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WIRTSCHAFTS-KOMMENTAR Die schöne neue Autowelt

Von Dietmar Hawranek *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Alte Autos können rosten, die Liebe nicht: Die Deutschen, so fanden Meinungsforscher heraus, lieben ihr Automobil wieder, innig und ohne Vorbehalt. Kein Argwohn mehr, das schöne Gefährt könnte die Luft verpesten, kein schlechtes Gewissen beim Gasgeben.

Warum denn auch? Die Automanager sagen es und die Bonner Minister auch: Neue Autos hat das Land Umweltautos. Aus Flensburg kommt die frohe Kunde, im vergangenen Jahr sei schon mehr als jeder zweite neu zugelassene Wagen ein schadstoffarmes Gefährt. Nun setzt euch ins Auto und freut euch des Fahrens.

Die Lobby verkündet bereits: »Unser Land ist schon um über eine Million Autos sauberer geworden.« Und der Bürger glaubt es ja nur zu gern, dieses Märchen von der schönen neuen Autowelt.

Wenn nur die verkümmernde Linde am Rande der Straßen nicht wäre und der kranke Wald, der Baum für Baum stirbt, als sei rein gar nichts zu seiner Rettung geschehen. Und ist denn wirklich etwas geschehen? Ein Blick in die Statistik ist ernüchternd: Die neue Automobilgeneration unterscheidet sich nur wenig von ihren Vorfahren. Einen geregelten Katalysator, der allein die Abgase so wirksam wie möglich filtert, hat gerade jedes zehnte neu angemeldete Benzinauto.

Alle anderen pusten mehr Schadstoffe aus als nach dem Stand der Technik nötig wäre. Die deutsche Automobilindustrie, sonst so stolz auf die Spitzenqualität ihrer Fahrzeuge, leistet sich beim Umweltschutz Drittklassiges.

Von Politikern waren sinnvolle Vorgaben wohl nicht zu erwarten. Ihr Blick reicht selten weiter als bis zur nächsten Wahl. Doch auch die Techniker und Manager in den Autofabriken sind wohl allzusehr mit Gegenwärtigem befaßt und denken offenbar nur bis zum nächsten Bilanzstichtag. Die billigste Lösung ist die beste, denn sie verspricht den höchsten Gewinn.

Da gibt es etwa eine Stufe C für schadstoffarme Wagen. Bei kleineren Fahrzeugen muß oft nur ein Schräubchen hier und eines dort verstellt werden, und schon erfüllen die Wagen die lasche Abgasnorm. Kontrolliert wird das dann bei einem Test mit der Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde. Die Fahrzeughersteller nutzen alle Tricks ihres Gewerbes, um das gewünschte Testergebnis vorweisen zu können - wohl wissend, daß dadurch tatsächlich kaum weniger Schadstoffe aus dem Auspuff kommen als zuvor.

Wichtig sind nicht das Sein und die Schadstoffe, sondern der Schein und die Statistik in Flensburg. Doch selbst wenn alle diese Wagen, an denen nur ein wenig manipuliert wird, zu den umweltfreundlichen Autos gezählt werden, ist noch nicht einmal jedes sechzehnte Benzinauto, das auf deutschen Straßen fährt, schadstoffarm. Weil gleichzeitig aber immer mehr Fahrzeuge zugelassen werden und wieder schneller gefahren wird, sinkt die Abgasmenge insgesamt kaum.

Der Wald stirbt weiter, und die Forderung nach einem Tempolimit wird mit jedem neuen Schadensbericht wieder aufleben. Dann werden die Manager der Autofirmen sich gegen Vorwürfe wehren müssen, sie nutzten ihre ganze Spitzentechnik nur, um die Motoren ihrer Wagen mit mehr Ventilen und mehr PS aufzurüsten. Wieder geraten sie in die Rolle ertappter Verkehrssünder: Es ist nichts mehr zu ändern, es gilt, das Geschehene zu beschönigen. Die Macher reagieren, statt zu agieren - höchste Managertugenden sind das nicht gerade.

Saubere Abgase und Argumente können nur wenige vorweisen, die Daimler-Benz-Manager etwa, die ihre Modelle serienmäßig mit geregelten Katalysatoren ausstatten. Denen fällt es bei ihren gediegenen Preisen natürlich leichter als den Produzenten der Wagen fürs Volk.

Die meisten Hersteller haben es sich zu billig gemacht, als wollten sie eine durchgerostete Karosse noch einmal durch den Tüv bringen, das Auto nur neu lackiert - grün. Tatsächlich umweltfreundlich aber wurde nur die Statistik: Das Kraftfahrt-Bundesamt läßt die Zahlen der zugelassenen Autos auf Recycling-Papier drucken.

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