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Die Regierung ruiniert die Post

Rücksicht auf die Landtagswähler in Helmut Kohls Heimatland veranlaßte Bonn, die Gebührenerhöhungen fürs Telefon weitgehend zurückzunehmen. Doch der hastige Rückzug in der vergangenen Woche löst die Probleme nicht. Bonn plündert weiterhin mit milliardenschweren Tributzahlungen die Bundespost aus.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Postminister Christian Schwarz-Schilling (CDU) spielte den Verbraucheranwalt: Entrüstet wies er vor der TV-Kamera Pläne seines Postbetriebes Telekom zurück, die Fernsprechgebühren im Sommer drastisch anzuheben.

Aus der Zeitung, wie alle Bürger, habe er Kenntnis vom geplanten Dreh an der Preisschraube erhalten. Aber als aufsichtführender Minister setze er schon jetzt »ein dickes Fragezeichen«. Den Kunden in der Telefonzelle zum Beispiel künftig vier statt drei Groschen abzugreifen, das »wird nicht ohne weiteres von mir genehmigt«.

Die Rolle des Nothelfers für den kleinen Mann ist mit Schwarz-Schilling allerdings kraß fehlbesetzt. Den Coup, die Telefonkunden zu belasten, hat der Minister gemeinsam mit seinen Koalitionsfreunden _(* Bei der Inbetriebnahme einer digitalen ) _(Ortsvermittlung im sächsischen Borna. ) ausgeheckt. Sogar die Details der Preistreiberei, die vorige Woche öffentlich wurden, waren zum großen Teil seit langem mit ihm abgesprochen.

Wieder einmal wollten die Bonner Regenten aus ihrem Telefonmonopol Kapital schlagen, wieder einmal zu Lasten der Postkunden ihren Haushalt sanieren. Eine geübte Methode, seit der SPD-Finanzminister Hans Matthöfer 1981 willkürlich die Ablieferungspflicht der Postler von 6,6 auf 10 Prozent raufgesetzt hatte.

Doch diesmal klappte der Beutezug nicht. Vorzeitig, ausgerechnet in der Woche vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, sickerten die Bonner Preistreibereien durch und heizten den Unmut über die raffgierige Regierung an.

Der Postbenutzer-Verband drohte mit Klagen vor dem Verfassungsgericht und bei der Brüsseler EG-Kommission; Postgewerkschafter Emil Bock geißelte Schwarz-Schillings »Offenbarungseid«; SPD-Vize Oskar Lafontaine machte die »zweite Steuerlüge« der Regierung aus.

Nach heftigen Klagen aus der Wirtschaft über die ohnehin überteuerten Telekom-Preise und nach Drohungen der Ost-Länder, das Vorhaben im Bundesrat zu kippen, ordnete Kanzler Helmut Kohl vergangenen Mittwoch den Rückzug an. Die Gebührenerhöhungen bleiben einstweilen auf 2,30 Mark im Monat beschränkt: 10 der 20 gebührenfreien Einheiten pro Anschluß entfallen. Bilanztricks sollen die Löcher in der Postbilanz zudecken.

Auf Dauer sind jedoch höhere Preise fürs Telefonieren nur schwer zu vermeiden. Hohe Investitionen, vor allem aber hohe Tributzahlungen an den Eigentümer Bund müssen irgendwie aufgebracht werden. Telekom-Chef Helmut Ricke vor Vertrauten: »Wir müssen aufpassen, daß wir nicht zur zweiten Bundesbahn werden.«

In knapp neun Jahren hat es Christian Schwarz-Schilling geschafft, aus dem Überschuß-Betrieb Bundespost einen hochverschuldeten, unterkapitalisierten Laden zu machen. Der »Verhandlungserfolg« (Schwarz-Schilling), den er letzten Donnerstag bei den Beamten von Finanzminister Theo Waigel erzielte, versetzt dem staatlichen Telefongiganten einen weiteren schweren Schlag: Er muß zusätzliche vier Milliarden Mark abführen, ohne sich über höhere Einnahmen Nachschub beschaffen zu dürfen.

Die anhaltende Ausbeutung der Postkunden geschieht schon seit Jahren hart am Rande der Legalität. 1984 hatte das Bundesverfassungsgericht gewarnt, weiterhin sachfremde Staatsausgaben auf kaltem Wege den telefonierenden Bürgern aufzubürden. Wirkung hatten die Richterworte nicht.

Wer zum Hörer greift, bezahlt mit jedem Gespräch, ob er will oder nicht, Kabelfernsehen und Bildschirmtext mit, gleicht die Defizite beim vorsintflutlichen Paket- und Päckchentransport aus. Zehn Prozent von jeder Telefonrechnung fließen gleich in die Bundeskasse.

Weitere acht Milliarden, verteilt auf vier Jahresraten, hatte Finanzminister Waigel (CSU) für seinen strapazierten Haushalt dem CDU-Kollegen Schwarz-Schilling während der Koalitionsverhandlungen im Januar abgetrotzt. Der wies seine Telekom an, sich das Geld via höhere Gebühren zu holen.

Die Tariferhöhungen wären der traurige Höhepunkt einer reichlich erfolglosen Minister-Karriere gewesen. »Eine neue Ära in der Geschichte der Post« hatte Schwarz-Schilling 1989 einleiten wollen. Er zerlegte den bundeseigenen Koloß in drei weitgehend selbständige Betriebe (offiziell: Generaldirektionen), die »nicht mehr überwiegend nach staatlichen Hoheits- und Versorgungsgrundsätzen organisiert werden«. Aus der Behörde sollten moderne Unternehmen werden, die sich im Wettbewerb behaupten und die rentabel arbeiten.

