Zur Ausgabe
Artikel 25 / 85

OSTHANDEL Diskret geklärt

Pünktlich zur Kanzlerreise steht das Konzept für das bisher prächtigste Geschäft der deutschen Industrie mit den Sowjets.
aus DER SPIEGEL 26/1980

Wenn Helmut Schmidt am kommenden Montag nach Moskau fliegt, werden ausnahmsweise einmal keine Top-Manager in der Luftwaffen-Boeing sitzen. Weil er die amerikanischen Freunde nicht durch demonstrative deutsch-sowjetische Geschäftigkeit reizen will, verzichtete der Bonner Kanzler auf die gewohnte Reisebegleitung aus Industrie und Banken.

Doch selten wäre Industrie-Prominenz bei einem Kanzler-Trip so passend gewesen wie bei Schmidts jetziger Moskau-Tour. Denn kurz vor Reisebeginn verständigten sich westdeutsche Manager und sowjetische Minister über das bislang größte Ostgeschäft.

Jährlich rund 40 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Sibirien sollen ab 1984 zusätzlich zu den laufenden Lieferungen von 12 Milliarden Kubikmeter pro Jahr in das Leitungsnetz der Essener Ruhrgas AG und ihrer europäischen Partnerfirmen strömen.

Im Gegengeschäft wird als Konsortialführer der Düsseldorfer Röhrenproduzent Mannesmann ein komplettes Pipeline-Netz im Wert von rund 15 Milliarden Mark bauen. Aufträge über weitere fünf Milliarden Mark gehen an Westfirmen, die Kompressoren und Kühlaggregate herstellen.

Die Finanzierung für das 20-Milliarden-Super-Projekt soll eine Bankengruppe unter Führung der Deutschen Bank besorgen. Seit Monaten bereits hat das deutsche Industrie- und Banken-Trio diskret die Details mit den Funktionären der Sojusgasexport vorgeklärt. Das offizielle Angebot jedoch hat sich die Kreml-Spitze für den Kanzler-Besuch aufgespart.

In aller Stille leistete das Bonner Kabinett schon Vorarbeit. Letzte Bedenken auf deutscher Seite gegen den Deal mit dem Osten räumte die Ministerrunde vor drei Wochen aus. Das Kabinett befand, daß selbst ein auf 30 Prozent aufgestockter Außenanteil der Russen am deutschen Gasmarkt noch kein energiepolitisches Risiko beinhalte.

Damit das Gas bereits 1984 strömen kann, soll diesmal der gesamte 5000 Kilometer lange Pipeline-Strang mit allen Aggregaten und Pumpanlagen unter der Regie von Mannesmann geplant, geliefert und installiert werden.

Bei den ersten drei Abschlüssen mit dem Westen Anfang der siebziger Jahre war Mannesmann lediglich Lieferant; Planung und Montage hatten sich die Russen selbst vorbehalten.

Die Liefer-Dimension und der Zeitdruck, unter dem das Mammut-Vorhaben steht, ließen den Sowjets keine andere Wahl, als dem Düsseldorfer Röhrenkonzern das komplette Management zu überlassen. Nur Mannesmann scheint derzeit in der Lage, einen Auftrag dieser Größenordnung generalstabsmäßig abzuwickeln.

Selbst die japanischen Stahlkonzerne mußten passen. Für den neuen Röhren-Gas-Deal mangelt es am Know-how und an genügend Kapazitäten.

Für Mannesmann sprach vor allem ein neuer Röhren-Schlager, den Unternehmens-Chef Egon Overbeck in Moskau präsentierte: Röhren, die einen Gasdruck von 100 atü aushalten. Das sind 25 atü mehr, als die bisher produzierten Röhren vertrugen.

Obwohl Overbeck in seinem Röhrenwerk so viel 100-atü-Rohre wie eben möglich ziehen will, kann Mannesmann in der kurzen Zeit die Rohre nicht allein liefern. So sollen auch die Produzenten aus den am Gasgeschäft beteiligten Ländern Italien, Frankreich, Belgien und Holland mit dabeisein. Die Unterlieferanten, darunter auch der bundeseigene Salzgitter-Konzern, werden die Standardrohre mit 75 atü liefern.

Aus Sicherheitsgründen wollen die Sowjets die Hochdruck-Rohre nur in unbewohnten Gegenden verlegen lassen. Die anderen Rohre sollen in bebauten Gebieten montiert werden.

Verhandelt werden muß noch über die Details der Finanzierung. Die Russen werden die Pipeline mit den Einnahmen aus dem Gas bezahlen. Da aber zunächst einmal das gesamte Netz verlegt sein muß, bevor das erste Gas durch die Röhren zischt, müssen West-Kredite aufgebracht werden.

Friedrich Wilhelm Christians von der Deutschen Bank hat in Moskau bei zwei Blitzbesuchen in diesem Jahr die Kreditpläne erläutert. Unter seiner Führung wollen 20 deutsche Banken und ein gutes Dutzend ausländischer Geldgeber den 20-Milliarden-Mark-Kredit bereitstellen.

Offen ist allerdings noch die Höhe des Zinssatzes. Den Niedrigzins von knapp über sechs Prozent aus den Altverträgen der siebziger Jahre werden die Sowjets nicht mehr durchdrücken können. Sie müssen diesmal wohl rund acht Prozent zahlen.

Den schwierigsten Part bei den noch ausstehenden Verhandlungen, die im Sommer abgeschlossen werden sollen, hat Klaus Liesen, Chef der Ruhrgas. Bei Vorgesprächen in Moskau mußte der Manager von Europas größtem Gaskonzern bereits erfahren, daß die Russen bei dem neuen Handel kräftig zulangen wollen.

Das zusätzliche Gas, so argumentierten die Moskauer Unterhändler, müsse aus dem schwer zugänglichen und nur mit hohen Kosten erschließbaren Gelände der Halbinsel Jamal im Norden Sibiriens abgepumpt werden.

In Wirklichkeit jedoch, wollen die westlichen Manager wissen, soll das Gas aus zwei längst angezapften Blasen bei Medves und Urengoi mit einer Reserve von 20 000 Milliarden Kubikmeter gesaugt werden.

Der Gasmann aus Essen kann dennoch hoffen, die Preise erschwinglich zu halten. Sein Trumpf: Er kann die Russen darauf verweisen, daß kein anderes Konsortium in der Welt den Sowjets soviel Gas abnehmen würde.

Zur Ausgabe
Artikel 25 / 85
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren