GEWERKSCHAFTEN Eher wie Geheimräte
Den einen erscheinen sie als »geheime V-Leute«, den anderen als »Männer, die Vertrauen verdienen«.
Auch ihr offizieller Name sagt nicht viel mehr: Die Vertrauensleute der Gewerkschaften in den westdeutschen Betrieben sind mancherlei Mißverständnissen ausgesetzt -- sogar bei den eigenen Kollegen.
Nach den einschlägigen Richtlinien der IG Metall vertreten sie als ehrenamtliche Funktionäre die Belange der Gewerkschaft im Betrieb. Sie haben die Politik der Zentrale vor der Basis zu vertreten, neue Mitglieder zu werben und die von den Bezirken abgeschlossenen Tarifabschlüsse zu erläutern.
Zwar hat die IG Metall derzeit etwa 6000 Betriebe mit einem dichten Netz von 123 000 Vertrauensleuten überzogen. Allzuviel kam dabei aber nicht heraus. Erst vor wenigen Wochen stimmten die Vertrauensleute der IG Metall auf einer 800 Mann starken Konferenz in Nürnberg darin überein, »daß gewerkschaftliche Ziele und gewerkschaftliche Arbeit der Bevölkerung überhaupt nicht bekannt sind«.
Die Vertrauensmänner trifft dennoch kein Vorwurf: Sie können ihre Funktionärsrolle nach eigener Einschätzung »nur zwischen Tür und Angel lösen": Akkord, Schichtarbeit und Leistungsdruck. gelegentlich Schikanen durch Vorgesetzte behinderten allzuoft eine »konsequente Arbeit«.
Seit Monaten drängen deshalb die IG-Metall-Oberen darauf, den Arbeitgebern Sonderrechte abzuhandeln. Nach dem Willen der Gewerkschaftszentrale soll jeder Vertrauensmann
* bei vollem Lohnausgleich zwölf Stunden im Monat für Gewerkschaftsarbeit freigestellt werden,
* jedes Jahr zehn Tage lang an Gewerkschaftskursen teilnehmen können und
* unter besonderen Kündigungsschutz gestellt werden.
Diese Privilegien gehen den Arbeitgebern entschieden zu weit. Die Verbandsjuristen nämlich meinen, daß sich hinter den IG-Metall-Wünschen etliche Gesetzesverstöße verstecken. Es sei nicht zumutbar, daß die Arbeitgeber ausgerechnet ihre Gegenspieler unterstützten. Und schon aus juristischen Gründen käme eine Vorzugsstellung der Vertrauensleute gegenüber anderen Arbeitnehmern nicht in Frage.
Darüber hinaus, so die Verbandssyndici, müsse ein Tarifvertrag sämtliche Arbeitnehmer betreffen. Berücksichtige diese Vertragsspezies den »organisationspolitischen Interessen der Gewerkschaft« zuliebe nur eine Minderheit, so werde das Grundgesetz verletzt.
IG-Metall-Chef Eugen Loderer freilich sieht in derlei »juristischen Spiegelfechtereien« nur den Versuch, die Verfassung als »Bollwerk gegen Reformvorschläge« zu mißbrauchen: In Wahrheit gehe es nicht um Privilegien, sondern das Vermeiden von Nachteilen.
Im übrigen sei die Konstruktion juristisch wasserdicht. Denn unter Aktenzeichen I Ca 217/76 habe das Kasseler Arbeitsgericht unlängst festgestellt: »Tarifliche Regelungen über die bezahlte Freistellung von gewerkschaftlichen Vertrauensleuten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben sind zulässig.« Intern geben Gewerkschaften und Unternehmer denn auch zu, daß es beim Streit um die Vertrauensleute nicht um Rechtspositionen, sondern um Macht geht; um die Frage nämlich, wie stark die Gewerkschaft im Betrieb auftreten kann.
Die Metall-Industriellen wollen die Vertrauensleute kurzhalten, weil sie -- anders als die Betriebsräte -- nicht an die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes, etwa die Pflicht zu vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber oder die Friedenspflicht bei Arbeitskämpfen, gebunden sind.
Schon heute fühlen sich manche Vertrauensleute berechtigt, altgediente und allzu kompromißwillige Betriebsräte »auf Vordermann zu bringen« (ein IG-Metall-Vertrauensmann).
Auf der IG-Metall-Konferenz in Nürnberg beklagten viele Vertrauensleute, daß manche Betriebsräte sich »eher wie Geheimräte« benähmen und Vertrauensleute nur »ungenügend bei den Entscheidungsprozessen beteiligen«.
Den Arbeitgebern kommt der Zwist gerade recht. Eine Aufwertung der Vertrauensleute, meinte ihr Verband Gesamtmetall nach der letzten, ergebnislosen Verhandlungsrunde mit der IG Metall, werde die arbeitnehmerinternen Konflikte nur verschärfen.
Diese Entwicklung aber sei unzumutbar. Denn, so versprach der Arbeitgeberverband treuherzig, für die Unternehmer komme nichts in Betracht, das »die Stellung der Betriebsräte als Gesprächs- und Verhandlungspartner im Betrieb zu untergraben« geeignet sei.