Zur Ausgabe
Artikel 63 / 120

»Die Innenstädte veröden«

aus DER SPIEGEL 51/1993

SPIEGEL: Herr Deuss, wollen Sie Ihre Kunden bestrafen? Die können, wenn Karstadt Hertie übernimmt, künftig noch weniger wählen, weil Artikel und Preise überall dieselben sind.

Deuss: Das ist schon jetzt bei einer Reihe von Artikeln so. Die Nivea-Dose führen wir genauso wie Hertie und zum selben Preis. Im Grundsatz aber wollen wir die Häuser, jedenfalls dort, wo wir gemeinsam an einem Standort sind, gegeneinander profilieren.

SPIEGEL: Immer neue Zusammenschlüsse führen letztlich zu einer Verarmung des Warenangebots in der Innenstadt.

Deuss: Davon kann keine Rede sein. Wir können mit den zusätzlichen Flächen von Hertie neue Akzente im Sortiment setzen, wir können mehr Artikel präsentieren, so daß unser Angebot durchaus munterer wird.

SPIEGEL: In der Zange von Karstadt- und Hertie-Filialen wird es für die örtlichen Fachgeschäfte und Boutiquen noch schwieriger. Viele werden einen Verdrängungswettbewerb nicht durchhalten können.

Deuss: Dazu muß es nicht kommen. Die örtlichen Fachgeschäfte sind in der Regel in ihrem Sektor breiter und tiefer als die Warenhäuser sortiert. In unseren Abteilungen zum Beispiel für Parfüms oder Uhren und Schmuck können wir nicht überall ein solch komplettes Angebot führen.

SPIEGEL: Viele Fachgeschäfte in den Innenstädten gehören Filialketten, selbständig sind nur noch wenige. Muß das Kartellamt nicht die Fusion verbieten, wenn jetzt mit Hertie ein Großer vom Markt verschwindet?

Deuss: Ich will nicht versuchen, mit einem Kommentar auf ein schwebendes Verfahren Einfluß zu nehmen. Aber Sie können davon ausgehen, daß Hertie durchaus nicht vom Markt verschwinden wird. Im Einzelhandel in der Bundesrepublik sind Strukturen entstanden, die mit dem Zusammengehen von Karstadt und Hertie erst wieder gleichgewichtiger werden.

SPIEGEL: Sie übernehmen doch Hertie nicht aus purer Nächstenliebe, Sie möchten Ihren Konkurrenten Kaufhof überrunden. Er ist Ihnen davongezogen, seit er zur Metro-Gruppe gehört und den Warenhauskonzern Horten in seinen Einflußbereich brachte.

Deuss: Die Übernahme von Hertie hat mit dem Kaufhof nichts zu tun. Daß sie den Abstand zum Kaufhof vergrößert, ist allenfalls ein Nebeneffekt.

SPIEGEL: Jedenfalls werden nur zwei Anbietergruppen übrigbleiben. _(* Das Gespräch führten die Redakteure ) _(Dinah Deckstein und Rudolf Wallraf. )

Deuss: Glauben Sie mir, Karstadt und Hertie werden gemeinsam den Wettbewerb in den Innenstädten bereichern.

SPIEGEL: Kaufhof-Chef Jens Odewald investiert kaum noch in die Vertriebsform Warenhäuser. Er setzt voll auf Fachmärkte, wie für Computer oder Unterhaltungselektronik. Sind Sie auf dem falschen Weg?

Deuss: Nein. Mit dem innerstädtischen Warenhaus liegen wir gut im Rennen. Was Karstadt auch ergebnismäßig leistet, kann sich im weiten Rund des Handels sehen lassen.

SPIEGEL: Fachmärkte verbuchen inzwischen zum Teil zweistellige Zuwächse bei Umsatz und Ertrag.

Deuss: Auch wir haben diese Vertriebsform im Test, nehmen Sie unsere erfolgreiche Kette Runners Point. Hinzu kommen die Fachmarkt-Linien von Hertie, wie WOM oder Schaulandt, letztere vertreibt vor allem Unterhaltungselektronik. Durch Hertie verfügen wir außerdem über zusätzliche innerstädtische Flächen, die auch für solche neuen Formen genutzt werden könnten.

SPIEGEL: Einige Hertie-Filialen müssen wohl geräumt werden, als Auflage des Kartellamtes für eine Genehmigung der Fusion. In Berlin, Hamburg oder München kamen die Prüfer beim ersten Blick auf erschreckend hohe Marktanteile.

Deuss: Sie wissen wohl mehr als ich. Bislang ist das Kartellamt noch nicht mit Prüfungsergebnissen an uns herangetreten. Im übrigen bewegen sich die gemeinsamen Marktanteile in den genannten Städten in unkritischen Größenordnungen.

SPIEGEL: Wettbewerbsexperten befürchten, Kaufhof und Karstadt werden sich irgendwann arrangieren. Der Kaufhof setzt voll auf die Fachmärkte, Karstadt auf die Warenhäuser.

