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KABINETT Des Widerspenstigen Lähmung

Michael Glos tut alles, um seinem Ruf als Notbesetzung für das Amt des Bundeswirtschaftsministers gerecht zu werden. Der CSU-Mann fremdelt in seinem Regierungsjob wie kein anderer.
aus DER SPIEGEL 3/2006

Wenn Michael Glos, 61, wissen will, was ein deutscher Bundeswirtschaftsminister so alles zu tun hat, greift er in seine Brusttasche und nestelt eine Klarsichtfolie mit einem Spickzettel heraus. Gewissenhaft schreiben ihm seine Mitarbeiter für jeden Tag auf, mit wem er reden soll, welche Anrufe zu tätigen sind und wie die Verbandsfunktionäre, die sich zum Kaffee angesagt haben, mit Vornamen heißen.

Doch der Zettel ist klein, und die Dinge sind kompliziert. So passiert es, dass Glos bisweilen ohne Stichworte klarkommen muss. Die Gruppe der Schwellenländer, im Fachvokabular der Welthandelsexperten die »G 20«, redete er bei einer Konferenz in Hongkong zur »G 25« hoch.

Danach referierte er über »dieses Schweizer Modell« und meinte damit - so mutmaßten die anwesenden Experten - wohl die weltweit anerkannte »Schweizer Formel« für den Abbau von Zollhemmnissen.

Auch mit Zahlen hat es Glos noch nicht so. Befragt nach seinen Konjunkturerwartungen fürs laufende Jahr, taxierte der Minister das Wirtschaftswachstum auf »bis zu 1,8 Prozent«. Da wunderte sich seine eigene Fachabteilung, die im Entwurf des Jahreswirtschaftsberichts lediglich 1,4 Prozent ansetzt. Glos, so der Verdacht, hatte seine Prognose einem Artikel seiner Morgenzeitung entnommen.

Es ist ja auch noch nicht lange her, dass der CSU-Politiker zu seiner eigenen Überraschung Minister für Wirtschaft und Technologie der Bundesrepublik Deutschland wurde. »Ich hoffe, dass es meinem Land nie so dreckig geht, dass es auf Leute wie mich zurückgreifen muss«, hatte Glos früher halb scherzhaft Karrierepläne unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel von sich gewiesen.

Bei den Koalitionsverhandlungen im vergangenen Oktober war er für Außenpolitik zuständig und hielt sich - wenn überhaupt - für das Verteidigungsressort geeignet. Doch dann kam der Tag, an dem der bayerische Ministerpräsident und designierte Mega-Minister Edmund Stoiber die Flucht ergriff. Merkel brauchte dringend Ersatz, und irgendwo stand gerade Glos herum.

Der gelernte Müllermeister versteht nach eigenem Bekenntnis zwar noch nicht allzu viel von Wirtschaftspolitik, kommt aber immerhin wie Stoiber aus Bayern. Zumindest das Grundwissen ist vorhanden. Als ehemaliger Finanzpolitiker weiß er mehr als den Unterschied zwischen Brutto und Netto sowie Umsatz und Gewinn.

Nun müht sich der Neue, an seinem Dienstsitz an der Berliner Scharnhorststraße den Überblick zu gewinnen - und ist erst einmal überrascht, wofür er nun alles zuständig ist. Gut vier Jahrzehnte nach Ludwig Erhard ähnelt das Wirtschaftsministerium einer Grabbelkiste. Es gibt Fachreferate für »Grundsatzfragen der Wirtschaftpolitik« und »Personellen Sabotageschutz«, für »Meisterprüfungen« und »Gesetzliches Messwesen«, für »Luftfahrtforschung« und »Afrika südlich der Sahara«.

Glos ("Wenn jemand 'Herr Minister' sagt, denk ich noch immer, da steht einer hinter mir") kommt aus dem Staunen kaum heraus. Am Mittwoch vergangener Woche ließ er sich von zwei Dutzend Abteilungs-, Unterabteilungs- und Referatsleitern erklären, mit welchen Arbeiten sie derzeit beschäftigt seien und was ihnen so am Herzen liege. Vorgaben wolle er erst einmal keine machen, ermunterte Glos seine Beamtenschar. Er rege eine »offene Debatte« an.

