Deutsche-Bank-Trader Weinstein Ein Pokerspieler stürzt ab
Boaz Weinstein hatte sie alle in der Tasche. Sogar den russischen Trader, der ihn zu einer "blinden" Schachpartie herausforderte. Eine Hundertschaft Kollegen schaute zu und wettete mit, während Weinstein cool mit dem Rücken zum Schachbrett spielte. Das Match dauerte zwei Stunden. Weinstein gewann.
Diese filmreife Szene, vom "Wall Street Journal" kolportiert, ist eine von zahllosen, oft spektakulären Anekdoten, die man sich in New Yorks Finanzviertel über Boaz Weinstein erzählt. Der langjährige New Yorker Starhändler der Deutschen Bank hatte an der Wall Street den Ruf eines Halbgottes: "Bester Kredit-Trader der Welt", sei er gewesen. Oder: "Top-Mann der Kreditbranche".
Die jüngsten Geschichten über Weinstein sind freilich weniger schmeichelhaft. Seine Abteilung, zuständig für den weltweiten Kredithandel der Deutschen Bank, verlor 2008 rund 1,8 Milliarden Dollar. Damit radierte Weinstein die Gewinne der vorherigen zwei Jahre aus.
Nicht zuletzt deshalb musste Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann Ende voriger Woche einen Jahresverluste von rund 3,9 Milliarden Euro vermelden. "Völlig unbefriedigend" sei dies, kommentierte Ackermann den Rekordverlust lakonisch. Zuvor hatte die Bank bestätigt, dass Weinstein zum zweiten Quartal seinen Abschied nehmen werde - "aus freiem Willen" natürlich.
Der spektakuläre und folgenschwere Sturz Weinsteins ist eine Parabel auf die Misere einer ganzen Branche. Weinstein, gerade mal 35 Jahre, hatte das Vabanquespiel dieser Industrie scheinbar perfektioniert: Er jonglierte furchtlos mit den komplexesten Finanzvehikeln, als seien es Schachfiguren oder Pokerkarten, seinem anderen Lieblingshobby. Das bescherte der Deutschen Bank Riesengewinne - bis das Kartenhaus dann zusammenfiel.
Die Weinstein-Saga, jetzt vom "WSJ" mit haarsträubenden Details protokolliert, offenbart aber auch noch etwas anderes: An der Wall Street gelten selbst solche Milliardenverluste bis heute kaum als professionelles Scheitern, sondern als eine Art Kavaliersdelikt, das nicht unbedingt einen Verlust der Reputation bedeuten muss.
Weinstein will nämlich nun seinen eigenen Hedgefonds gründen und dazu 15 seiner bisherigen Kollegen von der Deutschen Bank mitnehmen. "Wir wünschen Boaz viel Glück bei seinem neuen Unterfangen", sagte eine Sprecherin der Bank. Und fügte hinzu: "Wir freuen uns darauf, mit ihm zusammenzuarbeiten."
Weinstein war schon in ganz jungen Jahren eine Legende. Der Immigrantensohn, seine Eltern kamen aus Italien und Polen, sprang 1994 als 20-Jähriger aufs Wall-Street-Karussell auf. Vier Jahre später wechselte er zur Deutschen Bank, wo er Kreditderivate betreute, ein damals noch obskures, kompliziertes Finanzprodukt. Mit 27 war er einer der jüngsten Managing Directors in der Geschichte der Bank.
Experte in Schach, Poker und Black Jack
Weinsteins Spezialität war der Handel mit Credit Default Swaps (CDS), mit denen sich Finanzinstitute gegen das Ausfallrisiko von Krediten versichern können: Das Risiko selbst wurde zum Spekulationsobjekt. CDS waren damals noch neu, gehören heute aber längst zu den populärsten Derivativen.
Weinstein profilierte sich dabei als Pionier einer neuen Hedgefonds-Strategie namens "capital structure arbitrage", die mit den Diskrepanzen zwischen dem Fremd- und dem Eigenkapital eines Unternehmens spekuliert. Das ließ selbst Experten den Kopf rauchen, war für Weinstein aber kaum mehr als "einfache Mathematik".
Rasantes Kalkulieren von Gewinn und Verlust, blitzschnelles Einschätzen neuer Informationen: Es lag ihm im Blut. Bereits als Kind spielte Weinstein brillant Schach, war darin bald ein Meister, liebte außerdem das Risiko von Poker und Black Jack. 2005 gewann er bei einem Poker-Turnier einen Maserati.
