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SPAREN Druck nach oben

Sparkassen wollen mit höheren Zinsen neue Anleger locken. Die Konkurrenz ist verärgert.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Rolf Brunswig ist immer noch ein wenig erstaunt über den Erfolg. »Dieses Ding«, sagt der Direktor der Sparkasse Siegen, »hat ganz toll eingeschlagen.«

Dieses Ding ist das Goldene Sparbuch, das seit einigen Wochen Kunden und Konkurrenten der Sparkasse fasziniert. Statt der üblichen vier Prozent Zinsen auf Spareinlagen bieten die Siegener 6,5 Prozent bei einer Kündigungsfrist von einem Jahr. Mehr als 2500 Kunden brachten ihr Geld bereits auf die gewinnbringenden Konten, insgesamt über 37 Millionen Mark.

Das Siegener Modell, für die Sparkassenorganisation zunächst nur ein Test, wurde für das Kreditgewerbe bundesweit zum Streitfall. Die Konkurrenz ist verärgert und verunsichert.

Vor allem die privaten Banken erregen sich über die goldenen Zinsen. Sie argwöhnen, daß dieses Modell heute in Westfalen Schule macht und morgen vielleicht in anderen Bundesländern. Die Sparkassen könnten den Banken damit Kunden wegschnappen, ihre bisher billigste Geldquelle droht dann zu versiegen.

In der Tat sind bereits rund 30 Kassen in Westfalen dem Siegener Beispiel gefolgt. Sparer aus anderen Gebieten der Bundesrepublik bestellen sich telephonisch ihr goldenes Buch, das die Sparkasse Siegen dann per Post zuschickt. Sogar aus der Schweiz und aus Liechtenstein kamen schon Anrufe und Briefe von Interessenten.

Banker ahnen Schlimmes. Der Zentrale Kapitalmarktausschuß (ZKMA) warnte in einem Rundbrief an alle Spitzenverbände bereits vor der ungebührlichen Rendite. Andere Anlagen, so der ZKMA, würden damit »entwertet«. Zudem könnten sich »negative Folgen« für die Währungspolitik ergeben.

Die Siegener Neuerung beschäftigte sogar den Zentralbankrat, hierzulande die letzte Instanz in Geldsachen. Claus Köhler, Wirtschaftsprofessor und Direktoriumsmitglied der Bundesbank, verwies auf sein Lehrbuch »Geldwirtschaft": Die Sparzinsen von Siegen, belehrte der Professor den Rat, seien gesetzeswidrig, weil sie allzu eng an den Kapitalmarkt-Zins angebunden seien.

Juristen der Zentralbank widerlegten zwar die Behauptung. Doch Köhler bedrückten weitere Zweifel: Gehen die Habenzinsen rauf, so meinte er nun, müßten »zwangsläufig die Sollzinsen folgen«. Insgesamt ergebe sich »ein Druck auf die Zinsen nach oben«. Die Geldpolitik werde damit gestört.

Da ist, theoretisch, was dran. Würden alle Institute mehr Zinsen für Erspartes zahlen, müßten sie gleichzeitig mehr Zinsen für Kredite fordern. Es sei denn, die Zinsspanne schrumpft - und damit der Gewinn der Institute.

Doch in der Praxis sieht das anders aus. Das Ziel sei doch lediglich, meint Helmut Geiger, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, die Zinsen für Spargelder, soweit sie länger festliegen, vergleichbaren Kapitalanlagen rascher anzupassen.

Deshalb soll der Satz von derzeit 6,5 Prozent für das Goldene Sparbuch auch nicht starr bleiben, sondern flexibel schwanken. Sinken die Zinsen auf dem Kapitalmarkt, dann fallen auch die Renditen auf den Sparkonten, und umgekehrt.

Tatsächlich ist die neue Aktion der Sparkassen nichts anderes als die verspätete Reaktion auf ein verändertes Sparverhalten der Bevölkerung. Denn als das Geschäft mit dem Geld zweistelligen Gewinn abwarf, plünderten die Anleger ihre wenig attraktiven Sparbücher. Schon 1980 hoben sie bei Banken und Sparkassen 17 Milliarden Mark mehr ab, als sie einzahlten, 30 Milliarden waren es 1981.

Nur wenige Sparer versuchten, mit ihren Banken einen Bonus für das Sparbuch auszuhandeln. Viele schichteten ihr Geld einfach um: Teils legten sie es langfristig in Wertpapieren an, teils kurzfristig in Termineinlagen. Ob kurz oder lang, das Geschäft war allemal doppelt so rentierlich. Der Spareckzins nämlich blieb bei fünf Prozent, auch als die Differenz zwischen Soll- und Habenzinsen die Zehn-Prozent-Marke überschritten hatte.

Die Umschichtung blähte den Aufwand der Kreditinstitute für die Verwaltung. Gleichzeitig fehlten gerade den Sparkassen ganz plötzlich die zuvor meist langfristig festliegenden Spargelder, weil zu viele Kunden ihre Mittel nur noch auf kurze Frist als höher verzinstes Festgeld hergaben. Also konnten die Institute auch weniger Geld auf lange Sicht ausleihen.

In der nächsten Hochzinsphase wollen die Sparkassen ihre Kundschaft jedenfalls nicht wieder so schnell davonlaufen lassen. Zieht der Zins auf dem goldenen Sparbuch mit, so hoffen sie, dann werden die Sparer auch treue Sparer bleiben.

Die Institute müssen sich freilich mit einer geringeren Marge bescheiden. »Für die gute Sache«, sagt Brunswig, »nehmen wir auch in Kauf, daß uns das Geld kostet.« Die Rentabilität der Sparkasse in Siegen, der Direktor gibt es zu, »wird langfristig etwas geschmälert«.

Die meisten Banken sowie etliche Sparkassen wollen dagegen sinkende Renditen auf keinen Fall hinnehmen. Deshalb zeigen sie wenig Neigung, dem Siegener Modell nachzueifern - sie fürchten indes, sie könnten dazu gezwungen werden.

Denn die Banken brauchen das billige Geld der Sparer, die sich mit geringeren Zinsen begnügen - der »dummen Sparer«, wie sie bankintern genannt werden. Viele Institute benötigen die Mittel zur Zeit sogar dringend, um ihre eigenen Fehler wegzubügeln.

Der Abschreibungsbedarf vieler Banken ist groß. Pleiten wie bei der AEG oder beim Wienerwald kosten Milliarden, ebenso wie die finanziellen Abenteuer in Mexiko oder Polen.

Kleinere Kreditinstitute, etwa viele Sparkassen, sind von derlei Problemen kaum betroffen. Deshalb kann Brunswig den Wirbel um sein goldenes Buch auch gar nicht so recht verstehen.

»Wir wollen unsere Kunden«, sagt der Direktor, »doch nur anständig behandeln.« Die Aufregung um das Siegener Sparbuch läßt erkennen, wie ungewöhnlich so schlichte Grundsätze im Bankgewerbe sind.

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