GEWERKSCHAFTEN Drückende Wohltaten
IG-Metall-Chef Franz Steinkühler jagte seinen Kollegen im DGB-Bundesvorstand einen ganz schönen Schrecken ein. Wenn es dieses Jahr zum Metaller-Streik komme, so Steinkühler im DGB-Bundesvorstand, dann könne es sehr wohl passieren, daß er die Kassen der anderen Gewerkschaften strapazieren müsse.
Solche Töne hatten die Kollegen von ÖTV, IG Chemie oder IG Bau vor einer Lohnrunde noch nie vernommen. Wenn es bei anderen Gewerkschaften mal eng wurde, hatte stets die reiche IG Metall ausgeholfen.
Doch diesmal ist alles anders: Die Metall-Funktionäre sind unsicher, in welchem Ausmaß das neue Streikrecht der rechtsliberalen Koalition sich auswirkt. Denn anders als bislang zahlt die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit in Zukunft weder Arbeitslosengeld noch Kurzarbeitergeld, wenn aufgrund von Streiks Metaller außerhalb des umkämpften Lohnbezirks arbeitslos werden.
Außerdem weiß niemand in den Gewerkschaften zu sagen, wieviel Geld das Milliarden-Grab Neue Heimat am Ende verschlingen wird. Deshalb will Steinkühler auf einer Klausur-Tagung des DGB-Bundesvorstands am 10. und 11. Februar in Oberursel die Idee der Gemeinwirtschaft begraben und aus dem vorhandenen Vermögen retten, was für seine Streikkasse zu retten ist: Der IG-Metall-Chef möchte die Kollegen überreden, die restlichen gemeinwirtschaftlichen Betriebe zu verkaufen.
Doch das ist nicht in jedem Fall möglich. Die Bank für Gemeinwirtschaft ist mehrheitlich schon an die Aachener und Münchener Versicherung gegangen. Weitere Anteile feilzubieten, brächte nur neue Unruhe und würde den mühsamen Konsolidierungsprozeß der Bank gefährden.
Das Beamtenheimstättenwerk (BHW) ist zwar eine gut verdienende Bausparkasse für den öffentlichen Dienst. Doch den DGB-Gewerkschaften gehört nur die Hälfte; Eigentümer der anderen Hälfte ist der konkurrierende Deutsche Beamtenbund (DBB). Ein Verkauf der DGB-Anteile ist nur möglich, wenn der DBB-Vorsitzende Alfred Krause zustimmt.
Außerdem fallen wirklich potente Käufer wie die Privatbanken aus. Denn wenn das BHW durch den Verkauf den Charakter einer Selbsthilfeorganisation verliert, müssen 870 Millionen Mark in die Bundeskasse gezahlt werden - ein sogenanntes Heimfallrecht, das solche Geschäfte nahezu unmöglich macht.
Überdies ist der BHW-Anteil so hoch beliehen, daß ein Verkauf kein Geld brächte. Der DDB richtet sich denn auch darauf ein, das BHW zu behalten. Nachfolger von Alfons Lappas im Aufsichtsrat soll der DGB-Vize Gustav Fehrenbach werden.
Der ehemalige Postminister ist bereit, dafür seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender beim DGB-Versicherungskonzern Volksfürsorge zu räumen. Hans Matthöfer, der neue Chef der Gewerkschaftsholding BGAG, soll künftig die Versicherung beaufsichtigen.
Die Volksfürsorge soll schließlich das Geld bringen, das den Gewerkschaften einen honorigen Abschied von der Neuen Heimat ermöglicht. Und Steinkühler will auf alle Fälle auch noch ein paar hundert Millionen zusätzlich für die Streikkasse herausschlagen.
Kurz vor Weihnachten schien der Verkauf schon auf der Schiene. Die Dresdner Bank hatte der Versicherung das Angebot gemacht, 30 Prozent der Aktien zu einem Kurs von 2000 Mark auf eigenes Risiko zu übernehmen und breit zu streuen. Das hätte bereits knapp eine Milliarde Mark gebracht.
