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ENERGIE Der Zaubertrank der Zwerge

Das norddeutsche Dorf Börnsen verdirbt dem Energieriesen E.on mit einer eigenen Strom- und Gasversorgung das Geschäft. Das Beispiel könnte andernorts Schule machen.
aus DER SPIEGEL 16/2007

Wenn die Bauern in Börnsen fürs Heimatfest noch einen Grill suchen oder Geld brauchen für die Renovierung des örtlichen Kindergartens - dann fragen sie »den Walter« im Rathaus. Walter Heisch ist Bürgermeister des Dorfes vor den Toren Hamburgs im Kreis Herzogtum Lauenburg.

Es gehe in der Regel sehr beschaulich zu in Börnsen, sagt Heisch. »Wir kennen uns vielfach persönlich, sehen uns beim Einkaufen«, schreibt der Bürgermeister auf der Internet-Seite seiner Gemeinde. Nur beim Thema Energie, da hören Spaß und Idylle mittlerweile auf.

Dann wird Heisch zu einem kampflustigen Dorfältesten. Zu einer Art Majestix, wie die Miniatur des gallischen Häuptlings auf seinem Schreibtisch andeutet. Börnsen, das ist das kleine Widerstandsnest. Und der Gegner ist der Energieriese E.on.

In dessen Besatzungsgebiet Schleswig-Holstein führen die Börnsener der Konzerntochter E.on Hanse nämlich vor, wie man als Zwerg der Umklammerung eines Riesen entkommt: mit einer eigenen Energieversorgung. Wie eine Durchschnittsfamilie rund 75 Euro im Jahr allein an Gaskosten sparen kann. Nachzulesen in einem landesweiten Preisvergleich des Bundeskartellamts vom Ende vergangenen Jahres. Wie überhaupt vieles auch ohne den übermächtigen »Beistand« funktioniert.

Weil E.on aber nicht möchte, dass Börnsen andere kommunale Versorger auf dumme Gedanken bringt, will der Konzern das Energiesparspiel nicht mehr mitspielen. Der Riese wehrt sich - und im Dorf brodelt es. »E.on ist in Börnsen ein Schimpfwort«, sagt Joachim Reuland, Chef der örtlichen »Gas- und Wärmedienst Börnsen GmbH« (GWB).

Vor zehn Jahren entschieden sich seine Mitbürger dafür, kleine erdgasbetriebene Blockheizkraftwerke zu bauen, die inzwischen die Neubausiedlungen mit Wärme und 80 Prozent des Ortes mit Strom versorgen. Die Kessel der drei Minikraftwerke seien »mit Zaubertrank gefüllt«, grinst Reuland.

Börnsen nahm im Grunde vorweg, was die großen kommunalen Versorger im Zuge der schleppenden Liberalisierung des Energiemarktes nun leicht panisch nachholen: Mit eigenen Kraftwerken soll die Abhängigkeit von den Großkonzernen verringert werden.

Vergangene Woche vereinbarten deshalb erstmals acht Stadtwerke einen eigenen Verbund. Zu der neuen Allianz gehören Großstädte wie Hannover, Frankfurt am Main und München. Ihr Traum: hinter der Marktmacht des Quasi-Kartells aus E.on, RWE, Vattenfall und EnBW irgendwann die Nummer fünf zu werden.

In Börnsen fing alles mit einer Bürgerinitiative an, die eine umweltfreundliche Energieversorgung für den Ort wollte. Reuland war damals einer der Mitbegründer. Zwölf Kilometer Luftlinie zum Kernkraftwerk Krümmel und ein nächtlicher Fehlalarm, bei dem sich das halbe Dorf im Schlafanzug auf der Straße traf, hatten viele Bewohner ins Grübeln gebracht.

1996 gründete die Gemeinde dann die GWB und holte sich die Hamburger Gaswerke als Lieferant mit 40 Prozent in die Gesellschaft. Das ging so lange gut, bis die Gaswerke vor vier Jahren zu einem Teil von E.on Hanse wurden - und der ganze »Kladderadatsch« begann, wie Bürgermeister Heisch das nennt.