Nichts von den Verheißungen erfüllte sich. In den Postämtern geht es teilweise noch immer zu wie vor 100 Jahren. Die Postbank-Beamten türmen weiter Verluste auf. Und der einzige - noch - nicht defizitäre Zweig, Telekom, muß sich ständig mit politisch motivierten Eingriffen des obersten Dienstherrn Schwarz-Schilling herumplagen.

Die schlagen dort gelegentlich so negativ zu Buche, daß der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat, Emil Bock, schon argwöhnt, der Postminister betreibe »eine Strategie zur Verarmung der Telekom«.

Seit September 1990 blockiert Schwarz-Schilling beispielsweise die Gebührenordnung für Mietleitungen, wie sie von der Telekom für den Betreiber des privaten Mobilfunk-Netzes D 2 kalkuliert war. Angebrüllt habe der Postminister den Telekom-Vorstand ("Ihr könnt wohl nicht rechnen") und Order gegeben, so ein Sitzungsteilnehmer, die Gebühren um 60 Prozent, auf das Niveau von British Telecom, zu senken. Die Briten, konterte Telekom-Chef Ricke spitz, aber erfolglos, hätten freilich »auch nicht diese Abgabenlast für den Haushalt« zu tragen.

6,7 Milliarden Mark fließen in diesem Jahr voraussichtlich aus den drei Postbetrieben an die Bundeskasse - von jeder Umsatzmark der Zehnte. Selbst bei den Verlustbringern, bei Postdienst und -bank, holt sich Finanzminister Theo Waigel knapp zwei Milliarden, bei der Telekom sahnt er mehr als das Doppelte ab.

Zusätzlich zahlt der Kommunikationsriese für manche Geschäfte auch noch Steuern. Die Postablieferungen sind ein steter Quell der Haushaltsfinanzierung (siehe Grafik Seite 118).

Lange geht das nicht mehr gut. Um den Aufbau einer modernen Telekommunikation in den neuen Bundesländern zu beschleunigen, hat das Unternehmen seine technischen und finanziellen Möglichkeiten ausgereizt. Zu Recht forderten Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker die Postler auf, schneller Strippen zu ziehen und zügiger Vermittlungsstellen aufzubauen. Neben Straßen und Bahngleisen ist ein funktionierendes Telefon- und Telefaxnetz Vorbedingung für den ersehnten wirtschaftlichen Aufschwung im Osten.

Telekom-Chef Ricke erhöhte den Investitionsansatz Ost um 1,5 Milliarden auf nun knapp 7 Milliarden Mark. 300 Millionen kostet der überplanmäßig schnelle Ausbau des Ost-Netzes.

Weitere Belastungen, darüber herrschte Ende 1990 Einigkeit im Aufsichtsrat, seien nicht zu tragen, weitere Schulden nicht zu verantworten.

Doch neue Finanzlasten kamen zuhauf: Unerwartet üppige Lohnaufschläge im Osten kosten 400 Millionen; die Defizite der beiden Post-Schwestern (Postdienst und -bank) summieren sich auf 2,6 Milliarden (Plan: 2,1); die von Bonn erzwungene schnelle Senkung der hohen Telefongebühren im Osten auf West-Niveau verschlingt eine Milliarde.

Entlastung ist nicht in Sicht. Die vergangene Woche ausgekungelte, versteckte Preisanhebung bringt zuwenig. Zehn Freieinheiten bekommen »die sprechenden Menschen« (Schwarz-Schilling) im Osten geschenkt, zehn kostenlose Einheiten werden den Wessis gestrichen. Das bringt der Telekom 400 Millionen in diesem, 800 Millionen im nächsten Jahr. Es reicht vorn und hinten nicht.

Vor allem deswegen, weil der Staatsbetrieb von seinem Eigner in diesem und dem nächsten Jahr doch um jeweils zwei weitere Milliarden geplündert wird. Schwarz-Schillings Erklärung vom Freitag - »Die zusätzliche Ablieferung ist vom Tisch« - war nur Tünche. Trickreich werden die Ansätze der Postablieferungen für 1994 und 1995 um vier Milliarden heraufgesetzt, zahlbar jetzt, als »Vorauszahlungen«. Kommentar eines Telekom-Spitzenmanns: »Die Regierung ruiniert unser Unternehmen.«

Nach kaufmännischen Maßstäben ist die Firma eigentlich längst pleite. Das wird sich nicht länger verbergen lassen. Zum erstenmal muß der Staatsbetrieb Telekom in diesem Jahr eine Bilanz vorlegen, die nach betriebswirtschaftlichen Methoden erstellt wird. Das Postauto muß dann in vier statt in zehn Jahren abgeschrieben, der wertlose, im All trudelnde TV-Sat um einige hundert Millionen wertberichtigt werden.

Die vom Gesetz geforderte Eigenkapitaldeckung, hat Telekom-Finanzchef Joachim Kröske seinem Vorstand schon jetzt vorgerechnet, »ist nicht zu schaffen«. Der Goldesel des Bundes ist finanziell ausgeblutet.

Bis 1993, versprach der Postminister, sei »das Drehbuch festgelegt«, eine »Erhöhung der Telefongebühren« ausgeschlossen. Doch weil die Telekom bis 1993 gar nicht warten kann, werden intern Einnahmeverbesserungen bereits für die nächsten Monate vorbereitet.

Wenn im Osten die Anschluß- oder Grundgebühren gesenkt werden, will Bonn die westlichen Sätze gleichzeitig anheben. Die Operation wird Schwarz-Schilling nicht »Gebührenerhöhung« nennen, sondern, das ist schon beschlossene Sprachregelung, mit der harmlosen Vokabel »Anpassung« verkaufen.

* Bei der Inbetriebnahme einer digitalen Ortsvermittlung imsächsischen Borna.

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