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DDR-Betriebe Dringender Wunsch

Die erstmals in D-Mark aufgestellten Bilanzen der DDR-Betriebe ergeben ein schauerliches Bild der ostdeutschen Industrie.
aus DER SPIEGEL 20/1990

Mit verbissener Miene stand Staatssekretär Günther Krause (CDU) neben dem Rednerpult der Volkskammer. Der empört herangestürmte Finanzminister Walter Romberg (SPD) hatte den DDR-Unterhändler für die Wirtschafts- und Währungsunion schwungvoll zur Seite gedrängt und beschwerte sich vor dem Plenum und vor den Kameras über Krauses Schilderung der DDR-Wirtschaftslage.

»Wir haben fast ausschließlich ruinierte Betriebe übernommen«, hatte Krause am Donnerstag den Parlamentariern und den vor der Volkskammer demonstrierenden Lehrern, Bauern, Kindergärtnern und Textilarbeitern verkündet. Die Einzelheiten über Auslandsschulden, Firmenkredite und Defizite im Staatshaushalt waren erdrückend.

Was den sonst eher stillen Finanzminister Romberg so empörte, war die Tatsache, daß Krause erstmals Zahlen zur wirtschaftlichen Lage vorlegte, die der Finanzminister noch nicht kannte. So schlecht hatte er sich die Überlebenschancen der DDR-Industrie nicht vorgestellt.

Nur 32 Prozent der DDR-Betriebe arbeiten rentabel, berichtete Krause, der inzwischen immer häufiger für den überforderten Wirtschaftsminister Gerhard Pohl einspringt. Gut die Hälfte aller Unternehmen, so Krause weiter, produziere derzeit mit Verlusten, könne jedoch mit Krediten und Fördermaßnahmen gerettet werden. Für 14 Prozent aller Betrieb aber komme wohl jede Hilfe zu spät. Unter den neuen Bedingungen seien diese Betriebe, wie Krause es höflich umschrieb, »konkursgefährdet«.

Die Lagebeurteilung fußt auf Berechnungen, die erst am Dienstag vergangener Woche von den Computern eines Ost-Berliner Rechenzentrums ausgedruckt wurden. Knapp 2200 DDR-Betriebe hatten bis dahin, auf Weisung des Ministerrats, erstmals Betriebsbilanzen in D-Mark aufgestellt. Diese Daten belegen die katastrophale Ausgangssituation, in der sich die DDR-Wirtschaft befindet.

Die Prognosen, die in dem Zahlenwerk auf fast 100 Computerbögen enthalten sind, vermitteln zwar ein teilweise optimistisches Bild, aber sie sind nicht viel wert. Da wurden einfach die Aussichten der Betriebe für das zweite Halbjahr 1990 und das Wirtschaftsjahr 1991 allein auf der Basis von Vermutungen, Schätzungen und Hochrechnungen bisheriger Absatzmöglichkeiten beschrieben.

Viele Firmen stehen so auf der Liste der rentablen Betriebe ganz oben, obwohl sicher ist, daß sie mit der westlichen Konkurrenz nicht mithalten können. Textilhersteller oder Schokoladenfirmen sind dabei, deren Absatzmarkt schon vor drei Wochen fast vollständig zusammengebrochen ist.

Manche Betriebsleiter glauben, sie könnten in den nächsten eineinhalb Jahren mit einem Personalabbau von weniger als 10 Prozent über die Runden kommen, obwohl sie konkursgefährdet sind.

Das schlimme an dem vorgelegten Material ist die nüchterne Beschreibung des Ist-Zustandes der DDR-Wirtschaft. Danach arbeiten mehr als zwei Drittel aller Arbeitnehmer in Betrieben, die nach westlichen Maßstäben rote Zahlen schreiben und damit existenzgefährdet sind (siehe Grafik).

Mit Einführung der D-Mark wird es ernst: Wer keine interessanten Produkte in guter Qualität bietet, wer keine Anstrengungen im Verkauf unternimmt und keine kapitalstarken Helfer bei Banken oder ausländischen Firmen findet, stürzt ab.

Die Computeranalysen zeigen, wie schnell sich in den Betrieben alles verändern muß. Die Einführung markt- und betriebswirtschaftlicher Rechnungsführung auf einen Schlag belastet die einzelnen Unternehmen mit den Kosten aller Investitionen, die in der Vergangenheit der Staat für sie anordnete.

Traditionelle Vorzeigebranchen der DDR, wie Elektrotechnik und Maschinenbau, müssen die milliardenschweren Investitionen der achtziger Jahre nun selbst abschreiben. Pro 100 D-Mark Umsatz produziert nach der neuen Rechenweise die Elektrobranche fast 51 Mark Verlust; bei den Maschinenbauern sind es knapp 21 Mark (siehe Grafik).

So findet sich unter den konkursgefährdeten Unternehmen so manches, das bislang zum Besten des SED-Staates gehörte. Der VEB Carl Zeiss Jena ist ebenso dabei wie der Computerhersteller Robotron oder das Dresdner Forschungszentrum für Mikroelektronik mit über 3000 Beschäftigten.

Die Chemieriesen in Schwedt, Leuna, Schkopau und Bitterfeld, das Pkw-Kombinat in Chemnitz mit über 60 000 Beschäftigten und das Kombinat Landmaschinen Fortschritt, das mit seinen Mähdreschern den gesamten RGW-Raum versorgt, stehen nicht besser da.

Die trostlose Statistik legt es nahe, diese Betriebe so schnell wie möglich ganz stillzulegen, um weitere Kosten zu vermeiden. Doch die Radikalkur ist ausgeschlossen, die einzelnen Firmen bilden das Rückgrat der DDR-Wirtschaft. Die Betriebe verfügen zumindest über moderne Maschinen und qualifizierte Arbeiter.

Beides reicht zwar nicht aus, gleich auf eigenen Beinen in den Wettbewerb mit Westfirmen zu ziehen. Aber die Chancen, mit einer neuen Anstrengung stark genug für diesen Wettbewerb zu werden, sind in diesen Unternehmen am größten.

Die Ost-Berliner Wirtschaftspolitik wird hier ansetzen müssen. Mit den in der Volkskammer vorgelegten Zahlen und den D-Mark-Bilanzen der Betriebe kam Krause lediglich dem dringenden Wunsch der Bonner Verhandlungspartner entgegen, endlich Zahlen über den Zustand der DDR-Wirtschaft vorzulegen.

Der Wunsch wurde erfüllt. Geholfen allerdings hat Krause damit noch niemandem.

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