LEHRSTELLEN Doch zu teuer
Gaby Wrede aus Hamburg-Langenhorn wandte sich direkt an Helmut Kohl. Sie habe sich 70mal vergeblich um einen Ausbildungsplatz bemüht. Nun solle ihr der Bundeskanzler helfen.
Wie die siebzehnjährige Gaby gingen in den vergangenen Wochen auch andere Schulabgänger und deren besorgte Eltern den Regierungschef um Hilfe an. Denn der hat zugesagt, auch durch persönlichen Einsatz für mehr Lehrstellen zu sorgen.
Nur drei von 26 Hauptschülern einer Abschlußklasse in Hamburg-Hamm, so schrieben deren Klassensprecher nach Bonn, hätten eine Lehrstelle. Doch »glücklicherweise« hätten sie nun in den Nachrichten gehört, daß der Kanzler »allen Schulabgängern einen Ausbildungsplatz garantiert«. Nun bäten sie höflichst um eine Liste mit Firmen aus dem Hamburger Raum.
Aus dem ganzen Bundesgebiet teilen neuerdings Jugendliche dem Kanzler Kohl ihre Berufswünsche mit. Sie alle berufen sich auf sein Versprechen, »wer willig und fähig« sei, könne dieses Jahr »eine Ausbildung erfahren«.
»Ganz persönlich«, warb die CDU in Wahlanzeigen um Jungwähler, habe der Kanzler sich dafür eingesetzt, daß »alle jungen Menschen Ausbildung und Arbeit bekommen«. Industrie und Handwerk hätten die Forderung Kohls honoriert und ihm über die erforderlichen 655 000 Stellen hinaus noch zusätzlich 30 000 Ausbildungsplätze für 1983 »verbindlich zugesagt«.
Lehrstellenbewerber, sekundierte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alfred Dregger, sollten sich nun an die Handwerkskammern oder vertrauensvoll an die Wahlkreiskandidaten der Union wenden. »Kohls beste Tat«, lobte die »Bild«-Zeitung, um bald darauf zu melden: »Kohls 30 000 Lehrstellen - hier sind die ersten.«
Baumaschinenhändler Gustav Adolf Schreiber aus Bremen allerdings, den das Boulevard-Blatt als leuchtendes Beispiel nannte, stellt Kohl zuliebe nicht einen Lehrling mehr ein. Das wäre - meint CDU-Mitglied Schreiber - »denn doch zu teuer«.
Auch Siemens bildet nicht wegen der Bemühungen des Kanzlers mehr junge Leute aus. Die 200 zusätzlichen Lehrstellen, so ein Firmensprecher, seien schon seit Herbst geplant.
»Ich halt' mein Versprechen«, sagte Kohl noch Mittwoch vergangener Woche in Hamburg. Doch das wird kaum glücken. Der Kanzler bestreitet seinen Wahlkampf hauptsächlich mit Lehrstellen, die es noch gar nicht gibt.
Bislang sieht es nach der Statistik der Bundesanstalt für Arbeit eher so aus, als sei die Lage trostloser denn je - mehr Bewerber für weniger Lehrstellen. Zwar versuchten Anstaltschef Josef Stingl (CSU) und die Bundesbildungsministerin der Union, Dorothee Wilms, die seit Oktober vorliegenden Zahlen zurückzuhalten, weil sie »gegenwärtig nicht aussagekräftig« seien. Aber inzwischen ist klar, daß im Januar gegenüber dem Vorjahr genau 41 749 Stellen, gut 12 Prozent, fehlten. Gleichzeitig drängen wesentlich mehr Jugendliche in eine Ausbildung. Im Dezember standen den rund 273 000 offenen Stellen über 313 000 Bewerber gegenüber, fast 70 000 oder 30 Prozent mehr als im Dezember 1981.
Mehr als 100 000 Jugendliche, schätzt Ilse Brusis vom Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), würden keine Lehrstelle bekommen. Etwa 270 000 würden ohne Arbeit oder Studienplatz bleiben.
Der SPD-Sozialexperte und frühere Bundesarbeitsminister Heinz Westphal warf der Regierung vor, sie betreibe »Wahlkampf auf dem Rücken der jungen Menschen«. Der DGB-Landesbezirksvorsitzende von Rheinland-Pfalz, Julius Lehlbach, sprach von »Wahlschwindel«.
Zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, so gaben Kohl und sein Arbeitsminister Norbert Blüm bekannt, hätten sie bereits 205 Millionen Mark bereitgestellt. Daß die Gelder schon im Sommer von den Sozialliberalen beschlossen worden waren, teilten sie nicht mit.
Tatsächlich hat die neue Regierung bislang wenig Nützliches für die Schulabgänger getan. Die Kürzungen beim Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) werden die Lage eher verschlechtern.
Weil die Beihilfen für Schüler gestrichen und für Studenten auf Darlehen umgestellt wurden, verzichten viele Jugendliche auf weiterführende Schulung. Etwa 70 000, so schätzen die Fachleute der SPD, werden keine Fachschule oder Fachoberschule besuchen und statt dessen nach einer Lehrstelle suchen. Hinzu kommen noch etwa 30 000, die nach Einschätzung der Unionsexperten auf ein Studium verzichten werden.
Arbeitsminister Blüm schränkt im Wahlkampf die Zusagen seines Kanzlers bereits wieder ein. Nicht nur willig und fähig müßten die Lehrstellenbewerber heute sein, sondern sich auch mehr an die Marktverhältnisse anpassen. Wer nicht in seinem Traumberuf oder in seinem Heimatort unterkomme, müsse sich eben etwas anderes suchen.
Auch die Arbeitgeber werden allmählich sehr zurückhaltend. Vorsichtig traten Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern den Rückzug an. Von einer Garantie auf einen Ausbildungsplatz, dämpfte auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände die Erwartungen, könne nicht gesprochen werden.
Die Versprechungen der Arbeitgeber, meint der Berufsbildungsexperte der IG Metall, Ulrich Mignon, hätten sich noch stets als »üble politische Mache« herausgestellt. Mit der Zusage, 100 000 Lehrstellen zusätzlich zu schaffen, hätten die Unternehmen 1976 die Reform des Berufsbildungsgesetzes verhindert; 1982 hätten sie die Verbesserung der Ausbilder-Eignungsverordnung damit hintertrieben, daß sie 50 000 Ausbildungsplätze als Ersatz in Aussicht stellten.
Herausgekommen sei immer dasselbe, sagt Mignon: »Das war Null.«