SPIEGEL Gespräch »Die Fusionskontrolle ist kein Zuckerlecken«
SPIEGEL: Herr Kartte, wenn Sie in diesen Tagen als neuer Präsident des Bundeskartellamtes ernannt werden, stehen die Zeichen schlecht für Sie und Ihren neuen Job: Allein im letzten Jahr stieg die Zahl der Fusionen um 41 Prozent auf 448 Fälle. Kann der neue Kartellamtspräsident mehr leisten, als die fortschreitende Konzentration zu verwalten?
KARTTE: Sie haben recht, die Zahl der Fusionen ist gestiegen. Aber diese Zahl ist nur bedingt aussagefähig. Schon wenn beispielsweise Esso eine Aral-Tankstelle übernimmt, gilt das in der Statistik als Fusion. Die Zahl der wirklich großen Fusionen hat dagegen eher abgenommen. Vielleicht ist das schon ein Erfolg der in der Kartell-Novelle von 1973 verschärften Fusionskontrolle.
SPIEGEL: Ist es nicht vielmehr so, daß die großen Fusionen bereits abgeschlossen wurden? Nehmen Sie zum Beispiel den Fall Thyssen/Rheinstahl oder Veba/Gelsenberg ...
KARTTE: Sicher, die Fusionskontrolle wäre besser einige Jahre früher gekommen. Das ist auch die Meinung des amtierenden Amtspräsidenten Professor Günther. Nur: Wir jammern jetzt über verschüttete Milch. Es hat Jahre gedauert, bis wir die Öffentlichkeit für den Gedanken einer Fusionskontrolle interessieren und schließlich das Parlament überzeugen konnten. Im übrigen hat natürlich auch die Konjunkturflaute des letzten Jahres dazu beigetragen, daß manche mittelständischen Unternehmer sich in den Schutz größerer Firmen geflüchtet haben. SPIEGEL: Allzu bedeutsam kann der Einfluß der Rezession kaum gewesen sein, denn der Konzentrationstrend ist seit mehr als zehn Jahren ungebrochen.
KARTTE: Richtig, und das hat ja auch plausible Gründe. Die starke Verflechtung der Weltwirtschaft, das Fallen von Zollgrenzen und Handelshemmnissen hat gewissermaßen als Gegenbewegung die Unternehmen veranlaßt, stark zu expandieren und sich durch Fusionen zusammenzuschließen. Man kann nicht bestreiten, daß es für viele Unternehmen wichtig war, jene Anteile, die sie früher auf kleineren nationalen Märkten hielten, nun auch auf den größeren internationalen Märkten anzustreben.
SPIEGEL: Wozu dann ein nationales Bundeskartellamt?
KARTTE: Es ist nicht richtig, daß wir uns nur mit dem nationalen Markt befassen, oder genauer, es ist nicht ganz richtig. Zwar können wir mit dem deutschen Kartellgesetz nur den
Wettbewerb innerhalb dieses Landes schützen. Aber wir müssen hei all unseren Entscheidungen natürlich auch die internationalen Wettbewerbseinflüsse berücksichtigen.
SPIEGEL: An diese Regel hat sich das Amt in der Vergangenheit offenbar nicht immer gehalten. Als das Kartellamt 1974 gegen den Volkswagenkonzern wegen des Verdachts eines Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung ermittelte, wurde nur der westdeutsche Markt untersucht.
KARTTE: Der relevante inländische Markt bestimmt sich nach der Faustregel: Produktion minus Exporte plus Importe. Deshalb berücksichtigen wir sehr wohl die Einflüsse, die vom Ausland ausgehen. Bei Autos ist das sehr einfach: Man sieht in die Flensburger Zulassungsstatistik und weiß dann, wie viele Volkswagen, Fiats, Renaults zugelassen wurden.
SPIEGEL: Das Kartellamt stellte im Falle VW fest, daß die Gesetzeskriterien der marktbeherrschenden Stellung vom Volkswagenwerk erfüllt wurden, und nahm überdies an, der Konzern habe diese Position mißbraucht*. Sind Sie der Meinung, daß in der Automobilindustrie kein Wettbewerb mehr herrscht?
KARTTE: Die deutschen Hersteller sind seit vielen Jahren starken Importen ausgesetzt. Gerade im Mittelklassebereich bieten Italiener, Franzosen und Japaner viele interessante Modelle und Typen an. Das ist Wettbewerb.
SPIEGEL: Dennoch ermittelte das Kartellamt gegen VW. Hätte ein Kartellamtspräsident Kartte diese Untersuchung verhindert?
