»Ein Urteil gegen bessere Luft«
SPIEGEL: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat den Ausbau eines Steinkohle-Kraftwerkes der Steag in Voerde am Niederrhein mit dem Argument untersagt, die neue Stromfabrik belaste die Umwelt in unzumutbarem Maße mit giftigen Abgasen. Was bedeutet der Stopp dieser 1,4 Milliarden teuren Investition für Ihren Konzern?
SCHULTE: Vom Bau dieses Kraftwerks sind letzthin 15 000 Arbeitsplätze bei uns, in der Zulieferindustrie und den Zechen betroffen. Die bisher voraussichtlich verlorenen Investitionen schätze ich auf 100 Millionen Mark.
SPIEGEL: Hätten Sie die 100 Millionen nicht besser gleich in zusätzliche Filteranlagen gesteckt?
SCHULTE: Mehr Filter kann man beim besten Willen nicht einbauen. Die von uns geplanten Filteranlagen sind das technologisch Beste, was derzeit verfügbar ist. Die Filter reduzieren den Staubauswurf auf 0,1 Prozent der verbrannten Kohle -- fünfmal weniger als die benachbarten alten Kraftwerke, die noch in Betrieb sind.
SPIEGEL: Die pusten offenbar so viel Schmutz in die Luft, daß den Richtern neue Kraftwerke als unzulässige Umweltbelastung erscheinen. Warum haben Sie Ihr neues Kraftwerk nicht gleich in einem weniger belasteten Gebiet angesiedelt?
SCHULTE: Im Schwarzwald oder in der Lüneburger Heide dürfen wir gerade wegen der guten Luft nicht bauen. Uns war der Standort Voerde von der Landesregierung zugewiesen worden, auch die Baugenehmigung war erteilt. Um die Luftverschmutzung in dieser Region zu vermindern, hatten wir zusätzlich Verbesserungsmaßnahmen an alten Kraftwerken vorgesehen. Auch die August Thyssen-Hütte und die Mannesmann AG werden mit erheblichen Investitionen den Staubauswurf in dieser Region vermindern, so daß die Belastung mit Schadstoffen geringer wird.
SPIEGEL: Diese Versprechen genügten den Richtern des Oberverwaltungsgerichts Münster offenbar nicht. Sie verboten den Bau des neuen Kraftwerks, weil bereits heute die Schmutzwerte in Voerde sehr hoch liegen.
SCHULTE: Entscheidend für die Genehmigung sollte der Grad der Luftverschmutzung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des neuen Werkes, das heißt im Jahre 1980, unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Verbesserungen sein. Das wurde vom Gericht nicht gewürdigt.
SPIEGEL: Bonn hat in seiner August 1974 erlassenen »Technischen Anleitung Luft« konkrete Grenzwerte genannt, die das Gericht allerdings nicht als verbindliche Vorschrift akzeptierte. Warum hielten sich die Richter nicht daran?
SCHULTE: Weil die TA-Luft nur eine Verwaltungsvorschrift und kein Gesetz ist. Die jetzige Rechtsunsicherheit muß beseitigt werden, ohne daß die Substanz des Umweltschutzes geschmälert wird. Durch eine Novellierung der Umweltschutzgesetze sollten den Richtern von Flensburg bis Berchtesgaden klare Entscheidungsgrundlagen gegeben werden, damit auch die Unternehmen wissen, ob Investitionen sicher durchgeführt werden können.
SPIEGEL: Um dem heimischen Bergbau neue Absatzwege zu erschließen, hat Wirtschaftsminister Hans Friderichs den Bau zusätzlicher Kohle-Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 6000 Megawatt bis 1980 eingeplant. Muß Bonn sein Energieprogramm korrigieren?
SCHULTE: Dieses Programm ist bis 1980 nicht mehr realisierbar. Andererseits brauchen wir einen modernen kostengünstigen Steinkohle-Kraftwerkspark, um die 33 Millionen Tonnen, die in der Bonner Zielplanung vorgesehen sind, langfristig kostengünstig jährlich in Strom zu verwandeln.
SPIEGEL: Sind Ihnen die Umweltschutzauflagen zu hoch und die Gesetze zu scharf?
SCHULTE: Wir wollen keine materielle Änderung des Gesetzes. Aber die Richter müssen sich nach einer verbindlichen Rechtsnorm richten können, damit die Unternehmen, die Tausende von Arbeitsplätzen garantieren, sich auch für fällige Investition entscheiden können. Seit der vorletzten Woche wird kein Unternehmer auch nur eine Mark in eine vorbelastete Region investieren, ohne nicht wenigstens in zwei Instanzen vor den Verwaltungsgerichten gesiegt zu haben. Denn ein Kläger findet sich immer.
SPIEGEL: Politiker aller drei Fraktionen und Gewerkschaften haben sich in Voerde für Sie und Ihr Projekt stark gemacht. Bedarf es bei diesem Interessenbund nicht des wachsamen Widerstands einzelner Bürger?
SCHULTE: Wir wollen doch alle in gesunder Luft und künftig in noch besserer Luft leben. Aber das Recht des einzelnen muß eben in einer vertretbaren Relation zu anderen Rechten stehen: zu dem Recht der Allgemeinheit auf Arbeitsplätze. auf eine krisenfeste Energieversorgung und einen angemessenen Lebensstandard.
SPIEGEL: Gibt es eine Alternative verhungern oder ersticken?
SCHULTE: Nein. Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets und mitten in Dortmund aufgewachsen, als die damalige Dortmund-Hörder Hütten Union über der Innenstadt gewaltige Rauchschwaden abließ. Heute kann wohl keiner sagen, daß einer im Ruhrgebiet erstickt.
SPIEGEL: Offenbar wollten die Richter dieses Schicksal auch den Nachbarn Ihres Kraftwerks ersparen.
SCHULTE: Das ist gerade der Irrtum. Weil nämlich das neue Kraftwerk mit seinen modernsten Filtern nicht gebaut werden kann, müssen die alten Kraftwerke, die viermal soviel Abgase abblasen, weiter in Betrieb bleiben. Der Spruch der Richter ist ein Urteil gegen bessere Luft an der Ruhr.