Hindernis-Reise im Nachtzug Die Deutsche Bahn erklärt Konfuzius

Konfuzius-Skulptur: Kleine Probleme sind immer Symptome für die großen
Foto: ? China Daily China Daily Information Corp - CDIC / Reuters/ REUTERSManchmal packt mich der bildungsbürgerliche Ehrgeiz. Dann pfeffere ich den seichten Schmöker von Dan Brown in die Ecke und wende mich den großen Denkern zu. Aurel, Luhmann, Nietzsche - Philosophen, die jeder intelligente Mensch studieren sollte.
Oft gebe ich bereits nach wenigen Seiten auf.
So auch bei Konfuzius. Den verstehe ich einfach nicht. Ein Beispiel: Als Konfuzius vom Herrscher von We gefragt wurde, was ein Fürst als Erstes angehen müsse, da sagte der Meister:
"Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe. Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Li und Kunst nicht: gedeihen Li und Kunst nicht, so treffen die Strafen nicht; treffen die Strafen nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen."
Richtigstellung. Li. Aha. Konfuzius musste daraufhin in die Ecke, und Dan Brown durfte wieder ins Bett.
Das Problem mit solch theoretischen Texten ist, dass sie keinerlei Bezüge zum realen Leben enthalten. Sobald man die jedoch hinzuzieht, wird undurchdringliche Philosophensemantik mitunter einleuchtend. Im Falle von Konfuzius half mir ein anschauliches Beispiel, ein Business Case sozusagen. Und den lieferte mir überraschenderweise eines meiner Lieblingsunternehmen: die Volldampf-Servicelokomotive aus Berlin, besser bekannt als Deutsche Bahn AG.
Mit meinem vierjährigen Sohn Toni wollte ich im Nachtzug von München nach Hamburg fahren. Da der Knirps manchmal aus dem Bett kullert, fragte ich die Schaffnerin, ob es einen Rausfallschutz gebe.
"Ich gucke, ob wir noch einen haben", sagte sie.
Sie ging mit uns ans Abteilende, zu einem Wandschrank, in dem sich Klopapier und Handtücher befanden. Diesem entnahm die Zugbegleiterin ein weißes Plastikgestell - den Rausfallschutz. "Glück gehabt. Ist die letzte Kindersicherung. Die sollten Sie eigentlich vorab bei der Hotline reservieren, die sind immer gleich weg."
Ich bedankte mich artig und rief zwei Tage vor unserer Rückfahrt bei der Bahn-Hotline ein.
Dideldadeldum.
"König, hallo. Ich hätte gerne eine Kindersicherung reserviert."
"Eine was?"
"Kindersicherung. Für den City Nightline."
"Da muss ich Sie in die Reservierung geben, da können Sie das zubuchen."
Dideldadeldum. Dumdadeldidel.
"König, hallo. Ich hätte gerne eine Kindersicherung reserviert."
"Für den ICE?
"Für den City Nightline."
"Ach so. Der hat eine spezielle Hotline. Kann ich nicht durchstellen, ich gebe Ihnen die Nummer."
Dideldadeldum.
"König, hallo. Ich hätte gerne eine Kindersicherung reserviert."
"So etwas gibt es nicht."
"Doch, habe ich auf der Hinfahrt gehabt."
"Aber reservieren kann man die nicht."
"Die Zugführerin hat gesagt, das ginge."
"Hmm, okay, dann stelle ich Sie jetzt in die Reservierung."
"Aber da..."
Dideldadeldum.
Um die Sache abzukürzen: Ich habe mit fünf Hotline-Mitarbeitern telefoniert. Außerdem war ich an zwei Infopoints, und habe die Website durchforstet. Niemand weiß etwas, keiner hat je von diesem Rausfallschutz gehört. Die Bahn-Pressestelle hingegen versichert: "In jedem Wagen (sind) jeweils zwei Kindersicherungen vorhanden, die bei Bedarf an die Kunden rausgegeben werden."
Verwirrend, aber vielleicht ist der Zugbegleiter auf unserer Rückfahrt im Film? Fehlanzeige. "Rausfallschutz? Haben wir nicht. Und noch nie gehabt", sagt er im Brustton der Überzeugung. "Deshalb kann man ihn per Hotline logischerweise auch nicht buchen."
Logisch.
Als ich mit Toni später auf die Toilette gehe, kommen wir an dem Vorratsschrank vorbei. Ich weiß, dass der nur fürs Personal ist, aber die Versuchung ist zu groß und überhaupt: Selbst ist der Kunde! Ich mache ihn auf. Drinnen liegt, begraben unter einem Berg Klopapier: der Rausfallschutz.
Als wir später durch die dunkle Republik rattern, schläft der rausfallgeschützte Toni tief und fest. Ich aber liege wach und muss an Konfuzius denken.
Wenn der über die Richtigstellung der Begriffe spricht, dann meint er vielleicht Folgendes: Es ist stets notwendig, das wahre Wesen einer Sache kenntlich zu machen. Der Sinn und Zweck der Richtigstellung ist die Erlangung eines universellen Standards, nach dem sich jeder richten kann. Als der Fürst von We also wissen wollte, wie er seinen chaotischen Sauladen in Ordnung bringen solle, da sagte ihm der Meister (Dan-Brown-Fassung): "Zunächst musst du allen glasklar verklickern, wo oben und unten ist. Jeder muss zunächst einmal kapieren, was wir hier machen und welche Mittel ihm dafür zur Verfügung stehen."
Das ist mühselig, aber wenn man es nicht macht, "weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen". Dann endet man irgendwann wie die Bahn und das eigene Personal weiß nicht mehr, dass es tagein, tagaus ein Fünf-Euro-Plastikgestell durch die Pampa kutschiert. Das ist zugegebenermaßen ein kleines Problem. Aber kleine Probleme sind immer Symptome für die großen.
Das wusste schon Konfuzius.
Die Bahn weiß es nicht.