KARTTE: Das Kartellamt hatte ohne Zweifel darin recht, daß Volkswagen unter die Marktbeherrschungsvermutungen des neuen Kartellrechts fiel. Die zweite Frage, die letztlich auch vom Bundeskartellamt verneint wurde, war: Lag wirklich Marktbeherrschung und ein Mißbrauch dieser Marktbeherrschung vor?
SPIEGEL: Die ganze Untersuchung war für das Kartellamt nicht gerade ein Erfolg.
KARTTE: Hinterher ist man immer klüger. Als das Amt in den Fall einstieg, ging es von den drei aufeinanderfolgenden Preiserhöhungen von VW in den Jahren 1973/74 mit insgesamt über zehn von Hundert aus. In die Ermittlungen des Amtes fiel jedoch der Zeitpunkt, in dem alle Welt meinte, VW kämpfe um seine Existenz. Von da an war es problematisch zu sagen: Eure Preise sind zu hoch. Immerhin wurde das Verfahren dann auch eingestellt, weil sich ein Mißbrauch nicht nachweisen ließ.
SPIEGEL: Der Volkswagenkonzern selbst hat in der letzten Woche angekündigt, die Krise sei vorbei, er werde in diesem Jahr wieder einige hundert Millionen Mark verdienen. Vermutlich spielen dabei die Preiserhöhungen des Frühjahrs 1976 eine gewichtige Rolle. Damals erhöhten mit Ausnahme von Daimler-Benz alle westdeutschen Autofirmen ihre Preise. Auch in den Vorjahren mußte der Verdacht aufkommen, die Autokonzerne hätten sich bei Ausmaß und Zeitpunkt der Preiserhöhungen sorgsam miteinander abgesprochen. Kann das Kartellamt gegen dieses Ritual etwas unternehmen?
KARTTE: Als Mensch empfinde ich wie Sie. Wenn man solche Abläufe sieht, kann man sich wirklich fragen: Mein Gott, haben die Jungs vorher zusammengesessen?
SPIEGEL: Und wie ist die Antwort des zukünftigen Kartellamtspräsidenten auf seine menschliche Frage?
KARTTE: Auf Märkten, auf denen zwischen den einzelnen Herstellern
* Laut Paragraph 22. Absatz 3. »wird vermutet, daß ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es ... einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat ... oder drei oder weniger Unternehmen zusammen einen Marktanteil von 50 vom Hundert oder mehr haben«.
vom Produkt her gewisse Abhängigkeiten bestehen, sind auch ohne Absprache fast gleichzeitige Entscheidungen denkbar. Es gibt eben eine Menge von Kostenfaktoren, zum Beispiel die Tarifabschlüsse in der Metallindustrie, die alle Autounternehmen zur gleichen Zeit und im vergleichbaren Ausmaß treffen. Und dann ist die Versuchung groß, sich zu sagen: Jetzt ist die Gelegenheit günstig, das hereinzuholen, was man an Erlösverbesserung braucht. So kann leicht eine Kette entstehen, die nicht nur mit abgestimmtem Verhalten und Absprachen erklärbar ist, sondern auch den Marktregeln entsprechen kann.
SPIEGEL: Immerhin ist auffällig, daß Jahr um Jahr ein anderer Konzern die Preiserhöhungsrunde eröffnet. Was könnten Sie dagegen tun, wenn sich die Vorstandsvorsitzenden der Autofirmen zum Beispiel diskret per Telephon auf Zeitpunkt und Ausmaß der Preiserhöhungen verständigten?
KARTTE: Den Preisen hinterherzulaufen ist in der Tat schwierig und im Grunde auch nicht der Sinn der Wettbewerbspolitik. Wir dürfen uns für die Märkte nicht erst dann interessieren, wenn Preiserhöhungen durchgesetzt werden, die nach Meinung vieler ungerechtfertigt sind. Wir müssen viel früher anstehen und dafür sorgen, daß wettbewerbliche Marktstrukturen entstehen oder bestehenbleiben.
SPIEGEL: Dazu werden Sie schon bald Gelegenheit haben, denn vermutlich wird Ihnen in den nächsten Wochen der Fusionsfall Karstadt/Neckermann vorgelegt werden. Werden Sie diese Fusion zwischen dem größten Kaufhauskonzern der Bundesrepublik und dem drittgrößten Versandunternehmen, das immerhin auch etliche Dutzend Kaufhäuser besitzt, zulassen?