Das freute die Beamten. Von Glos' ruppigem SPD-Vorgänger Wolfgang Clement war man anderes gewöhnt. Doch danach ging auf den Fluren das große Rätselraten los: Was will der Mann?

Wenn Glos nur selbst schon wüsste, was er so wollen muss. 30 Jahre lang saß er im Parlament; 13 Jahre lang zog er als gewiefter und intrigengestählter CSU-Landesgruppenchef an den Strippen. Doch als Merkels Notbesetzung fürs Wirtschaftsministerium fängt er ganz von vorn an.

So lustvoll er einst über die damals regierenden Jürgen Trittin ("Ökostalinist"), Joschka Fischer ("Steinewerfer") und Gerhard Schröder ("Verantwortungsloser Spieler") herfiel, so gelähmt wirkte er an seinen ersten Amtstagen. Beim Auftritt in der ZDF-Sendung »Berlin Mitte« am vergangenen Donnerstag dauerte es nach seinem Eingangsstatement eine Viertelstunde, bis sich Glos zu einer zweiten Meldung hinreißen ließ. »Nicht, dass wir Sie hier vergessen«, spöttelte Maybrit Illner.

Seit er als Minister vor den Kameras steht, fühlt sich Glos unvorteilhaft ausgeleuchtet.

Vorbei die Zeit, in der er in den Hinterzimmern kungeln konnte. Nun muss er eine Behörde verwalten und vor aller Augen über Dinge reden, von denen andere mehr verstehen. Und dann soll er sich auch noch der Kabinettsdisziplin unterwerfen.

»Der Michel fremdelt noch«, sagt ein Weggefährte. Während sich der andere CSU-Minister Horst Seehofer gleich voller Elan ins ungewohnte Agrarfach gestürzt habe, hadere Glos mit seinem Job.

Dabei gäbe es für einen Wirtschaftsminister viel zu tun. Die deutschen Unternehmen drängen auf den Abbau bürokratischer Regulierungen. Die Verbraucher klagen über die hohen Strompreise. Der Gesundheitssektor könnte mehr Wettbewerb vertragen. Gerade protestierten europaweit Zehntausende Hafenarbeiter gegen eine neue EU-Richtlinie.

Glos hingegen sagt, er müsse sich nun erst mal ein Bild machen. Ja, die Energiepolitik liege ihm am Herzen. Und nach kurzem Nachdenken fällt ihm »zweitens« auch noch Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft ein, die »sehr gut vorbereitet sein will«. Dafür hat er, Gott sei Dank, noch fast zwölf Monate Zeit.

Der Behördenapparat des Ministeriums jagt ihm Respekt ein. Damit er sich nicht ganz so einsam fühlt, hat er eine Reihe von Vertrauten mitgebracht. Den bayerischen EU-Abgeordneten Joachim Wuermeling, einen Freund der Familie, machte er zum beamteten Staatssekretär. Die Personalie war Glos so wichtig, dass es Wuermeling in der Eile zunächst nicht schaffte, sich im Straßburger Parlament formgerecht abzumelden.

Auch Glos-Intimus Ernst Hinsken wurde befördert. Im neuerdachten Amt eines »Tourismus-Beauftragten der Bundesregierung« ist der Bayer bereits mit der absonderlichen Forderung nach einem halbierten Mehrwertsteuersatz für Hotelbetriebe aufgefallen. Jetzt will er sich dafür einsetzen, dass die Deutschen ihre Ferien öfter im eigenen Land verbringen. Hinsken ist ein entschiedener Verfechter der Pkw-Maut. Das macht Naherholungsgebiete zusätzlich attraktiv.