Es ging vor allem ums Gas. E.on habe die Gemeinde aufgefordert, auf ihr bisheriges Versorgungskonzept zu verzichten. »Die forderten zwölf Prozent Rendite. Statt durch unsere Blockheizkraftwerke sollten die Leute mit E.on-Gas versorgt werden wegen der höheren Marge«, sagt Heisch.

E.on-Hanse-Sprecher Carsten Thomsen-Bendixen widerspricht - genau genommen allerdings nur der »genannten Höhe« der Forderung. Zudem habe man doch alles gemeinsam besprochen und beschlossen. Dass E.on der renitenten Gemeinde die Finanzbuchhaltung kappt, war allerdings nicht gerade deren Wunsch: »Uns wurde quasi das Girokonto gesperrt«, so Heisch.

Der nebenberufliche GWB-Chef Reuland begann, Abwehrstrategien durchzuspielen. Aus dem Vertrag mit E.on als Vorlieferanten kam die Gemeinde nicht so schnell raus. Aber er fand andere Möglichkeiten,

an den Preisen zu drehen. Und hier war Börnsen so erfinderisch, dass das Beispiel über Schleswig-Holstein hinaus für Furore sorgen könnte.

Erst mal wurde E.on-Konkurrent Vattenfall mit der Wartung der kleinen Kraftwerke beauftragt - das war billiger. Börnsen spart auch beim Einkauf: Seit vergangenem Jahr bezieht die GWB 25 Prozent des Gasbedarfs aus Dänemark. Gut war zudem, dass Börnsen 2004 die Preise verglichen hat: Die Summe der Einzelzähler war um knapp zwei Prozent höher als die tatsächliche Bezugsmenge von E.on. In Börnsen wird vermutet, man habe jahrelang mehr bezahlt, als man bekam - weshalb nun ein kommunaler Zähler dort steht. In der Branche sei das kein Einzelfall, bestätigt der Bund der Energieverbraucher. Von E.on Hanse war für den konkreten Fall keine Stellungnahme zu erhalten.

Dann rissen die umtriebigen Dörfler auch noch einen Acker auf und bauten einen hundert Meter langen und 1,10 Meter breiten Röhrenspeicher. Das war möglich, weil die Börnsener bereits 1997 das eigene Gasnetz zurückgekauft hatten. »Nachts, wenn das Gas billiger ist, drehen wir den Hahn zum Speicher auf, tagsüber drosseln wir«, sagt Reuland.

Die GWB tue doch nur, was die Großen vorgemacht hätten: »Deren Vermögen liegt nicht in den Börsenstorys irgendwelcher jungdynamischer Manager, sondern in dem, was die Väter und Großväter gut geschützt im Erdreich vergraben haben« - die Netze und Speicher.

E.on versuchte, dem Ingenieur den Plan auszureden. Da sich der Bezugspreis auch nach der Spitzenlast berechnet, die aber durch den Speicher niedrig gehalten wird, verlor E.on nämlich Geld. Im GWB-Aufsichtsrat lehnten die E.on-Vertreter das Röhrenprojekt ab. Kürzlich stellten sie Reuland auch noch einen Co-Geschäftsführer zur Seite. Der ist zwar selten da, kann aber alles blockieren.

Inzwischen sagt der Energieriese, die Wirtschaftlichkeit der Röhre sei nicht erwiesen. Merkwürdig nur, dass eine E.on-eigene Ingenieursfirma die Planung für gut befunden hatte.

Sicher, 13 Millionen Euro Investitionen für eine eigene Energieversorgung sind gewaltig, wenn man bedenkt, dass die Gemeinde nur 3800 Einwohner hat. Allerdings sind über drei Millionen an Krediten auch schon getilgt. Langfristig betrachtet steht Börnsen mit einem eigenen Gasnetz und dem begonnenen Aufbau eines Stromnetzes nicht so schlecht da.

Und die Blockade beim Thema Erdgasspeicher lösten die Börnsener dann auf ihre Art: Der Speicher wurde einfach im Nachtragshaushalt beschlossen. Dort reicht die einfache Mehrheit.

Energierebell Reuland grinst: »Gemeinsam sind wir unausstehlich.« NILS KLAWITTER

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