KARTTE: Ich kann diesen Fall hier und heute nicht lösen. Natürlich ist es wettbewerbspolitisch äußerst interessant, wenn der größte Kaufhauskonzern den Abstand zum zweitgrößten noch weiter ausbaut. Aus wettbewerblicher Sicht sind die Bereiche Handel, Touristik und Ferienhäuser voneinander zu unterscheiden und sorgfältig zu analysieren. Was am Ende herauskommt, kann niemand heute sagen.
SPIEGEL: Einiges spricht für die Vermutung, daß sich das Kartellamt am Ende damit begnügen wird, einige kosmetische Operationen zu verlangen. Könnte das Kartellamt angesichts der schwierigen finanziellen Situation, in die Neckermann geraten ist, überhaupt eine Fusion verbieten?
KARTTE: Wir wissen selber, daß die Fusionskontrolle kein Zuckerlecken ist und daß der Wettbewerbsaspekt mit anderen gesamtwirtschaftlichen Zielen, aber auch mit den unternehmenspolitischen Bedürfnissen der Fusionspartner kollidieren kann. Auf der anderen Seite haben wir unzweifelhaft Erfolge vorzuweisen.
SPIEGEL: Welche Entscheidungen halten Sie für Erfolge?
KARTTE: Zum Beispiel wurde die Fusion der Aluminiumfirmen VAW und Kaiser verhindert.
SPIEGEL: Vor einigen Wochen hat das Kartellamt die Übernahme der Aktienmehrheit an der Fichtel & Sachs-AG durch den britischen Maschinenbaukonzern Guest, Keen and Nettlefolds untersagt. Zumindest die Sachs-Brüder vermuten, daß dieses Verbot vorwiegend politische Gründe hat. Sie argwöhnen, daß Ihr Amt erst aktiv wurde, als der Versuch gescheitert war, den Verkaufserlös zu besteuern.
KARTTE: Ein solcher Verdacht ist schon deshalb unbegründet, weil der Ablauf des Kartellverfahrens im Gesetz programmiert ist. Wenn eine Fusionsanmeldung vollständig vorliegt, läuft die Untersuchungsfrist an. Die Entscheidung im Falle Sachs ist am Ende dieser gesetzlich festgelegten Frist ergangen. Schon deshalb ist der von Ihnen wiedergegebene Manipulationsverdacht unsinnig.
SPIEGEL: Sie schließen politische Motive aus?
KARTTE: Absolut. Ob die Entscheidung des Bundeskartellamtes Bestand hat, werden die Gerichte entscheiden. Jedenfalls entspricht der gedankliche Ansatz voll dem Gesetzestext und der Begründung, mit der die Bundesregierung dieses neue Kartellgesetz in den Bundestag einbrachte. Insofern besteht Übereinstimmung auch mit den Beratungen des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, wie sie in seinem schriftlichen Bericht an das Plenum niedergelegt sind. Das Amt liegt also mit der sogenannten Ressourcenbetrachtung* in der Richtung, die ihm vorgegeben worden ist.
SPIEGEL: Der Fall erscheint uns nicht nur wegen des farbigen Vorlebens der Sachs-Brüder interessant. In der offiziellen Begründung des Verkaufs heißt es, die Transaktion solle die Kapitalkraft des Unternehmens stärken. In einer Krisensituation seien die Brüder nicht in der Lage, für eventuell notwendig werdende Kapitalerhöhungen geradezustehen. Angenommen, die Autoindustrie und damit auch der Zulieferkonzern Fichtel & Sachs geraten wider Erwarten in eine Absatzflaute -- müßten Sie sich dann nicht vorhalten
* Die Ressourcen-Betrachtung wurde erstmals ins Fall Sachs angewandt. Sie erlaubt ein verkaufsverbot, wenn die marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens durch die Finanzkraft des Käufers noch verstärkt wird.
lassen, daß das Verkaufsverbot Arbeitsplätze bei Fichtel & Sachs gefährde?
KARTTE: Das Kartellamt hat diesen Fall nicht als Sanierungsfall entschieden, und dazu bestand auch keinerlei Anlaß.
SPIEGEL: Der Anlaß könnte sich in den nächsten Jahren ergeben.
KARTTE: Ich habe vorhin gesagt, die Fusionskontrolle sei kein Zuckerlecken. Im übrigen bedingen unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedliche Beurteilungen.
SPIEGEL: Auch die Erfahrungen des Kartellamtes mit den internationalen Ölgesellschaften sind schlecht. Alle Versuche, die das Amt in der Vergangenheit riskierte, um den Konzernen unlautere Preistreiberei nachzuweisen, schlugen fehl. Obgleich gerade diese Branche doch deutlich von wenigen Firmen beherrscht wird.
