Illegaler Bergbau in Mexiko Drogenkartelle erobern Mexikos Bergwerke
Alfredo Castillo ist ein vielbeschäftigter Mann. Seit Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto den Juristen Mitte Januar zum "Sondersicherheitsbeauftragten für Michoacán" ernannt hat, versucht Castillo in dem Staat an der Pazifikküste die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Die Hauptaufgabe für den gelernten Staatsanwalt besteht darin, eine der einträglichsten Einnahmequellen des organisierten Verbrechens neben dem Rauschgifthandel trocken zu legen: Den Abbau und Export von Rohstoffen.
Denn Mexikos Drogenkartelle steigen immer tiefer in diesen legalen Wirtschaftszweig ein. Im Norden Mexikos widmet sich die blutrünstige "Zeta"-Bande der Kohlegewinnung. Deren Erzfeinde vom "Sinaloa-Kartell" rauben Öl und Benzin und verkaufen es auf eigene Rechnung. Im tiefsten Westen Mexikos wiederum haben sich die sogenannten "Tempelritter" in Michaoacán des Abbaus und Exports von Eisenerz bemächtigt.
Fast alle Kartelle seien längst diversifizierte Großunternehmen, sagt der Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia. In legalen Wirtschaftszweigen wie dem Bergbau erzielten sie inzwischen bis zu 50 Prozent ihrer Umsätze, so der Professor an der New Yorker Columbia-Universität.
Der Bergbausektor ist eine wichtige Einnahmequelle der Kartelle
Der Bergbausektor sei dabei ein stetig und zügig wachsender Zweig der organisierten Kriminalität, weiß Buscgalia aus eigenen Untersuchungen. Früher hätten die Kartelle ihr schmutziges Geld vor allem in den Bausektor, die Landwirtschaft und den Pharmaziesektor gesteckt. Rohstoffschmuggel war nur eine von vielen Nebenaktivitäten. "Aber heute ist der Bergbausektor einer der wichtigsten Einnahmequellen der Mafias".
Ein Zentrum ist Michoacán, wo die größten Eisenerzreserven Mexikos schlummern. In Michoacán liegt auch Lázaro Cárdenas, der wichtigste pazifische Handelshafen, über den Mexiko ein Fünftel seines Außenhandels abwickelt. Vor allem Eisenerz aus den nahen Minen und verarbeiteter Stahl werden über den Hafen exportiert.
Nach Angaben von Behörden und Einschätzungen von Experten wird über Lázaro Cárdenas mittlerweile die Hälfte der Rohstoffausfuhren illegal abgewickelt. Die "Tempelritter" kontrollierten große Teile der Kette von Abbau bis Verschiffung. Die Banden betreiben selbst illegale Minen, rauben das Erz bei legalen Bergbauunternehmen und bestechen Zollbeamte, damit sie die Ware passieren lassen. Das illegal abgebaute Eisenerz geht oftmals direkt an chinesische Verbrechersyndikate, die im Gegenzug für den Rohstoff chemische Substanzen zur Herstellung synthetischer Drogen an die Kartelle liefern.
In der Hafenstadt übernahm Anfang November das Militär die Kontrolle und ersetzte rund 150 Polizisten und Zollbeamte, die angeblich auf der Lohnliste des organisierten Verbrechens standen. Seither kontrollieren Einheiten des Heeres, der Marine und der Bundespolizei in der 200.000-Einwohner-Stadt Straßen und Güterabfertigung.
Der Sicherheitsbeauftragte Castillo hat mehrere Razzien angeordnet, bei denen Soldaten und Bundespolizisten 119.000 Tonnen Eisenerz und mehr als einhundert Bagger, Laster und Bergbaumaschinen beschlagnahmten. Beides zusammen habe einen Gesamtwert von rund 15 Millionen US-Dollar (10,80 Mio. Euro), betonte Castillo vor der Presse. Zudem hätten die Behörden elf kleine, nicht genehmigte Bergwerke geschlossen. "Man muss den Mafias dort wehtun, wo sie es am meisten spüren", rühmt der Sonderbeauftragte seine Strategie. Ob und in welchem Umfang diese Strategie aufgeht und die Kartelle wirklich bremst, ist bislang aber nicht belegt.
200 Millionen Dollar aus dem Eisenerz-Schmuggel
Die Aktivitäten der Kartelle verursachten für die Unternehmen jährlich Mehrkosten von rund sechs Prozent, sagte der Vorsitzende der zuständigen mexikanischen "Kammer für Eisen und Stahl" (Canacero), Alonso Ancira, der Tageszeitung "Reforma": "Sie haben uns aus den Bergwerken geworfen. Es gibt Eisenerzminen, wo wir nicht mehr sein dürfen und keine Leute mehr hinschicken können."
Wer sich den Kartellen in den Weg stellt, riskiert sein Leben. "Sie schüchtern mit Drohungen und Morden ein", sagt ein Unternehmer. "Manchmal zünden sie Sprengsätze auf den Straßen - nicht um zu töten. Nur um zu sagen, seht her, hier sind wir."
Einer, der möglicherweise die Gefahr unterschätzte, war Virgilio Camacho, ein lokaler Manager des transnationalen Stahlriesen ArcelorMittal. Camacho prangerte an, dass aus den Minen des Unternehmens in der Region Eisenerz gestohlen werde. Im April des vergangenen Jahres wurde Camacho mit einer Kugel im Kopf aufgefunden. Bisher ist kein Täter identifiziert, und es ist offiziell unklar, ob die organisierte Kriminalität hier einen Gegenspieler aus dem Weg geräumt hat oder ob der Manager einem gewöhnlichen Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.
Sollte tatsächlich die Mafia hinter dem Mord stecken, wäre Camacho das erste hochrangige Opfer eines großen Unternehmens im mexikanischen Drogenkrieg. ArcelorMittal, größter Stahlhersteller der Welt, hat seit Anfang der neunziger Jahre mehr als 2,4 Milliarden Dollar in Mexiko investiert und fertigt in dem Land fünf Prozent seines weltweiten Stahls.