Deuss: Das ist Unfug. Glauben Sie nicht, im Handel tobe kein Wettbewerb. Es gibt doch nicht nur Warenhäuser oder Fachmärkte. Discounter, Verbrauchermärkte, Filialketten, Selbstbedienungswarenhäuser - alle heizen sich gegenseitig ein.

SPIEGEL: Bei den Lebensmitteln beherrschen nur noch wenige Riesen den Markt. Metro, Tengelmann, Aldi oder Rewe tun sich doch schon nicht mehr weh. Sie gehen sich aus dem Weg und setzen irgendwann gemeinsam die Preise hoch.

Deuss: Ein Indiz für den harten Wettbewerb ist die Preissteigerungsrate. Sie liegt 1993 im gesamten Einzelhandel bei 2,1 Prozent, also 2 Punkte unter der Inflationsrate. 1994 könnte es für den Konsumenten noch günstiger werden.

SPIEGEL: Warum?

Deuss: Die Begierde der öffentlichen Hand drückt auf das Konsumklima. In den nächsten beiden Jahren werden die Abgabenerhöhungen zusammen mehr als 100 Milliarden Mark Kaufkraft abschöpfen. Um die geringeren Verbraucherausgaben balgen sich die Anbieter mit aller Intensität.

SPIEGEL: Im Einkauf liegt der Segen, sagen die Händler. Auch da sind die Großen im Vorteil.

Deuss: Das ist ein Vorteil der Übernahme von Hertie. Gemeinsam können wir die Weltmärkte noch besser erschließen.

SPIEGEL: Nicht nur die Weltmärkte. Mit ihrem gewaltigen Einkaufsvolumen haben die Handelsriesen bei den Produzenten eine parallele Entwicklung in Gang gesetzt - die Konzentration auf wenige Anbieter wie Unilever, Nestle oder Oetker. Gibt es schon bald nur noch die Einheitsschokolade?

Deuss: Bei Gütern des täglichen Bedarfs, des Grundsortiments mag dieser Trend zutreffen. Es wird aber immer auch hochwertige Schokoladen geben. Die kaufen Sie bei uns in den Delikatessenabteilungen. Für innovative Produzenten gibt es genügend Profilierungsmöglichkeiten.

SPIEGEL: Sind die deutschen Hersteller von Konsumwaren innovativ?

Deuss: Ein wunderschönes Beispiel ist die Funkuhr von Junghans. Noch ist der Zeitsender nur auf Europa beschränkt, aber warten Sie ab: Wenn er weltweit existiert, ist die Uhr ein Weltschlager.

SPIEGEL: Aber im Bekleidungshandel lassen Sie Einheitsware in Fernost fertigen.

Deuss: Wir sind inzwischen dazu übergegangen, mit eigenen Designern Modell-Linien selbst zu kreieren, die wir an günstigen Produktionsstandorten fertigen lassen, so daß wir im Bereich der Mode die Möglichkeit haben, uns abzuheben.

SPIEGEL: Was wiederum die deutschen Hersteller sehr verprellt. Die klagen, Sie kupfern ihre Modelle ab und lassen im Ausland fertigen.

Deuss: Wir klauen keine Ideen. Zum anderen führen wir und auch andere Textil- und Bekleidungshäuser in größerem Umfang Marken deutscher Hersteller.

SPIEGEL: Nach der Wende hat der Handel seine Massenware in die neuen Bundesländer geschafft. Ihre Branche zählt zu den Ostgewinnlern.

Deuss: Karstadt hat in erheblichem Umfang vorgeleistet. Als die Mauer fiel, haben wir ohne rechtliche Grundlage die damaligen Centrum-Warenhäuser mit hiesiger Ware beliefert, und zwar zu denselben Bedingungen wie unsere eigenen Filialen.

SPIEGEL: Sie wollten sich damit die besten Standorte sichern.

Deuss: Daß man vorleistet mit gewissen Hintergedanken, liegt auf der Hand. Unser Erfolg in den neuen Bundesländern basiert darauf, daß wir sofort mit westlichen Maßstäben aufgetreten sind. Wir haben die Häuser, die wir übernommen haben, mit erheblichen Aufwendungen westlichem Niveau angeglichen. Insgesamt haben wir hierfür rund 250 Millionen Mark investiert.

SPIEGEL: Solche Vorleistungen haben auch Rewe, Edeka, Douglas oder die Obi-Baumärkte erbracht. Haben sich die Giganten aus dem Westen die östlichen Länder aufgeteilt?

Deuss: Das ist in der Tat eine Entwicklung, die sehr bedenklich und gefährlich ist. Die meisten dieser Handelskonzerne haben sich an den Stadträndern auf den grünen Wiesen angesiedelt.

SPIEGEL: Die Einkaufszentren vor den Stadttoren sind sehr beliebt.

