff im Hafen von Genua aufgetreten und verbreitete sich rasend schnell über Europa. Der Quacksalber reiste ihr quasi hinterher und bot seine Medizin feil. Die andere etymologische Auslegung des Wortes verweist auf das italienische Wort "ciarlare" schwätzen. So war der Quacksalber also ein Schwätzer, was auch zutrifft, denn, um auf den Marktplätzen seine Medizin oder sein Können anzubieten, musste er einiges an Überzeugungsarbeit leisten.

Wer glaubt, im Mittelalter habe es keine medizinische Versorgung gegeben, irrt. Auch damals war die Gesundheit das höchste Gut des Menschen und die Krankheit eine Geißel. Man lebte mit Parasiten wie Würmern und Läusen, litt erstaunlich oft an Blasen- oder Nierensteinen, hob sich Brüche, brach sich Knochen, hatte offene Wunden oder war melancholisch.

Die besseren Ärzte

Ärzte waren dennoch nicht unbedingt die richtigen Ansprechpartner, wenn es um Genesung ging. Herman Boerhaave, selbst ein Arzt des 17. Jahrhunderts, sagte:

"Wenn man das Gute, welches ein halbes Dutzend wahrer Söhne des Äskulap seit der Entstehung der Kunst auf der Erde gestiftet haben, mit dem Übel vergleicht, welches die unermessliche Menge von Doktoren dieses Gewerbes unter dem Menschengeschlecht angerichtet hat, so wird man ohne Zweifel denken, dass es weit vorteilhafter wäre, wenn es nie Ärzte in der Welt gegeben hätte."

Ärzte heilten also mit den Mitteln, die ihnen blieben: Das waren vor allem Aderlass und Uroskopie, die Urinbeschau. Betrachtet man die Inneneinrichtung auf alten Gemälden, fällt auf, dass Urinflaschen zur Ausstattung eines jeden Haushalts gehörten. Ansonsten aber taugte der gemeine Doktor Medicus nicht viel. Griechisch wurde in den Universitäten kaum mehr gelehrt, und so konnte im ehemals Weströmischen Reich kaum jemand die medizinischen Schriften der Griechen lesen.

Die europäischen "Medici" aber lasen Latein und litten an der Melancholie - ein gängiges Motiv auf zeitgenössischen Kupferstichen. Kein Wunder: Sechs Jahre dauerte ihre Ausbildung und war rein theoretisch. Sie sezierten Schweine und lernten, klug daherzureden. Wenn es aber darum ging, zu heilen, nahmen sie sich zurück.

Schnell etwas dazuverdienen und eiligst weiterziehen

In einem solchen Weltbild waren die Praktiker, Empiriker oder Henker die besseren Ärzte. Das Wort Chirurg heißt nichts anderes als Handwerker, und genau das war der Chirurg, ein Handwerker, der Knochenbrüche fixierte, Nieren- oder Blasensteine herausschnitt, einen Bruch behob oder den Star aus dem Auge entfernte. Oft waren es ganze Familiendynastien, wie die Norcias aus Italien, die über Jahrhunderte ihr Wissen weitergaben und vortreffliche Chirurgen waren.

Doch nicht alle wandernden Chirurgen waren verantwortungsvoll; sie gehörten zum fahrenden Volk, das sich schnell etwas dazuverdienen musste und dann eiligst weiterzog. Ihnen blieben Eingriffe überlassen, die ortsansässige Chirurgen als zu heikel empfanden. Dass sie mitunter so gar kein Gewissen hatten, beweist die Geschichte des an Fettleibigkeit leidenden Grafen Dedo II., dem ein quacksalbernder Chirurg kurzerhand den Bauch aufschnitt, das Fett entfernte, kassierte und schnell weiterzog. Der Graf überlebte nicht.

Manchmal taten die Wunderärzte auch nur, was von ihnen verlangt wurde. Wenn jemand zum Beispiel an Kopfweh litt, so schnitten sie ihm einen dicken Stein aus dem Hals - denn, wenn es Nierensteine gibt, dann doch bestimmt auch Kopfsteine. Im Halbdunkel ausgeübt, den einen oder anderen Kunstgriff angewendet, funktionierte diese placeboartige Anwendung mitunter ausgesprochen gut.