Unterm Strich beschäftigt Glos in seinem Ministerium ebenso viele Spitzenkräfte wie sein Vorgänger Clement von der SPD, obwohl er nach der Abspaltung des Themenbereichs Arbeit viel weniger Aufgaben zu erledigen hat. Mittelstandslobbyist Hartmut Schauerte wurde ebenso Parlamentarischer Staatssekretär wie die frühere »Miss Germany« Dagmar Wöhrl. Als Gattin des Aufsichtsratsvorsitzenden der Fluggesellschaft dba wollte sie sich um Belange der Luftfahrtindustrie kümmern, ein Plan, den das Kanzleramt vereitelte. Nun muss sich Glos persönlich des Themas annehmen.

Am meisten macht dem Neu-Minister zu schaffen, dass er jedes seiner Worte so sorgfältig abwägen soll. Als Chef der CSU-Landesgruppe konnte er straffrei daherplaudern, was ihm so alles auf der Seele lag. Selbst fragwürdige Äußerungen über den Gestank frischgeschlachteter Hammel, der angeblich sogar zur Weihnachtszeit die Ausländerviertel durchwehe, regten niemanden wirklich auf.

Doch als Glos gerade mit altem Elan forderte, die Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern, wurde er umgehend mit Schmähbriefen bombardiert. Selten zuvor habe er so einen Aufschrei erlebt, sagt der Politiker, den es eher unglücklich stimmt, wenn er plötzlich überall erkannt wird. Bislang konnte er ohne Leibwächter vor die Tür gehen. Nun denken seine Sicherheitsleute daran, die Bewachung zu verstärken.

Das Theater trifft den Minister, denn er hatte doch nur wiederholt, was er als Entgegnung auf die atomkritische Politik der rot-grünen Bundesregierung schon immer gesagt hatte. Der Michel sei »manchmal ein rechtes Seelchen«, sagt ein Weggefährte, und reagiere sehr empfindlich auf Kritik - so gern er bislang selbst ausgeteilt habe.

Im Merkel-Kabinett geht man einstweilen schonend mit ihm um. Die SPD-Seite mit Vizekanzler Franz Müntefering, Finanzminister Peer Steinbrück und sogar Umweltminister Sigmar Gabriel gibt sich - jetzt mal so rein menschlich - angenehm überrascht. CDU-Ministerin Annette Schavan hält sich mit Nörgelei zurück. Dabei gilt ihr Verhältnis zu Glos von alters her als komplett zerrüttet. Friedlich ist auch Familienministerin Ursula von der Leyen. Als betont moderne Frau tut sie allenfalls pikiert, wenn Glos zum Handkuss einen seiner berüchtigten Herrenwitze erzählt.

FDP-Politiker Hermann Otto Solms, er ist mit Glos befreundet, sah sich indes bereits genötigt, den Wirtschaftsminister zur Ordnung zu rufen. Nachdem Glos bekundet hatte, er wolle sich an seinem liberalen Amtsvorgänger Otto Graf Lambsdorff ein Beispiel nehmen, griff Solms zum Telefon. Das Vorbild sei gut gewählt, sagt er. Nun wäre schön, wenn sich Glos auch daran halten würde.

Doch mit einem großen Wurf, den jüngst auch Bundespräsident Horst Köhler anmahnte, tut sich der neue Wirtschaftsminister schwer. Ihm liegt mehr das Praktische, sein Herz schlägt für den Mittelstand.

Als BMW vor einigen Monaten drohte, einem Zulieferbetrieb in seinem fränkischen Wahlkreis den Auftrag für Motorradsitze zu entziehen, schrieb Glos einen Brief an BMW-Vorstandschef Helmut Panke. Der lenkte ein.

Glos selbst hält sich für einen überzeugten Vertreter der Marktwirtschaft. Auch Vertraute beteuern, ihr Freund habe den liberalen Positionen des früheren CDU/CSU-Fraktionschefs Friedrich Merz immer näher gestanden als dem Interventionismus des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber.

Genau wisse man es allerdings auch nicht. Über Wirtschaft habe Glos privat nie viel geredet. ALEXANDER NEUBACHER

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