Pharma-Dynastie Sackler Der Drogen-Clan

Angehörige von Oxycontin-Opfern protestieren im August 2018 vor dem Firmenhauptsitz von Purdue Pharma
Foto: Jessica Hill/ APDer Sackler-Flügel ist der eindrucksvollste Saal des New Yorker Metropolitan Museums (Met). Hier findet sich der altägyptische Dendur-Tempel, der einst am Nil stand. In der hellen Halle mit der Glasfront zum Central Park herrscht trotz des Andrangs meist andächtige Stille.
Benannt nach der Industriellenfamilie Sackler, die ihn finanzierte, zieht dieser Met-Flügel seit einiger Zeit aber noch ganz andere Besucher an - Protestler. Voriges Jahr legten sich rund hundert Demonstranten zum "Die-In" auf den Boden und streuten Tablettendosen ins Wasserbecken am Tempel. Vorletztes Wochenende entrollten sie Spruchbänder vor der Tür. "Entfernt ihren Namen", stand darauf: "Jeden Tag 200 Tote."
Gemeint sind Drogentote: Den Sacklers gehört der US-Pharmakonzern Purdue, dessen erfolgreichstes Produkt, das Schmerzmittel Oxycontin, als Hauptursache der Opioid-Epidemie gilt. 2017 starben laut der US-Gesundheitsbehörde NIH 70.237 Amerikaner an Drogen-Überdosen, davon 68 Prozent an Opioiden wie "Oxy". Seit das 1995 auf den Markt kam, hat sich die Zahl der US-Opioidopfer versechsfacht.

Der Sackler-Flügel im Metropolitan Museum of Art in New York
Foto: Seth Wenig/ APSchon 2007 mussten Purdue und drei Topmanager für die aggressive Vermarktung von Oxycontin 635 Millionen Dollar Strafe zahlen. Die Dynastie hinter dem Konzern dagegen - alles Multimilliardäre, die sich gerne als Philanthropen gerieren - blieb bisher ungeschoren.
275 Seiten Memo der Anklage
Das soll sich nun ändern. Als erster US-Bundesstaat hat Massachusetts die Sacklers persönlich verklagt. Weite Strecken der Verfahrensakten waren zunächst geschwärzt, doch jetzt hat das Bostoner Gericht alles freigegeben - und schwere Vorwürfe gegen den Pharma-Clan offenbart, dessen Name an Museen, Unis und Konzerthallen prangt.
"Acht Mitglieder einer einzelnen Familie trafen Entscheidungen, die den Großteil der Opioid-Epidemie auslösten", heißt es in dem neuesten, 275-seitigen Memo der Anklage. Die Sacklers hätten über den privat gehaltenen Konzern und "ein illegales Betrugsnetzwerk davon profitiert", indem sie Ärzten und Patienten ihren lukrativen Bestseller Oxycontin aufgenötigt hätten, obwohl sie gewusst hätten, wie gefährlich es war.
Das Sackler-Verfahren zeige, "dass die, die Drogen in Amerikas Gemeinden bringen, reich und weiß sind", schreibt der Aktivist Samuel Sinyangwe in Anspielung auf das rassistische Klischee von schwarzen Dealern und lateinamerikanischen Schmugglern. "Die Sacklers", sagte der Pharmakritiker Allen Frances dem Magazin "Vice", "sind genauso schamlos wie die Drogenkartelle und kaum weniger skrupellos."

US-Multimilliardäre als Drogenschieber und Suchtbringer für die verarmte amerikanische Mittelschicht? Dieser Gedanke funktioniert jedenfalls in Zeiten, in denen Präsident Donald Trump den Notstand ausgerufen hat, um seine Mauer zu Mexiko zu erzwingen - weil das angeblich die Drogenkrise beende.
Angeklagt sind Ex-Vorstandschef und Patriarch Richard Sackler, 73, dessen Vater Raymond und Onkel Mortimer und Arthur den Konzern einst groß gemacht hatten. Außerdem seine greise Mutter Beverly, 94, sowie sechs weitere Familienmitglieder, neun Manager und der Konzern. Gemeinsam hätten sie "einen tödlichen, betrügerischen Plan beaufsichtigt und betrieben, um Opioide zu verkaufen".
Es wird ernst
So wird es ernst für die Sacklers, die sich bisher auf ihren Luxusanwesen verbarrikadieren konnten, etwa in Connecticut und in der kalifornischen Nobel-Enklave Bel Air. Dabei hatten sie doch gehofft, als spendable Wohltäter in die US-Geschichtsbücher einzugehen - als "eine moderne Version der Rockefellers", so der "New Yorker" unter der Überschrift: "Die Familie, die ein Imperium des Schmerzes schuf."
Purdue wurde 1892 gegründet. Die Brüder Raymond, Mortimer und Arthur Sackler kauften den Konzern 1952 und vererbten ihn später den Kindern. Schätzungen beziffern ihr Vermögen auf 13 Milliarden Dollar.
Im Video: Opiathaltige Schmerzmittel - Heroin fürs Volk
Schon früh profilierten sich die Sacklers als Kulturmäzene. Die drei Brüder waren es, die dem Metropolitan Museum 3,5 Millionen Dollar für den Sackler-Flügel schenkten, freilich drei Jahrzehnte vor der Erfindung von Oxycontin. Das Guggenheim-Museum hat ein Sackler-Zentrum. Der Name Sackler ziert sogar einen Flügel des Louvre.
Die Anklage zerreißt diese Illusion. Darin heißt es, die Sacklers hätten die Drogenepidemie aktiv forciert: Sie hätten Oxycontin an Senioren verhökert, die Suchtgefahr vertuscht, die Schuld den Süchtigen zugeschoben und Ärzte unter Druck gesetzt, immer höhere Dosen zu verschreiben, um so noch mehr Geld zu verdienen. Ein Konzernsprecher hat solche Anschuldigungen als "fiktiv" abgestritten.
Die Kranken zu Tätern gemacht
Die schwersten Vorwürfe treffen Richard Sackler, Purdue-Präsident von 1999 bis 2003, als die Oxy-Krise an Fahrt gewann. "Wir müssen auf die eindreschen, die es missbrauchen", schrieb "Dr. Richard", wie er im Haus genannt wurde, der Anklage zufolge 2001 in einer internen E-Mail über Suchtkranke. "Sie sind die Täter." Als im selben Jahr ein Bundesstaat 59 Opioid-Überdosen beklagt habe, habe er gelästert: "Das ist nicht so schlimm. Es hätte ja viel schlimmer sein können."
Seit die Opioid-Epidemie in den USA ein großes Thema ist, ist der legale Oxycontin-Absatz eingebrochen. Purdue, mit Dutzenden Klagen konfrontiert, hat sein gesamtes Opioid-Team inzwischen entlassen und will sich fortan auf die Entwicklung "neuer Medikamente" konzentrieren.
Darunter auch Mittel zur Behandlung der Opioid-Sucht. Ein neues Patent trägt nach Angaben von CBS News den Namen Richard Sackler.