Ein Mittel, das in keiner Hausapotheke fehlen sollte

Quacksalber waren aber auch wandernde Apotheker, die bestimmte Mittelchen vertrieben. Es leuchtet ja noch ein, wenn die sogenannten Krummholzmänner ein terpentinhaltiges Gebräu aus den Fichten der Karpaten verkauften und dies als entzündungshemmend anboten. Doch verstiegen sich die Quacksalber über die Jahrhunderte in immer absurdere Mischungen und mussten dementsprechend für sich werben. Sie traten auf den Marktplätzen Europas auf und lieferten unterhaltsame Shows. Natürlich hängte man die Nierensteine seiner Karriere an Schnüren auf oder präsentierte ansehnliche Sammlungen von gezogenen Zähnen - waren dies doch alles Beweise ihres Könnens. Aber es gab noch klügere Methoden. Der englische Quacksalber Dr. Williams zum Beispiel sprach auf seinen Vorführungen stets in Reimen und Alliterationen: Die "Pink Pills for Pale People" waren ein wahrer Renner für blasse Menschen. Dr. Eisenbarth soll mit einhundertzwanzig Mann umhergezogen sein. Dabei diente die Unterhaltung nicht nur dem Anlocken der Massen, sondern lenkte auch die zu behandelnden Kranken von ihren Schmerzen ab oder übertönte deren Wehrufe.

Andere Quacksalber brauchten Possenreißer und schöne Damen, um ihre Show richtig zu timen: Eines der meistbeworbenen Mittelchen des Mittelalters und der Neuzeit war der Theriak, der angeblich Vergiftungen aller Art entgegenwirkte, aber auch jede Menge Opium enthielt und dadurch schnelle Symptome der Genesung vortäuschte. Um die Wirkung des Wundermittels Theriak zu beweisen, vergiftete sich der Quacksalber selbst auf der Bühne, indem er sich entweder von einer Schlange beißen ließ oder Gift trank - natürlich nicht auf leeren Magen! Er war nicht dumm und wusste genau, was er tat. Ob er sich vorher den Rachen mit Fett einpinselte oder Butter schluckte, das Timing war das A und O seines Erfolgs - und seines Überlebens. Eine Methode, derer sich die Pharmaindustrie noch heute bedient

Oft half ein Mittelchen gegen alle erdenklichen Krankheiten, wie eine Annonce im "Hamburgischen Correspondenten" von 1768 wirbt:

"Die schottischen Pillen, welche das Haupt und die Sinne stärken, vertreiben den Schwindel und migränische Hauptschmerzen, reinigen die Galle, verhindern die Neigung zur Melancholie, öffnen die Verstopfung, befördern den Auswurf und vertreiben alle überflüssigen Feuchtigkeiten des Leibes; sie sind vortrefflich für alle zukommende Unpässlichkeiten des schönen Geschlechts, und töten die Würmer. [...] Die Schachtel kostet 1 Mark fl [Mark Florentiner, d. Verf.]. Bei Petit in Hamburg, in dessen Laden bei der Börse."

Ein Mittel also, das in keiner Hausapotheke fehlen sollte. Andere Quacksalber, wie ein gewisser Dr. Tufts, gaben sich als altruistische Menschenkenner aus, erfanden Krankheiten und lieferten gleich das nötige Mittel dazu - eine bewährte Methode, derer sich die Pharmaindustrie noch heute bedient.

Erstaunlich oft stößt man beim Lesen alter Dokumente auf die Melancholie, ein Wort, das sich aus dem Griechischen von "melancholia" - schwarze Galle - ableitet und auch damals ein Gefühl bezeichnete, das sich durch Schwermut und Antriebslosigkeit bemerkbar machte. Schon Hippokrates meinte, dass dieser Gemütszustand durch einen Überschuss an schwarzer Galle, der sich ins Blut absonderte, hervorgerufen werde. Während Mönchen, die oft davon befallen wurden, angeraten war, fleißig zu beten, verordnete man im 14. Jahrhundert Witwen und anderen Unglücklichen Badekuren in Orten wie dem Schwarzwälder Wildbad. Hier frönte man, munter, ausgelassen und auf gar keinen Fall sittlich, der Gesundheit, und wenn man genas, war das auf den gesunden Säfteaustausch im menschlichen Körper zurückzuführen. Mit dem Aufkommen der Syphilis aber war diese Art der Therapie vorbei.

Sind Quacksalber ausgestorben?

Als im 19. Jahrhundert der Zusammenhang von Magnetismus und Elektrizität entdeckt wurde, wandte man darauf basierende Methoden auch für die Aufhellung des Gemüts an. Die ersten Vibratoren waren medizinische Instrumente von Ärzten, die nichts anderes taten, als verstimmten Damen untenrum zu helfen.

Durch die Reform im Medizinstudium, die endlich Praxis und Theorie verband, und durch die exzellente Ausbildung der Apotheker wurde den Quacksalbern ihr Handlungsspielraum genommen. Hier und da treten sie noch immer auf, mittlerweile im Versandhandel, der vor allem im Internet neue Verbreitung findet.

Quacksalber, so heißt es, sind ausgestorben. Ist das so?


Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch von Michaela Vieser "Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreissern", illustriert von Irmela Schautz; erschienen im C. Bertelsmann Verlag.

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