KONZERNE Der zaudernde Riese
Der Mann kommt gut an - nicht nur bei seinen Mitarbeitern. Auch Aktionäre, Analysten und Banker reden fast nur Gutes über Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke.
Der Mann an der Spitze des größten Telekommunikationsunternehmens in Europa scheut übertriebene Superlative und prahlt nicht mit kühnen Zukunftsvisionen. Anders als die meisten Spitzenmanager hat er sein Gehalt nicht erhöht, sondern verzichtete voriges Jahr sogar auf ein ganzes Monatssalär. Der stets jungenhaft wirkende 43-Jährige residiert nicht abgeschirmt in der Vorstandsetage, sondern geht regelmäßig an die Front: Mindestens fünf Tage im Jahr, so eine seiner ersten Anweisungen, muss jeder Telekom-Vorstand vor Ort in einem T-Punkt-Laden mitarbeiten, um Kontakt zur Realität zu halten.
Der Beifall auf den Hauptversammlungen war dem 1,90-Meter-Mann deshalb meist gewiss. Analysten rieten zum Kauf der T-Aktie, und die Fondsmanager von Union Investment priesen die Telekom sogar als »das am besten geführte Unternehmen im Deutschen Aktienindex«.
Ricke, so scheint es, ist ein Supermann. Und in der Tat: Seit den turbulenten Tagen seines Vorgängers Ron Sommer, der im Sommer 2002 nach einem monatelangen Machtkampf mit dem Großaktionär Bund sein Amt niederlegte, ist viel geschehen im einstigen Staatskonzern.
Ricke hat den Vorstand umgestaltet und globale Visionen gestrichen. Stattdessen hat er seit seinem Amtsantritt im November 2002 die Rekordschulden von fast 70 Milliarden Euro drastisch reduziert und dem Konzern einen strengen Sparkurs verordnet. Die Folge: Die Telekom macht wieder hohe Gewinne und zahlt eine ordentliche Dividende. Stolz behauptet Ricke: »Die Telekom von 2005 hat nichts mehr zu tun mit der Telekom von 2002.«
Alles wieder im Lot also beim Problemfall Telekom? Hat der Konzern damit schon die immer wieder beschworene Wende vollzogen und ist nun endlich auf sicherem Wachstumskurs?
Keineswegs. Denn die Deutsche Telekom steht - wie schon häufiger in der schnelllebigen Telekommunikationsbranche - erneut an einem kritischen Wendepunkt. Früher als erwartet verändern neue Techniken wie DSL oder das Telefonieren per Internet die Wettbewerbsbedingungen der ganzen Branche. Und immer drängender wird dabei die Frage, ob die klassische Trennung in Festnetz, Mobilfunk und Internet noch zeitgemäß ist.
Noch bis vor kurzem unscheinbare Wettbewerber wie der zur Telecom Italia gehörende Stadtnetzbetreiber Hansenet haben eigene Netze aufgebaut und sich in kurzer Zeit zu ernsthaften Konkurrenten entwickelt. In Hamburg zum Beispiel bedient Hansenet schon rund 50 Prozent aller Internet-Nutzer, die mit der schnellen DSL-Technik im Web surfen.
Konkrete Antworten, wie der Konzern die Herausforderungen meistern kann, ist die Telekom Aktionären und Kunden bislang schuldig geblieben. Stattdessen dümpelt der rosa Riese scheinbar kraft- und führungslos dahin.
Eines der Probleme dabei, so sehen es nicht wenige Führungskräfte der Telekom, ist auch der Chef selbst. Er gilt zunehmend als Zauderer.
Bisher, so erkennen allmählich auch der Telekom gewogene Analysten, hat der Bonner Supermann nicht viel mehr als eine konsequente Entschuldung und die Einführung eines radikalen Sparprogramms auf der Habenseite zu verbuchen. Entsprechend verhalten fiel der Anstieg der T-Aktie im Vergleich zum Dax und zu dynamischeren Konkurrenten wie France Télécom oder der spanischen Telefónica aus.
»Nach einem guten Start« sei der neue Telekom-Lenker »einfach stehen geblieben«, moniert Telekommunikationsberater Bernd Jäger. »Eine Zukunftsstrategie«, so der Experte, »ist nicht zu erkennen.«
Erste Bremsspuren lassen sich schon in der Halbjahresbilanz ablesen, die Ricke vergangene Woche vorlegte. Danach verliert die Telekom im Festnetzgeschäft weiter an Umsatz. Und im boomenden Neugeschäft mit breitbandigen DSL-Anschlüssen wurde sie im zweiten Quartal erstmals von Konkurrenten überholt.