Mit Rücksicht auf den gerade ernannten Sanierer Hans Matthöfer wurde der Deal noch einmal verschoben. Inzwischen verhandelte die Volksfürsorge auch weiter mit den Sparkassen, die sich zunächst sehr für den Versicherungskonzern interessiert hatten.
Nun bereut die IG Metall bereits, daß der Handel mit der Dresdner Bank noch nicht besiegelt ist. Die Börsensituation hat sich verschlechtert, so daß neue Aktien schwerer unterzubringen sein dürften. Außerdem haben viele Sparkassen neuerdings den Spaß an der Volksfürsorge verloren.
Gegen das Geschäft mit der Dresdner hat im Prinzip auch der bislang skeptische Chef der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), Günter Volkmar, keine Einwände. Ihm
liegt nur daran, daß der Käufer entweder zur Volksfürsorge paßt oder der Verkaufsanteil breit gestreut wird, damit gewerkschaftlicher Einfluß bleibt.
Denn die Volksfürsorge-Mitarbeiter sind HBV-Mitglieder. Volkmar käme übel in die Klemme, wenn der Konzern ins Schlingern geriete und Arbeitsplätze verlorengingen. Ein HBV-Vorständler: »Dann können die Gewerkschaften ihre Absicht, mehr Angestellte zu werben auf lange Zeit vergessen.«
Eine ungünstige Entwicklung sehen Volkmars Experten voraus wenn der Eindruck entstehen sollte, die Gewerkschaften wollten ihre Anteile rasch und meistbietend verramschen. Die Volksfürsorge sei nur zu erhalten, wenn das besondere Vertriebssystem mit 33000 meist nebenberuflichen, gewerkschaftlichen Außendienstlern erhalten bleibe.
Deren Motivation aber ist schon angeknackst, seit sie bei jedem Verkaufsgespräch mit dem Neue-Heimat-Skandal konfrontiert werden und die Konkurrenz mit gezielten Werbekampagnen im Volksfürsorge-Kundenstamm wildert. Im Gegensatz zur Entwicklung der Branche mußte die Gewerkschaftsversicherung im vergangenen Jahr einen leichten Umsatzschwund hinnehmen.
Um diesem Trend entgegenzuwirken möchten die HBV und vor allem der Versicherungsvorstand nicht nur Kapitalisten mit Volksfürsorge-Aktien bedienen. Ein paar Prozent sollen zu Stückpreisen von nur 200 Mark an die Belegschaft verteilt werden. Doch das drückt auf den Verkaufserlös.
Nicht nur, weil auf dem freien Markt, wie das Angebot der Dresdner Bank beweist, das Zehnfache hereinzuholen wäre. Belegschaftsaktien erschweren auch den Verkauf an private Anleger, weil sie für fremde Anteilseigner die Mehrheitsbildung erschweren. Schon wies die Dresdner Bank darauf hin, ihr Angebot von 2000 Mark auf 1800 Mark pro Aktie verringern zu müssen, falls der Vorstand an seinem Plan festhalte.
Weil der IG-Metall-Kassierer Norbert Fischer und Steinkühler Kasse machen wollen, ist auch ihre Organisation nicht an preisdrückenden Wohltaten für die Belegschaft interessiert. Bemäntelt wird die Ablehnung allerdings ideologisch: Die IG Metall sei schon immer gegen Vermögensbildung gewesen, weil eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital die Machtverhältnisse nicht verändere, den Arbeitern aber ein solches Ergebnis vorgaukele.
Doch dieses Argument erscheint anderen Gewerkschaftern allzu dünn. Der IG-Metall-Vorsitzende hebe als Aufsichtsratsmitglied von Mannesmann jedes Jahr zu Weihnachten die Hand für die Ausgabe von Belegschaftsaktien, hielt DGB-Vize Fehrenbach dem Kollegen Steinkühler vor. Wenn das dort ideologisch nicht schade, so der CDU-Mann, dann müsse das auch für den Gewerkschaftskonzern gelten.