Bald gehörte Weinstein zur Elite Manhattans. Im September 2006 etwa, bei der "Fete de Swifty", einer alljährlichen Open-Air-Charity-Auktion der Wohlhabenden auf der Upper East Side, feierte er nebst Bürgermeister Michael Bloomberg, Private-Equity-Fürst Stephen Schwarzman und Klatsch-Queen Liz Smith.
Freitags rief Weinstein zur Pokerrunde
Weinstein stieg erst zum Chef des Deutsche-Bank-Kredithandels für Nordamerika und Europa auf und im Sommer 2008 dann zum Co-Chef für Global Credit Trading - eine ruhmreiche Abteilung, die in den beiden Vorjahren insgesamt rund 1,6 Milliarden Dollar Gewinn eingefahren hatte. Sein Team nannte er "Saba", Hebräisch für "weiser Großvater", und freitags nach Börsenschluss traf sich die Mannschaft zum Pokern im Hinterzimmer.
Anfangs ging alles gut. Noch Ende Juli 2008 beschrieb die "Financial Times" in einem geradezu ehrfurchtsvollen Porträt, wie Weinstein schon um 6 Uhr früh an seinem Bloomberg-Terminal saß, Kollegen ärgerte und Klienten umgarnte. "Mr. Weinstein und die Deutsche Bank", befand das Blatt, "genießen bei den Investoren hohe Glaubwürdigkeit."
Doch schon einen Monat später nahm das Desaster seinen Lauf. Auslöser der Katastrophe für Weinstein waren die drei großen Wendepunkte der Wall-Street-Krise - die sich alle innerhalb einer schicksalhaften September-Woche ereigneten: der plötzliche Kollaps der traditionsreichen Investmentbank Lehman Brothers , das Ende von Merrill Lynch und die Quasi-Nationalisierung des damals weltgrößten US-Versicherungsriesen AIG .
Alle drei nunmehr kaputten Konzerne hatten eine wichtige Rolle im CDS-Handel gespielt. Jetzt brach der Markt zusammen. Weinsteins Geschäftsgrundlage schmolz dahin.
Die Frankfurter Bankspitze zwang den Starhändler daraufhin, wie das "Wall Street Journal" später berichtete, fast alle seine Aktivitäten abzustoßen, um den Schaden möglichst klein zu halten. Das wahre Ausmaß des Desasters begann der Wall Street allerdings erst ab Mitte Dezember zu dämmern: Da wurde Reportern gesteckt, Weinstein und sein Team hätten im vierten Quartal "rund eine Milliarde Dollar" verloren.
Neustart im Sommer
"Bis zum vierten Quartal haben wir die Krise relativ gut überstanden", gab Ackermann Mitte Januar dann zu. Doch mit dem Zusammenbrauch von Lehman habe sich die Lage verschärft. Trotzdem markierte der angeschlagene Bankchef in einer Telefonkonferenz mit Analysten noch Optimismus.
Da war Weinsteins Abgang schon beschlossene Sache: Die Bank stellte das Roulette mit Kreditpapieren auf eigene Rechnung komplett ein. Weinsteins Job und Expertise waren überflüssig geworden. "Die Risiken", sagte ein eingeweihter Manager dem SPIEGEL, "sind einfach nicht mehr vertretbar."Abschreibungen, Absturz, Abgang - und dennoch hat Weinsteins Image in Business-Kreisen kaum Schaden genommen. "Das ist der Kerl, den ich anrufe, wenn ich wissen will, was los ist", sagte Hedgefondsmanager Bill Ackman dem Wirtschaftsdienst Bloomberg auch hinterher noch. Weinstein bleibe "einer der zwei Top-Leute im Kreditgeschäft". Worauf das "New York Magazine" bitter resümierte: "Weinstein beweist, dass Scheitern doch eine Option ist."
In seinem Profil auf der Networking-Seite LinkedIn - wo er nach wie vor als "Managing Director at Deutsche Bank" auftritt - notiert Weinstein unter der Rubrik "Interessen": "Neue Referenzen". Längst soll er aber schon erfolgreich begonnen haben, nach Investoren für seinen eigenen Hedgefonds zu suchen. "Er erwartet", berichtet das "Wall Street Journal", "dass er im Sommer mit dem Handel beginnt."