Deutsche Konzerne in China Ende der Vorzugsbehandlung
Airbus verkauft 23 Flugzeuge vom Typ A319 und A330 nach China, Volkswagen vereinbart den Bau zweier Motorenfabriken in Dalian und Shanghai, Siemens schließt Verträge ab über die Produktion von 180 Lokomotiven. Alles Geschäfte, die im Rahmen des China-Besuchs von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Dezember 2004 getätigt wurden.
Doch die Aufbruchstimmung, die diese Nachrichten suggerieren, trügt. Denn parallel zu diesen Erfolgsgeschichten mehren sich Misserfolge. Volkswagen verliert die Hälfte seines Marktanteils während der japanische Konkurrent Toyota seine Produktionskapazität in der chinesischen Stadt Guangzhou drastisch erhöht. Siemens verliert den Wettstreit um den Zehn-Milliarden-Euro-Auftrag zum Bau von fünf Bahnlinien an die Hersteller des japanischen Schnellzugs Shinkansen.
Obwohl es zwischen Japan und China große politische Differenzen gibt, wie die antijapanischen Proteste in mehreren chinesischen Großstädten im April dieses Jahres illustrieren, findet derzeit eine bemerkenswerte wirtschaftliche Integration zwischen beiden Ländern statt. Deutschen Unternehmen erwächst damit eine Konkurrenz, die sie in den meisten Fällen gefährlich unterschätzen.
Motor der Integration sind gleiche Interessen: Japanische Unternehmen wollen ihre Produkte in China verkaufen und produzieren, chinesische Unternehmen begehren Technologie und Kapital aus Japan. China entwickelt sich zum wichtigsten Außenhandelspartner Japans. Das japanisch-chinesische Außenhandelsvolumen übertrifft den deutsch-chinesischen Wert um das Dreifache. Japan investiert mehr in China als alle EU-Länder zusammen. Auch die Bürger gehen aufeinander zu: China ist nach den USA mittlerweile Hauptreiseland der Japaner, rund 100.000 Chinesen studieren an japanischen Universitäten. Es entsteht ein neues bipolares Kraftzentrum der Weltwirtschaft.
Ungeachtet der wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten bestehen die politischen Differenzen beider Länder fort. Diese traditionelle, von beiden Seiten gepflegte Trennung politischer und wirtschaftlicher Fragen (im japanischen "seikei bunri" genannt) wird im Westen vielfach missverstanden. Insbesondere in Deutschland ist die Vorstellung verbreitet, dass sich Chinesen und Japaner spinnefeind seien und dass in dieser Konstellation - wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte - dauerhafte Chancen oder gar Wettbewerbsvorteile für deutsche Unternehmen lägen. Eine gefährliche Selbsttäuschung; denn insbesondere die Chinesen entscheiden auf wirtschaftlichem Gebiet nach harten ökonomisch-technischen Kriterien.
Für deutsche Unternehmen auf dem chinesischen Markt heißt das: Es gibt keine Vorzugsbehandlung mehr. Um in China erfolgreich zu sein, entscheidet neben profundem Marktverständnis, Geduld und finanziellen Ressourcen, interkultureller Managementkapazität und kontinuierlicher Stakeholder-Kontaktpflege vor allem der Umgang mit dem Wettbewerb über den Erfolg. Denn in zentralen Kompetenzfeldern der deutschen Industrie wie Maschinen-, Anlagen- oder Automobilbau, Transport, Elektrik und Elektronik stehen die japanischen Wettbewerber ebenfalls sehr gut da. Deutsche Unternehmen müssen dementsprechend ihre Wettbewerbsvorteile konsequent ausbauen, die Stärken der Japaner analysieren und ihre Schwächen nutzen.
Die typischen Wettbewerbsvorteile deutscher Unternehmen bestehen in überlegener Technologie, einer echten, historisch gewachsenen Differenzierung, einer meist von technischer Machbarkeit getriebenen Flexibilität, hoher Anpassungs- und Liefergeschwindigkeit sowie weltbekannten, Vertrauen stiftenden Marken. Gute Beispiele bieten neben einigen Bluechip-Industriekonzernen, darunter BASF und ThyssenKrupp, vor allem die Hidden Champions. Das sind sehr spezialisierte Mittelständler mit hohem Weltmarktanteil in ihrer Branche wie die Firmen Mayer Textilmaschinen und Sartorius Waagenbau.
Die Vorzeigeunternehmen stehen zugleich für ein intrinsisches Risiko der deutschen Industrie: Viele ihrer Produkte von Weltrang gehören zum sogenannten Porsche-Segment. Sie sind ebenso leistungsfähig wie kostspielig. Sie dominieren das Spitzensegment, aber darunter läuft wenig. Kunden, die sich mit etwas weniger Leistung zufrieden geben, erhalten fernöstliche Konkurrenzprodukte weit günstiger. In diesem Fast-Follower-Segment entfalten die Japaner ihre eigentlichen Stärken. Das sind vor allem die räumliche und mentale Nähe zum chinesischen Markt, der Verzicht auf Overengineering, die strikte Kunden- und Serviceorientierung entlang der Wertschöpfungskette sowie Erfahrungen mit anderen High-Growth-Ökonomien in Asien.
Teil zwei: Welche Schwächen die japanischen Konkurrenten haben - und wie deutsche Unternehmer sie ausnutzen können
Nach diesem Schema haben etwa die japanischen Automobilhersteller ihre Position in China aufgebaut und deutsche Anbieter massiv zurückgedrängt. VW hat rund die Hälfte seines Marktanteils verloren - vor allem an Toyota, die japanische Ikone. Die japanischen Firmen nutzen dabei auch die Tatsache, dass die chinesischen Konsumenten Marken zunehmend wie der Rest der Welt betrachten und zum Beispiel mit der Marke Toyota hohe Qualität verbinden.
Doch die Japaner haben auch Schwächen: Ihre Konzentration auf schlanke, effiziente Prozesse statt auf strategische Differenzierung, langwierige Entscheidungsabläufe, die Ausrichtung auf Umsatz und Marktanteil statt auf Profit, die Vermeidung harter Exit- Entscheidungen sowie die Verquickung sachlicher und personeller Fragen.
Diese Schwächen können deutsche Unternehmen nutzen.
Die Schott AG beherrscht dieses Vorgehen beispielhaft. Um eine Technologie- und Vertriebskooperation mit dem chinesischen Unternehmen Henan Anyang CPT zu erreichen, musste sie sich besser darstellen als der japanische Konkurrent. Dessen größte Schwäche war die sehr bürokratische Organisation, Entscheidungen dauerten lange. Der Schott-Vorstand änderte deshalb die üblichen Prozeduren und entschied über Vertragsdetails schnell und unbürokratisch. Schott gewann wertvolle Zeit - und der besser vernetzte Wettbewerber aus Japan hatte das Nachsehen.
Kooperationen mit Japanern auf dem chinesischen Markt, um das gemeinsame Risiko zu senken, sind selten eine Alternative. Meist sind die strategischen Ziele und die internen Strukturen und Prozesse zu verschieden, die kulturellen und sprachlichen Barrieren zu hoch. Man hat es schließlich nicht nur mit dem chinesischen Kunden, sondern auch noch mit dem japanischen Partner zu tun und damit, drei Kulturen zusammenzubringen.
Zudem versucht die chinesische Seite, eine deutsch-japanische Zusammenarbeit zu vermeiden. Sie nutzt das Prinzip "Teile und herrsche". Ausländische Wettbewerber werden gegeneinander ausgespielt, teils offen, teils verdeckt. Das ist einer der Gründe dafür, dass zahlreiche deutsche Unternehmen in China viel Geld und Know-how verlieren.
Deutsche Unternehmen, die in China langfristig erfolgreich sein wollen, müssen sich vor allem mit ihren japanischen Konkurrenten auseinander setzen und individuelle Strategien erarbeiten - so wie das Management der Schott AG. Viele Unternehmen versäumen ein solches Vorgehen. Angesichts dieser Lage und des Margendrucks im deutschen Heimatmarkt müssen deutsche Mittelständler in China schon bald intensiv über Exit-Strategien nachdenken.
(C) Harvard Businessmanager