E-Tankstellen-Projekt SAP-Veteran will das Auto neu erfinden
Hamburg - Als Chuzpe bezeichnet man im Jiddischen eine entwaffnende Mischung aus smarter Unverschämtheit und charmanter Dreistigkeit. Davon hat Shai Agassi reichlich. Ende 2006 sprach der damalige Vorstand des Softwarekonzerns SAP bei Israels Premierminister Ehud Olmert vor. Er, Agassi, habe eine revolutionäre Idee. Diese werde den größten Umbruch in der Geschichte des Kapitalismus auslösen, Israels Energieprobleme beseitigen und Frieden im Mittleren Osten schaffen.
Und dafür, so der 39-Jährige, verlange er nicht einen Schekel. "Ich interessiere mich nicht mehr für Geld", erzählt Agassi gerne. "Frieden in der Region und Frieden in der Welt, das ist meine Passion". Er wolle vielmehr Olmerts politische Unterstützung.
Agassis Plan: Der IT-Experte will dem Elektroauto zum Durchbruch verhelfen, indem er sein Heimatland mit einem Netz aus 500.000 Ladestationen überzieht. Öl soll dadurch als Energiequelle weitgehend überflüssig werden, getankt wird fortan per Stromkabel. "Ähnlich wie in der Mobilfunkbranche zahlen die Leute dafür eine Abogebühr", erläutert Agassi. "Und genau wie dort gibt es das Gerät umsonst dazu."
Grüne Autos? Gratis? Die Idee erschien auch Olmert reichlich verwegen. Und so reagierte er zunächst zurückhaltend. Wenn Agassi die Investoren und sämtliche notwendigen Kooperationspartner organisiere, versprach er vorsichtig, werde die israelische Regierung das Projekt unterstützen.
"Wir gehen auf Elefantenjagd"
Zwölf Monate und etliche Interkontinentalflüge später meldete der in Kalifornien beheimatete Agassi Vollzug. Insgesamt 200 Millionen Dollar hat er für sein Unternehmen mit dem schönen Namen Project Better Place eingesammelt. Es ist einer der größten Startkapitalfonds der Geschichte. "Wir gehen schließlich auf Elefantenjagd", sagt Agassi, "da brauchen wir eine große Büchse." Als Aufsichtsratschef gewann er den israelischen Industriemagnaten Idan Ofer. Carlos Ghosn, Vorstandschef des weltweit viertgrößten Autobauers Renault-Nissan, will die benötigten Elektroautos produzieren.
Seine Partner hat der Israeli mit Charisma und Eloquenz überzeugt, aber wohl auch mit seiner Vita. Agassi hat drei Softwareunternehmen hochgezogen und zu teils hohen Preisen weiterverkauft. Beim deutschen IT-Riesen SAP galt er lange als Nachfolger von Vorstandschef Henning Kagermann, im Silicon Valley kennt der gebürtige Israeli alle wichtigen Spieler. So einem hört man zu, wenn er sagt, dass er "das Ölmonopol aufbrechen will" und hohe Gewinne verspricht. "Allein der europäische Markt für Sprit hat ein Volumen von 500 Milliarden Euro im Jahr. Nur ein Bruchteil davon wäre viel Geld", so Agassi.
Das Aufgebot an Top-Partnern überzeugte auch Olmert sowie Israels Präsident Shimon Peres. Sie boxten Gesetzesänderungen durch die Knesset, unter anderem Steuererleichterungen für Elektroautos. Alle Ministerien wurden angewiesen, das Projekt zu unterstützen. Zudem will die Regierung zur Stromproduktion zwei große Solarkraftwerke in der Negev-Wüste bauen lassen.
"Öl ist das größte Problem aller Zeiten", sagt Peres. "Es ist der große Verschmutzer und der Grund für den Terror. Wir sollten es loswerden." Ende des Jahres will Agassi die ersten Feldtests starten, bis 2011 soll Israels Elektroauto-Netz fertig sein. "Das wird Israels Apollo-Projekt", verspricht der Vorstandschef von Project Better Place. Einige Branchenexperten erwarten eher eine Bruchlandung. "Das scheint mir ein Hirngespinst zu sein", spottete etwa Akkuexperte Menahem Anderman von Total Battery Consulting in der "Business Week".
Der ewige Elektroflop
Die Historie jedenfalls ist nicht auf der Seite Agassis: Von Ferdinand Porsches Elektroauto aus dem Jahr 1899 bis zu General Motors EV1 von 1996 - die Geschichte des Elektrowagens ist eine Reihe von Flops. Technisch kann es der Akkuantrieb noch nicht mit dem Ottomotor aufnehmen. So gelten die bisher verwendeten Stromspeicher als leistungsschwach (Nickel-Cadmium) oder feuergefährlich (Lithium-Ionen).
Tomi Engel, Elektroauto-Experte der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie (DGS), hält dagegen, die Akkus würden stetig besser. "Das Problem ist nicht die Technik. Das Problem ist, dass es bisher kein tragfähiges Geschäftsmodell gibt." Ohne ein Netz von Ladestationen seien Elektroautos für Konsumenten uninteressant. "Die Autohersteller interessieren sich aber nicht für die Infrastruktur. Das ist ein klassisches Henne-Ei-Problem". Agassis Ansatz hält Engel für "einzigartig, weil hier alles gebündelt wird".
Project Better Place will den Kunden die Autos zusammen mit einem Strom- und Batterieabo verkaufen. Den Wagen gibt es umsonst oder zu einem reduzierten Preis, dafür unterschreibt der Konsument einen mehrjährigen Vertrag. An den Ladestationen kann er seinen Akku aufladen, die Identifizierung des Fahrzeugs und die Abrechnung erfolgen automatisch per Software und Funkchip. "Das ist im Prinzip wie bei einer Sim-Karte im Handy", sagt Agassi.
Wenn der ehrgeizige Plan funktioniert, darf sich Agassi in einigen Jahren als Pionier des Elektroauto-Zeitalters feiern lassen. Wenn nicht, gesellt er sich zu den gescheiterten Visionären der Autobranche, zu Preston Tucker oder John DeLorean. Agassi ist sich des Risikos durchaus bewusst: "Es wird ein sehr lautes Flatsch geben, wenn ich auf dem Boden aufschlage."
DGS-Experte Engel glaubt, dass die Unterstützung des Projekts durch die Politik der springende Punkt ist. Technische und finanzielle Fragen seien nachrangig, aber "Peres und Olmert haben sich persönlich hingestellt und gesagt, wir machen das. Die werden dafür sorgen, dass ein funktionierender Markt entsteht."
An Optimismus zumindest gebricht es Agassi nicht. Israel sei nur der Anfang, man werde das Geschäftsmodell auf weitere Länder ausdehnen. Selbst große Brocken wie Deutschland schrecken den Öko-Entrepreneur nicht. Da gebe es schließlich reichlich Autofirmen, eine werde schon mitziehen. Und da es mit RWE und E.on nur zwei Energiekonzerne gebe, sei das mit dem Stromnetz auch ziemlich einfach. "Jetzt müsste nur noch die Regierung in Berlin vernünftige Rahmenbedingungen schaffen", sagt Agassi. So wie in Israel. "Dann machen wir morgen Deutschland."