KARTTE: Sie können nicht leugnen, daß sich seit der Ölkrise auch auf diesem Markt deutliche Wettbewerbselemente gezeigt haben
SPIEGEL: ... eher ein Wettbewerb der Unternehmen darum, wer zuerst die Benzinpreise erhöht.
KARTTE: Etliche Versuche, Preiserhöhungen durchzudrücken, sind fehlgeschlagen.
SPIEGEL: Dank der freien Tankstellen.
KARTTE: Gut, aber genau das ist Wettbewerb. Gerade deswegen haben wir uns so intensiv bemüht, das Wettbewerbselement der freien Tankstellen zu erhalten.
SPIEGEL: Der Marktanteil der Freien hat abgenommen.
KARTTE: Nach der Krise haben sie sich deutlich erholt.
SPIEGEL: Und sind in den letzten Monaten wieder eingebrochen.
KÄRTTE: Leider. Das liegt an der Entwicklung des Öl- und Benzinmarkts in Rotterdam.
SPIEGEL: Die Vorschriften des 1973 novellierten Kartellrechts sollten dem Amt mehr Möglichkeiten geben, den Machtmißbrauch marktbeherrschender Unternehmen zu kontrollieren. Insbesondere haben Ihre Beamten die Möglichkeit, in bestimmten Fällen den Firmen sogenannte Als-ob-Preise vorzurechnen. Bei dieser Kalkulation wird simuliert, es herrsche Wettbewerb. Die Unternehmen seien nicht imstande. Übergewinne einzustreichen. Ist dieses Konzept überhaupt praktikabel?
KARTTE: Die von Ihnen angesprochene Preismißbrauchsaufsicht wird in der öffentlichen Einschätzung des Kartellrechts immer eine große Rolle spielen. Nur müssen wir auch sehen -- und das ist keine Ideologie, sondern platte Praxis -, daß mit einer Nachkalkulation von Preisen oder der Kontrolle von Kostenfaktoren nicht allzuviel zu erreichen ist.
SPIEGEL: Warum nicht?
KARTTE: Der Preis, den eine Behörde aufgrund von Kostenfaktoren kalkuliert, die ihr vom Unternehmen nachgewiesen wurden, wird selbst bei den kritischsten Beamten im Zweifel immer höher liegen als der Marktpreis. Wir müssen einfach von der Binsenwahrheit ausgehen, daß sich nichts leichter produzieren läßt als Kosten.
SPIEGEL: Dann ist das neue Konzept sinnlos?
KARTTE: Nein, die Preismißbrauchsaufsicht ist nach geltendem Recht immerhin eine Ultima ratio in Fällen, in denen Vergleichsmärkte zur Verfügung stehen und danach Preise eindeutig überhöht sind. Sie steht aber nicht im Mittelpunkt unseres Kartellrechts und darf insofern nicht überschätzt oder überfordert werden. Als eine gesetzliche Lücke, die geschlossen werden könnte, sehe ich es allerdings an, daß die Kartellbehörde nicht auch für die Vergangenheit den Mißbrauch marktbeherrschender Macht feststellen und ahnden darf. Gegenwärtig trägt sie das volle Prozeßrisiko, wenn sich die Verhältnisse im Laufe des Verfahrens ändern.
SPIEGEL: Welche Schwerpunkte wollen Sie dem Amt setzen?
KARTTE: Ohne Zweifel stellt sich derzeit das Problem der wirtschaftlichen Macht, genauer, das Problem der Nachfrage-Macht besonders deutlich. Wir im Wirtschaftsministerium haben ein sogenanntes Sündenregister aufgestellt, das gewisse Blüten eines überzogenen Wettbewerbs aufzählt. Im Handel ist der Wettbewerb gelegentlich zu einer ruinösen Konkurrenz ausgeartet. SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
KARTTE: Wenn beispielsweise manche Großformen des Handels ihren Lieferanten Regalmieten abnehmen oder verlangen, daß ihnen vom Lieferanten kostenlos Verkaufspersonal zur Verfügung gestellt wird, dann läuft das auf einen Verdrängungswettbewerb hinaus. Die Kartellbehörden haben auf solche Mißbrauchsfälle reagiert und verstärkt das Problem der Nachfrage-Macht aufgegriffen.
SPIEGEL: Inzwischen hat die Mehrzahl der Beteiligten unter Anleitung des Wirtschaftsministeriums ein Stillhalteabkommen unterschrieben, das solche Praktiken verhindern soll. Hätte das Kartellamt nicht früher aktiv werden müssen?
KARTTE: Gerade im Handel ist Marktbeherrschung nur schwer nachzuweisen, weil die Märkte bisher stets warenbezogen, produktbezogen definiert wurden. Der Anteil von Neckermann oder Metro am Verkauf von Nudeln ist beispielsweise lächerlich gering. Ich gebe Ihnen zu, daß wir dieses Problem noch nicht bewältigt haben.
SPIEGEL: Auch auf dem Zeitungsmarkt ist die Konzentration unaufhaltsam weitergegangen. Warum hat das Kartellamt beispielsweise nichts gegen die »Westdeutsche Allgemeine« unternommen, die mit Billigpreisen die lokale Konkurrenz zur Aufgabe zwang?
KARTTE: Wir sind im Zeitungsbereich seit einiger Zeit sehr aktiv. Da ist zunächst die Presse-Fusionskontrolle, die kürzlich vom Bundestag verabschiedet wurde. Sowohl im Kartellamt als auch bei den Landeskartellbehörden laufen Verfahren, die sich mit dem Verdrängungswettbewerb im Zeitungsbereich befassen.
SPIEGEL: Auch da kommen Sie offenbar zu spät.
KARTTE. Sicher, sicher. Aber was nutzt das Jammern? Wir müssen eben versuchen, jetzt noch das Mögliche zu tun. Nehmen wir den Fall der »Westdeutschen Allgemeinen«. Ich habe eine Reihe von Gesprächen mit dem Geschäftsführer dieser Zeitung darüber geführt. Dabei wurde ich knallhart gefragt: Wollen Sie etwa mit kartellrechtlichen Zwangsmitteln erreichen, daß ich meinen Abonnentenpreis von 7,30 Mark auf elf, zwölf Mark erhöhe? SPIEGEL: Was haben Sie erwidert? KARTTE: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich will Ihnen nur deutlich machen, wie neuralgisch dieser Bereich ist. Wenn Sie das Kartellrecht gegen Verdrängungswettbewerb ansetzen, kommen Sie zwangsläufig in die Schwierigkeit, gegen niedrige Preise vorgehen zu müssen. Und das ist eine Schwelle, die ein Wettbewerbsfritze, der auch immer preispolitische Interessen zu wahren hat, nur sehr schwer überschreiten kann.
SPIEGEL: Herr Kartte, Ihr Vorgänger war fast 19 Jahre im Amt, erst seine Pensionierung macht den Weg frei für Sie. Wenn Sie ähnlich hartnäckig sind, werden Sie bis 1994 dem Kartellamt präsidieren. Wie wird nach Ihrer Ansicht die deutsche Industrielandschaft dann aussehen?
KARTTE: Diese Rechnung hatte ich mir noch gar nicht aufgemacht. Doch zur Sache: Vermutlich wird die Konzentration in vielen Branchen weitergegangen sein. Aber eine dynamische Marktwirtschaft produziert neue Märkte, neue Unternehmen. Vielleicht gibt es 1994 überaus wettbewerbsintensive Industriezweige oder Unternehmen, die wir noch gar nicht kennen.
SPIEGEL: Das scheint uns eine recht kühne Vermutung. In den letzten zehn Jahren war von Newcomern, die, von den Gewinnen einer Branche angelockt, die angestammten Firmen zum Wettbewerb herausforderten, nicht viel zu sehen.
KARTTE: Ich bitte Sie, denken Sie doch an das Auftauchen der vielen neuen Stoffe und Produkte.
SPIEGEL: Dieses Geschäft haben doch weitgehend die etablierten Firmen unter sich ausgemacht.
KARTTE: Ich gebe zu, daß Firmen. die das alte Produkt anbieten, stets versuchen, auch das neue in die Hand zu bekommen. Auf der anderen Seite haben alle diese Innovations-Prozesse auch immer Wettbewerbselemente freigesetzt. Wollen Sie denn etwa sagen, daß der deutsche Verbraucher schlecht bedient wird?
SPIEGEL: Nein. Nur erscheint uns zweifelhaft, neue Wettbewerber könnten sich behaupten oder gar für Konkurrenz sorgen.
KARTTE: Sicherlich ist es für neue Wettbewerber oft schwierig, in den klassischen Branchen Fuß zu fassen. Dennoch: Nach meiner Meinung ist bei uns der Wettbewerb im Ganzen noch so intensiv, daß wir unsere Marktwirtschaft nach wie vor als das attraktivste Ordnungsprinzip verkaufen können.
SPIEGEL: Herr Kartte, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.