Dabei mangelt es nicht an Einsicht. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, doziert Ricke im jüngsten Geschäftsbericht, müsse der Konzern »proaktiv« handeln und »einen Paradigmenwechsel vollziehen - vom Technologiekonzern zum kundenzentrierten Dienstleistungsunternehmen«.
Bislang ist es bei der Ankündigung geblieben. Statt klare Ziele und Perspektiven zu benennen, verliert sich Ricke in endlosen Diskussionen und setzt immer neue Arbeitsgruppen zu immer neuen Themenbereichen ein. Gleichzeitig häufen sich die ungelösten Fragen.
Beispiel Mobilfunk: Zwar konnte T-Mobile-Chef René Obermann vergangene Woche den beachtlichen Zuwachs von 623 000 Neukunden in Deutschland im zweiten Quartal vermelden. So erreichte Obermann immerhin, dass T-Mobile - ebenso wie das von ihm gesponserte »T-Mobile-Team« bei der Tour de France - wieder die Spitzenposition belegte.
Allerdings wurde ein großer Teil der Neukunden von Service-Providern wie Mobilcom oder Debitel angeworben. Mit denen hatte Obermann nach dem schlechten Abschneiden im Vorjahr neue, deutlich höhere und kostspieligere Zielvereinbarungen abgeschlossen.
Das Problem der Handy-Sparte kann so jedoch nur zeitweise überdeckt werden. Schon vor Wochen haben Mobilfunkspezialisten wie E-Plus oder Vodafone mit Kampfpreisen den Angriff auf den Festnetzmarkt eingeläutet. Höhere Kundenzahlen, lautet ihre Analyse, lassen sich auf dem gesättigten Markt nur erzielen, wenn die Handy-Tarife auf ein Niveau abgesenkt werden, bei dem sie mit dem Festnetz konkurrieren können.
Und so feuern E-Plus und Konsorten immer neue Billigtarife in den Markt. Homezones, bei denen man mit dem Handy zu Hause zu Festnetzpreisen telefonieren kann, Flatrates, die unbeschränktes Quasselvergnügen ins Festnetz zulassen - alles scheint möglich.
Und wie reagiert T-Mobile? Abwartend, zögernd. Zwar hat auch Obermann die Tarife gesenkt. Vor dem überfälligen Schritt, Festnetz- und Mobilfunksparte zusammenzuführen, um mit kreativen Bündelprodukten aus beiden Sparten Kunden zu locken, schreckt Ricke aber zurück.
Der Telekom-Chef setzt auf eine eigenständige Festnetzsparte und einen »reinrassigen« Mobilfunker. Immerhin soll die T-Com genannte Festnetzsparte »integrierte Produkte« anbieten: Handys zum Beispiel, die sich in der Nähe von Internet-Einwahlstationen (Hotspots) zum Telefonieren ins billigere Internet einklinken,
oder Festnetztelefone, die unterwegs als Handys genutzt werden können. Bei der für die Kunden verwirrenden Aufteilung der Sparten mit unterschiedlichen Rechnungen, Kundenberatern und Produkten wird es jedoch bleiben.
Diskutiert wird all das schon lange, aber die Entscheidungsprozesse schleppen sich hin. Und so dürften spektakuläre Neuerungen wie das fertig entwickelte »Dual Phone« erst in einigen Monaten in den Handel gelangen.
Ähnlich lange dürfte ein anderes Problem schwelen: die ungeklärte Frage um die Zukunft der Mobilfunktochter in den USA, für die seit einiger Zeit Hollywood-Star Catherine Zeta-Jones Reklame macht. Bei der Firma, die einst Ex-Chef Sommer zum horrenden Preis von rund 40 Milliarden Euro gekauft hatte, steht eine kostspielige Entscheidung an. In wenigen Monaten werden in den USA die Lizenzen für die dritte Mobilfunkgeneration versteigert - eine Technik, die in Europa unter dem Kürzel UMTS kaum Kunden findet.
Experten schätzen, dass die Telekom für Lizenzen und Technik bis zu zehn Milliarden Euro investieren müsste. Die Frage ist nur, ob sich das lohnt. Zwar gehört T-Mobile zu den am schnellsten wachsenden Mobilfunkfirmen auf dem US-Markt. Andererseits liegt sie hinter Giganten wie Verizon, Cingular und Sprint weit abgeschlagen auf Platz vier des US-Marktes und kann eine deutliche Verbesserung ohne Partner wohl kaum erreichen.
Der Vorstand ist gespalten. Während Experten um Finanzchef Karl-Gerhard Eick einen Verkauf der US-Beteiligung favorisieren, weil die Kurse hoch sind, milliardenschwere Folgeinvestitionen vermieden würden und das Geld möglicherweise auch in Europa investiert werden könnte, pocht T-Mobile-Chef Obermann auf den Erhalt.
