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FRANKREICH Doppelte Ohrfeige

Frankreichs Staatschef Giscard d'Estaing verfehlte sein Ziel, mit Westdeutschlands Wirtschaft gleichzuziehen.
aus DER SPIEGEL 13/1976

Weil er gewinnen wollte, verlor Frankreichs Staatschef Valéry Giscard d'Estaing ein Vermögen: vier Milliarden Franc an einem einzigen Tag.

Devisen im Gegenwert von insgesamt 14 Milliarden Franc mußte Frankreichs Notenbank seit Jahresanfang ausgeben, um den siechen Franc zu stützen, davon allein vier Milliarden am Freitag vorletzter Woche. Erst dann gab Wirtschafts- und Finanzminister Jean-Pierre Fourcade den Kurs des Franc wieder frei und setzte ihn so der Abwertung aus.

Die Internationale der Geldhändler und Bankiers war wieder einmal schneller gewesen. Sie verschmähte den Franc schon seit Wochen. Doch derlei Ökonomisches konnte Staatschef Giscard nicht beeindrucken. Er wollte erst einmal die Kantonalswahlen Mitte März hinter sich bringen. Und eine Abwertung, fürchtete er, hätte die Opposition genauso gesehen wie das industriefreundliche Blatt »Les Echos": als »eine Ohrfeige für Giscard«.

So bezog der Staatschef gleich zwei: Sozialisten und Kommunisten gewannen weit mehr als die Hälfte der Stimmen. Und mit dem Fall des Franc scheiterte auch Giscards Versuch, Frankreich in wirtschaftlichen Gleichschritt mit der Bundesrepublik zu bringen.

Im Sommer 1974 hatte der Präsident seinem Land eine Austerity-Politik nach dem Vorbild seines westdeutschen Freundes Helmut Schmidt vorgeschrieben. Mit knappem Geld und hohen Zinsen drückte er die Inflationsrate von 15,2 Prozent im Jahre 1974 auf 9,6 Prozent im letzten Jahr. Und statt des vorhergesagten Handelsbilanzdefizits von 16 Milliarden Franc (8,6 Milliarden Mark) erwirtschafteten die Franzosen einen Überschuß von über fünf Milliarden Franc.

Im Vergleich zu Briten und Italienern schnitten sie denn auch glänzend ab. Während London und Rom trotz hoher Arbeitslosenzahlen ihre Teuerung nicht unter Kontrolle bekamen und den Wert ihrer Währung allmählich verfiel, schien Giscard erfolgreicher. Nur einem Ziel kam er nicht näher: Er schaffte nicht die Erfolgsmarken der Bundesrepublik. eine Aufgabe. die seit Kriegsende Frankreichs Regierungen beunruhigt.

So kletterten die Preise in Frankreich weit rascher als in Westdeutschland. die Lohnkosten stiegen gar doppelt so schnell. In wichtigen Branchen wie beispielsweise im Maschinenbau war das Lohntempo noch größer: gut 20 Prozent in Frankreich im Vergleich zu fünf Prozent in der Bundesrepublik.

Anders als in der Bundesrepublik verweigerten in Frankreich die Gewerkschaften Regierung und Unternehmern jede Hilfestellung. Gegen notwendige Entlassungen sperrten sie sich notfalls per Streik -- bei rund einer Million Arbeitslosen zwar verständlich, für viele Firmen aber tödlich.

Der wachsende Kostendruck preßte Unternehmensgewinne und -rücklagen zusammen. Die Zuführung neuer Eigenkapitalmittel fiel um 50 Prozent. die kurzfristige Verschuldung verdreifachte sich, und die Finanzierungskosten stiegen auf das Doppelte.

Denn um Devisen ins Land zu locken und so den Franc zu stützen, hielt die Französische Notenbank auf Geheiß des Staatspräsidenten den Zinssatz stets hoch. Der künstlich nach oben gepäppelte Franc-Kurs verminderte zwar die importierte Inflation. aber auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen: Frankreichs Außenhändler verkauften im letzten Jahr um gut fünf Prozent weniger Güter im Ausland als 1974. Umgekehrt bevorzugten die Franzosen angesichts der immer teurer werdenden heimischen Waren wieder zunehmend billigere Auslandsgüter.

Die vor allzu lästiger Auslandskonkurrenz schützende »Sicherheitsmarge des Franc im Vergleich zur Mark ist aufgezehrt«, meldete denn auch das Pariser Wochenblatt »L'Express« kurz vor der Freigabe des Franc-Kurses. Um einen neuen Schutzwall gegenüber den Deutschen, deren beste Kunden sie sind, geht es den Franzosen jetzt in erster Linie.

»Wegen der Unterbewertung der Mark«, verkündete der französische Unternehmerverband auch eilends, sei Giscards Währungsentscheidung »unvermeidbar« gewesen. Dabei war das Patronat schon Anfang des Jahres von Regierungsbeamten verdächtigt worden, bewußt auf eine Franc-Abwertung hinzuarbeiten, indem sie ihre Exporterlöse »verspätet heimholten, ihre Auslandsschulden indes vorzeitig tilgten.

Während sonst bei Abwertungen die Pariser Börse stets mit Kursverfall reagierte, blieben diesmal die Wertpapierpreise stabil. Und schon zwei Tage nach der Franc-Freigabe verkündete das Abendblatt »France Soir« stolz: »Der Franc steigt« -- um 1,5 Prozent gegenüber der italienischen Lira.

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