Deuss: Und die Innenstädte veröden. Bei Realisierung aller Baugenehmigungen oder Bauanfragen werden bereits im Jahr 1995 rund 55 Prozent der ostdeutschen Verkaufsfläche außerhalb der eigentlichen Stadtgebiete angesiedelt sein, in Westdeutschland dagegen nur 22 Prozent.

SPIEGEL: Haben die Warenhäuser diesen Trend verschlafen?

Deuss: Wir machen ihn nicht mit, weil wir in die Citys gehören. Wir werden alles daransetzen, die Fehlentwicklungen in den neuen Bundesländern zu korrigieren.

SPIEGEL: Was läuft falsch?

Deuss: Wir haben in Ostdeutschland im Einzelhandel eine völlig verzerrte Struktur. Wenn es um die Entwicklung der innerstädtischen Bereiche geht, die ja durchweg sanierungsbedürftig sind, läuft vieles aus dem Ruder. Ich habe große Bedenken, daß den ostdeutschen Städten eine ausreichende Revitalisierung gelingt, weil in vielen Fällen die Kaufkraft fehlt. Sie wird von den Einkaufszentren an den Stadträndern abgeschöpft und steht den Citys nicht mehr zur Verfügung.

SPIEGEL: In den neuen Bundesländern hat sich im Zeitraffer entwickelt, was dem Westen noch bevorsteht. Es gibt kaum kleinere Geschäfte.

Deuss: Das ist leider so. Wir hatten in Ostdeutschland die HO-Struktur. Sie ist in einer Form privatisiert worden, die weitgehend auf kurzfristigen Mietverträgen basierte. Es war eigentlich eine Scheinprivatisierung. Jetzt kommen die Alteigentümer der Liegenschaften und haben natürlich andere Ideen bezüglich der Rentabilität ihrer Gewerberäume.

SPIEGEL: Das hätte die Treuhand vielleicht sehen müssen.

Deuss: Sie hat beim Handel nicht immer glücklich operiert. Daran hat nun der kleinere Einzelhandel sehr zu knacken. Wir versuchen gemeinsam mit den Kommunen dafür zu sorgen, daß in den Innenstadtbereichen attraktive Warenhäuser entstehen. Wir wissen aus der Entwicklung in Westdeutschland, daß es symbiotische Verhältnisse zwischen Warenhäusern, Textilhäusern, Boutiquen und dem Facheinzelhandel gibt. Mit der Konzentration auf die Innenstadt fördern wir die Kulturreparatur.

SPIEGEL: Was soll denn das heißen?

Deuss: Wir haben in den ostdeutschen Innenstädten noch sehr viele alte kulturelle Baudenkmäler oder Bausubstanz, die man erhalten muß, um dort wieder Urbanität zu schaffen. Mit der Renovierung und Erweiterung denkmalwürdiger Warenhausbauten leisten wir zu dieser Aufgabe einen erheblichen Beitrag. Solche Bemühungen liegen den billig gebauten Verkaufsmaschinen auf der grünen Wiese natürlich völlig fern.

SPIEGEL: Sie wollen die Innenstädte attraktiver machen. Warum sperren sich dann gerade die Warenhäuser so gegen die Aufhebung des Ladenschlußgesetzes?

Deuss: Das ist ein heißes Thema, weil viele Einzelhändler wegen des höheren Kostenaufwandes dagegen sind. Sie haben aber recht. Zur Aufwertung der City gehören länger geöffnete Geschäfte.

SPIEGEL: Das sind ja ganz neue Töne.

Deuss: Eine völlige Aufhebung des Ladenschlußgesetzes bringt nichts. Aber gewisse Modifikationen sind für mich durchaus denkbar, zum Beispiel eine Verlängerung der Öffnungszeiten am Abend. Mir schwebt da 20 Uhr vor.

SPIEGEL: Warum gerade 20 Uhr, warum nicht einfach die Öffnungszeiten freigeben?

Deuss: Was macht der Kunde abends in der Innenstadt? So gegen 20 Uhr bekommt er, vereinfacht gesagt, Hunger und will essen gehen oder ins Theater. Er will dann die Innenstadt anders erleben, anders konsumieren als nur durch den Einkauf. Auch sollten die Geschäfte möglichst an allen Samstagen etwa bis 18 Uhr geöffnet sein. Meines Erachtens brauchte man samstags kaum vor 10 Uhr zu öffnen, denn in der Regel wollen die Leute am Samstagvormittag ausschlafen. Direkt verbraucherunfreundlich ist die Verkürzung der Öffnungszeit an den langen Samstagen in den Sommermonaten. Wir müssen um 16 Uhr unsere Kunden regelrecht aus den Läden treiben.

SPIEGEL: Herr Deuss, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y

[Grafiktext]

__83_ Wirtschaft: Umsatzzuwachs 1992 der Warenhauskonzerne

[GrafiktextEnde]

* Das Gespräch führten die Redakteure Dinah Deckstein und RudolfWallraf.

D. Deckstein, R. Wallraf

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 63 / 120
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten