WELTFINANZEN Ein Fall für Globocop
Die Retter waren nicht willkommen. Tausende protestierten auf den Straßen von Seoul gegen die Abgesandten des Internationalen Währungsfonds (IWF), die gekommen waren, dem einstigen Wirtschaftswunderland Südkorea aus seiner aktuellen Not zu helfen. Bankangestellte trugen Plakate mit Sprüchen wie »Finanzkolonie Korea - nein« oder »I. M. F. = I''m fired«.
In Südkorea weckt die Anwesenheit des IMF, wie der Währungsfonds in der englischsprachigen Finanzwelt abgekürzt wird, unangenehme Erinnerungen an die 35 Jahre lange Kolonialherrschaft der Japaner. Oppositionsführer Kim Dae Jung erklärte den Tag, da das größte Hilfsprogramm in der IWF-Geschichte unterzeichnet wurde, zum »Tag der nationalen Schande«.
Der Fonds wird dem Land 21 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen, insgesamt beträgt das Programm sogar 57 Milliarden Dollar. Doch die Hilfe ist mit harten Auflagen verbunden. Die Koreaner müssen Banken schließen oder zur Übernahme freigeben, ihr Budget sanieren und damit Ausgaben für Straßen, Bauprojekte und Sozialprogramme zusammenstreichen - für Korea ist das eine schwere Schmach.
Doch auch für den Währungsfonds ist Südkorea kein Fall wie jeder andere. Immerhin hängt nun die elftgrößte Industrienation der Welt am Tropf des IWF. Und mit den asiatischen Tigerstaaten steckt eine ganze Region in der Krise, die ihren steilen Aufstieg auf Schulden gebaut hatte. Selbst die Wirtschaftsmacht Japan wankt. Kann da der IWF mit seinen Mitteln helfen?
Seit der IWF immer öfter mit immer mehr Geld die Brandherde im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem löschen muß, stellt sich vor allem die Frage: Ist der Währungsfonds als »Globocop« ("Chicago Tribune") der Finanzmärkte überhaupt geeignet?
Das Institut gehört zu den geheimnisvollsten Gremien der internationalen Finanzszene. Seine Chefs gängeln Regierungen und bestimmen Staatsbudgets, sie dirigieren Finanzminister und Zentralbankiers.
Ihr Hauptquartier ist ein 13stöckiger Betonquader in Washington, nur wenige hundert Meter vom Amtssitz des US-Präsidenten entfernt. Hier residiert der IWF-Chef Michel Camdessus, der einst als Leutnant im Algerienkrieg für die Franzosen Minen sprengte.
In vielen Nationen gilt Camdessus als heimlicher Herrscher ohne Erbarmen. Er strich Zahlungen aus einem Millionenkredit für Kenia aus Protest gegen wuchernde Korruption. Er zwang Rumänien dazu, auf die Anschaffung amerikanischer Helikopter zu verzichten, weil es sich die Fluggeräte nicht leisten konnte. 1996 lieh er der russischen Regierung, kurz vor den Präsidentschaftswahlen, zehn Milliarden Dollar und verhalf damit Boris Jelzin zum Sieg.
Das wichtigste Rüstzeug der IWF-Bankiers ist ein Hilfsfonds von gewaltigen Dimensionen. Er funktioniert wie eine Art Genossenschaftsbank, nur daß sie nicht von Landwirten, sondern von Regierungen getragen wird. 181 Mitgliedstaaten zahlen heute Beiträge in den Fonds, deren Höhe sich nach der Wirtschaftskraft des Landes richtet. Das meiste Geld kommt aus den USA, Deutschland, Japan, England und Frankreich.
Gerät ein Mitgliedsland in Finanzschwierigkeiten, kann es sich vom IWF Geld zu Vorzugszinsen borgen - derzeit etwa 4,6 Prozent. Braucht eine Regierung nur wenig, weil sie kurzzeitig klamm ist, gibt es keine Probleme. Steckt der Finanzminister allerdings in größeren Nöten, rücken die Bankiers Geld nur gegen Auflagen heraus, mit dem Ziel, die durcheinandergeratenen Staatsfinanzen so schnell wie möglich zu sanieren.
Theoretisch hat der Fonds für Finanzhilfen heute rund 200 Milliarden Dollar auf seinen Konten, die Summe soll um 90 Milliarden erhöht werden. Doch die Zahl ist trügerisch: Da die Mitgliedstaaten ihre Einlagen zu 75 Prozent in ihrer eigenen Währung leisten, hocken die Bankiers auf allerlei Billiggeld, das im Ernstfall kein Gläubiger haben will. In harter Währung hat der IWF im Moment kaum mehr als 50 Milliarden Dollar.
Weitere Reserven kann der IWF mobilisieren, indem er wiederum Kredite bei den wirtschaftlich stärksten Mitgliedern aufnimmt. Obendrein verwalten die Fondsmanager ein riesiges Goldlager.
Geschaffen wurde das Gremium kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1944 im US-Städtchen Bretton Woods - zu einem völlig anderen Zweck. Damals koppelten die Gründerstaaten gerade ihre Währungen mit einem System fester Wechselkurse aneinander.
Wenn eine Regierung in Zahlungsschwierigkeiten geriet, sollten IWF-Kredite verhindern, daß die Währung unter Abwertungsdruck kam und das System auseinandertrieb. Geldentwertung und wirtschaftliches Chaos, das den Boden für den Aufstieg des Dritten Reiches bereitete, sollte mit allen Mitteln verhindert werden.
Nachdem Anfang der siebziger Jahre der Währungsverbund auseinanderriß, entwickelte sich der Fonds mehr und mehr zur Notbank für Entwicklungsländer, in denen die Regierungen ihre Kassen geleert und ihre Kreditwürdigkeit verloren hatten. Die Männer aus Washington wurden zum Symbol für rigide Haushaltspolitik, freien Welthandel und einen kalten Kapitalismus nach amerikanischem Muster.
In jüngster Zeit gab es eine erneute Wandlung, spektakulärer als je zuvor. Konzerne, Banken und riesige Aktienfonds spannen mit Hilfe moderner Computertechnik ein riesiges Finanznetz um die Welt. Es ermöglicht Investoren, innerhalb von Sekunden Milliardenbeträge hin und her zu schießen.
Dazu begannen Investoren aus reichen Ländern gewaltige Summen in die Schwellenländer zu pumpen. Waghalsige Unternehmer, Geldanleger und Spekulanten sahen riesige Gewinnchancen in Mexiko, China, Thailand oder Malaysia. Flossen 1990 nur 44 Milliarden Dollar Privatgelder aus den Industriestaaten in die armen Regionen, waren es 1996 schon 244 Milliarden Dollar. Die globalen Geldströme schufen ein gewaltiges Ungleichgewicht - und ein neues Schlachtfeld für den IWF.
Die erste große Krise gab es 1994 in Mexiko. Die Regierung hatte die Staatsausgaben aufgeblasen, der Kurs des Peso kam unter Druck. Plötzlich waren Milliarden von Anlagegeldern in Gefahr, die Investoren in den vergangenen Jahren in das vermeintlich solide Mexiko gesteckt hatten.
Die Krise wuchs sich innerhalb weniger Wochen zu einer globalen Finanzkatastrophe aus. Aus Angst, drohende Milliardenverluste in Mexiko könnten Unternehmen und Banken in den Industriestaaten beschädigen, sackten Aktien ab, brachen schwache Währungen ein.
In der Stunde der Not schnürte Camdessus gemeinsam mit der US-Regierung das bis dahin größte Hilfspaket der Geschichte zusammen. Notkredite von insgesamt fast 50 Milliarden Dollar verhinderten die Pleite des mexikanischen Staates und damit einen weltweiten Finanzcrash ungeahnter Dimensionen.
Die Hilfe diente nicht mehr allein Mexiko, sondern den Geldanlegern und Firmen aus Amerika, Europa und Japan, deren Vermögen durch die Fehlspekulation in Mexiko in Gefahr geraten war. Der IWF hatte eine neue Aufgabe: als Auffangnetz für Risikoinvestoren und Spekulanten.
Zwar erholte sich Mexiko und zahlte einen Großteil des Kredites wieder zurück, teilweise schon vor Fälligkeit. Doch nur zweieinhalb Jahre später kam es zu einer noch heftigeren Krise - aus ähnlichen Gründen: Banken, Investoren und Fonds hatten Milliarden von Dollar in die aufstrebenden Tigerstaaten Asiens gepumpt - in der Hoffnung auf schnelle Gewinne und ohne ausreichende Prüfung. Mit dem Zusammenbruch der thailändischen Währung kam, ähnlich wie in Mexiko, der Realitätsschock.
Wieder mußte der IWF zu Hilfe eilen, um die Regierungen vor dem Bankrott zu bewahren und einen weltweiten Finanzcrash zu verhindern. Nacheinander schnürten die Bankiers Hilfspakete für Thailand, die Philippinen, Indonesien und Südkorea - insgesamt rund hundert Milliarden Dollar.
Doch inzwischen regt sich Kritik an den freigebig verteilten Milliarden. Führende Ökonomen und Investmentbanker attackieren immer heftiger die Exzesse der Globalisierung und fordern die Regierungen auf, mit Gesetzen gegenzusteuern.
»Wir machen für diese Krise Korruption und marode Banken verantwortlich«, sagt der Harvard-Ökonom Jeffrey Sachs. »Aber dies ist eine Krise der privaten Märkte. Oft haben ausländische Investoren ihr Geld den Koreanern regelrecht aufgedrängt. Und die koreanischen Banken nahmen es natürlich enthusiastisch an.«
Und auch sein Harvard-Kollege Richard Cooper kritisiert den Notfonds: »Wenn wir so jedem Land beistehen, das in Schwierigkeiten gerät, dann werden Investoren darauf zählen - und weiterhin Kredite geben, die sie nicht geben sollten.«
Das Problem der Washingtoner Finanzwächter ist, daß sie vor einer Krise nahezu machtlos sind. In Thailand lehnte der mittlerweile abgetretene Premier Chavalit Hilfsangebote zunächst hochmütig ab. Statt dessen verbrauchte Thailands Notenbank fast ihre gesamten Devisenreserven für den aussichtslosen Kampf, die Abwertung der heimischen Währung Baht abzuwehren. »Wir hätten den Thais viel früher helfen können, wenn man uns nur gerufen hätte«, sagt ein IWF-Experte, der in Bangkok die Reform des Finanzsystems überwacht.
Eine neue weltweite Finanzregelung fordert deshalb Harvard-Ökonom Cooper. Die Eigentümer der für die Krise mitschuldigen Banken und Aktionäre dürften nicht von IWF-Krediten profitieren, sondern müßten ihren Einsatz verlieren. Nur so würden Spekulanten zu verantwortlicherer Geldanlage veranlaßt.
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Der Internationale Währungsfonds, Angaben in Milliarden Dollar
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* Mit Südkoreas Finanzminister Lim Chang Yuel bei derUnterzeichnung des Hilfsprogramms am Mittwoch vergangener Wochein Seoul.