FERNSEH-INDUSTRIE Düstere Aussicht
Für Deutschlands Fernsch-Produzenten fällt der nächste Boom aus: Während es allenthalben aufwärts geht, bauen die TV-Hersteller ihre Geräte fürs Lager.
Zur Jahreswende war der Berg an unverkauften Farbfernsehern bereits auf 650 000 Stück angewachsen. Nach Verbandsschätzungen werden sich bis zum April schon eine Million Geräte in den Regalen stapeln.
Der Branchen-Primus, die Fürther Grundig AG, hat wegen der düsteren Aussichten erstmals in der Firmengeschichte einen Einstellungsstopp verfügt. Die Firmen Nordmende, Blaupunkt, Loewe Opta und Standard Elektrik Lorenz meldeten für ihre Farbfernseh-Fabriken vorsorglich Kurzarbeit an.
Das Geschäft um die Farbfernseh-Kundschaft ist nach den Boom-Jahren zu Beginn der Siebziger zusehends härter geworden. Im scharfen Konkurrenzkampf sackten die Preise immer weiter ab -- obwohl die Geräte an technischer Raffinesse gewannen.
Vor allem der Verkauf von Großgeräten, 90 Prozent der deutschen Color-Produktion, geriet ins Stocken. Denn fast zwei Drittel aller Haushalte besitzen inzwischen eine farbige Mattscheibe; für das restliche Drittel ist aber ein Farbfernseher häufig unerschwinglich. Schon bald wird es für die TV-Produzenten noch schlimmer kommen. Denn ab nächstem Jahr laufen Stück für Stück die Schutzrechte für das von der Firma Telefunken entwickelte Pal-Farbfernseh-System aus -- und dann ist der deutsche Markt für die aggressive japanische Konkurrenz, so ein Grundig-Manager, »offen wie ein Scheunentor«.
Die Folgen glaubt die Branche bereits zu erkennen: Die Konkurrenz aus Fernost, die schon jetzt auf dem Markt der Unterhaltungselektronik ein Viertel des Umsatzes bestreitet, wird auch in die Domäne der großen TV-Geräte einbrechen.
Bislang konnten japanische Firmen wie Sony oder Hitachi in der Bundesrepublik nur Farbfernseher mit relativ kleinen Mattscheiben anbieten. Mit den Lizenzverträgen für das Pal-System hatten die Japaner Importquoten und die Bedingung akzeptiert, den Deutschen nur Geräte mit einem diagonalen Bildschirm-Durchmesser bis zu 51 Zentimetern zu liefern.
Wenn die Pal-Patente auslaufen, werden die Japaner diese lästige Auflage los. Das trifft vor allem die AEG-Telefunken, die sich dank der Tüfteleien ihres Ingenieurs Walter Bruch einen großen Teil der 30 Hauptpatente und mehrere der 230 zusätzlichen Schutzrechte sichern konnte. Es trifft aber gleichermaßen die übrigen deutschen Hersteller, die den Markt der bei den Bundesbürgern vornehmlich gefragten großen Bildschirme (Bildschirmdurchmesser: von 56 bis 66 Zentimetern) bisher unter sich aufteilten.
Daß sich die Konkurrenten aus Fernost bereits Gedanken darüber machen, wie sie die patentfreie Zukunft in Deutschland nutzen sollen, ist sicher. Bisher aber suchen die deutschen Statthalter japanischer Produzenten die Mitbewerber zu beschwichtigen.
In Deutschland, erklärt Klaus Ilmer, Marketing-Chef der Sanyo-Niederlassung in Frankfurt, sei »mit Color kein Geschäft zu machen«. Und Sony-Geschäftsführer Jakob Schmuckli betont, Sony werde »sicher kein Preisbrecher« bei großen Bildschirmen sein.
Es klingt so einleuchtend: Schon allein wegen der hohen Transportkosten für die schweren und zerbrechlichen Kisten, sagt Sonys Schmuckli, hätten es die Japaner schwer, mit den Deutschen zu konkurrieren. Aber natürlich denken die Sony-Manager darüber nach, ob sie nicht ihre renommierte Trinitron-Farbröhre demnächst auch in Großformat bei ihrer deutschen Tochtergesellschaft Wega fertigen sollten.
Andere japanische Konkurrenten, so spekulieren die einheimischen Hersteller ahnungsvoll, werden da nicht nachstehen und eigene Produktionsstätten in der Bundesrepublik errichten. Die Firma Hitachi spielt dabei den Vorläufer: Sie will das deutsche Publikum schon vor Ablauf der Pal-Lizenzen mit großen Farbfernseh-Geräten beglücken.
Und das, so fanden die Japaner heraus, geht auch ohne neue Fließbänder: Hitachi will die Apparate in Deutschland kaufen und mit eigenem Markenzeichen in die Geschäfte stellen.
Die Branche sieht es als Symbol für ihre Krisenlage, daß Hitachi ausgerechnet mit jenem Unternehmen handelseinig wird, in dessen Labors einst das Pal-System entwickelt wurde: mit Telefunken.