Und Ricke? Der Telekom-Chef hält sich »alle Optionen offen«. Er könne sich beide Wege vorstellen, ließ er im kleinen Kreis verlauten. Eigentlich würde er gern an der US-Tochter festhalten - ein Ausbau, ein Zukauf oder eine Partnerschaft seien möglich. Aber auch einen Verkauf wolle er nicht ausschließen. Immerhin sei die Gelegenheit gerade günstig. Aber was solle man, fragte Ricke in die Runde, dann mit den Verkaufsmilliarden anstellen? Das Geld an die T-Aktionäre ausschütten? Auch das mache wenig Sinn, sinnierte der Chef - und schob die Entscheidung vorerst auf.
Die Folge: Einige Spartenchefs machen inzwischen, was sie wollen. T-Com-Chef Walter Raizner beispielsweise schmiedete Umzugspläne nach München, um dadurch möglichst viel Personal abbauen und sich - ganz nebenbei - dem Zugriff der Konzernspitze weiter entziehen zu können.
T-Online-Chef Rainer Beaujean weigerte sich, trotz Drängen der Konzernzentrale, über Monate, gemeinsame Produkte mit der T-Com einzuführen, weil sie seine Bilanz nicht verbessern. Und beim Systemlöser T-Systems herrscht nach dem Tod von Spartenchef Konrad Reiss vor vier Monaten heillose Verwirrung. Niemand weiß: Steht eine Verschmelzung mit der T-Com an? Oder soll die Sparte verkauft werden?
Während die Manager diskutieren, rüsten neue Konkurrenten auf dem Festnetzmarkt auf. Hatten sich Firmen wie United Internet, Freenet oder Versatel bisher damit begnügt, Breitband-Internet-Anschlüsse der Telekom unter eigenem Namen zu verkaufen, so haben sie jetzt die sogenannte Internet-Telefonie entdeckt, um den Bonnern mächtig einzuheizen. Besonders bei jungen Kunden boomt das neue Angebot. Allein die Kunden von United Internet telefonierten im vergangenen Monat rund hundert Millionen Minuten.
Schon formen sich neue Allianzen, um den bereits verloren geglaubten Kampf gegen den Giganten Telekom im Festnetzgeschäft aufzunehmen. So verhandelt der Finanzinvestor Apax mit Vodafone über den Kauf der Telefongesellschaft Arcor. Ziel ist eine Zusammenführung mit den ebenfalls zu Apax gehörenden DSL-Anbietern Versatel und Tropolys. Auch Mobilcom hat Interesse an Arcor signalisiert.
Solche Gegner, weiß auch Ricke, könnten der Telekom gefährlich werden und das ohnehin rückläufige Festnetzgeschäft weiter unter Druck setzen. Und so mahnt der Manager intern bei jeder Gelegenheit an, neue Produkte zu entwickeln und »schneller auf den Markt« zu bringen. Geholfen hat das jedoch bislang wenig. Obwohl die Telekom seit Jahren mit der Internet-Telefonie experimentiert, dauerte es Monate, bis T-Online überhaupt mit einem eigenen Angebot auf die Konkurrenz reagierte.
Auch bei Wimax, einer neuen Technik, mit der Internet per Antenne in hohen Geschwindigkeiten in Haushalte übertragen werden kann, waren die Telekom-Ingenieure früh dabei - doch nun wartet der Marktführer ab. Derweil bauen kleine Anbieter ihre Technik auf und schließen erste Kunden an. Die Technologieführerschaft, die Ricke für die Telekom beansprucht, lässt sich so nicht erreichen.
Der Konzernchef selbst streitet nicht ab, dass es Pannen gegeben habe. Das Unternehmen reagiere teilweise zu langsam auf aktuelle Entwicklungen. Mit neuen Produkten und Tarifen sei man im Rückstand und gerate deshalb jetzt »hochgradig unter Druck«.
Doch von einer Führungsschwäche will der Telekom-Chef nichts wissen. »Ich weiß genau, wo ich hinwill«, sagt Ricke. Lediglich die Probleme bei der Rückholung von T-Online in den Konzern hätten vor allem die Sparte T-Com »über Monate gelähmt«.
Sobald dieses Kapitel abgeschlossen sei, werde die Telekom mit überraschenden Produkten auf die Herausforderungen reagieren. »Das Unternehmen braucht keine neue Strategie, sondern Exekution«, versichert der Telekom-Lenker - und lächelt dabei ganz freundlich. FRANK DOHMEN,
KLAUS-PETER KERBUSK