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co op Einsam in den Rockies

Der nach Kanada geflüchtete co-op-Finanzchef Werner Casper gibt auf - er stellt sich der deutschen Justiz.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Es war eine der teuersten Auslandsaktionen in der deutschen Justizgeschichte. Mehrere tausend Dokumente aus den Ermittlungsakten in der Strafsache co op mußten ins Englische übersetzt und nach Kanada gebracht werden.

Sechs kanadische Justizbeamte unter Leitung von Oberstaatsanwalt Dick Purdy bereiteten den Prozeß vor. Das Ziel aller Bemühungen, die mehr als drei Millionen Mark erforderten, war die Auslieferung des Deutschen Werner Casper.

Mit einem Mal jedoch ging alles ganz leicht. Am Montag vergangener Woche verblüffte Casper, bis Ende 1988 Finanzvorstand des Handelskonzerns co op, bei seiner ersten Anhörung im kanadischen Vancouver den Richter mit einer Erklärung: »Ich bin mit einer Auslieferung nach Deutschland einverstanden.«

Wahrscheinlich noch in dieser Woche werden zwei Beamte des Bundeskriminalamts den flüchtigen Finanzmann nach Deutschland holen. Gleich nach seiner Ankunft wird Casper in ein Untersuchungsgefängnis gebracht.

Mit der Rückkehr von Werner Casper, 49, beginnt ein neues Kapitel in der strafrechtlichen Aufarbeitung des Skandals um den einst gewerkschaftseigenen Handelskonzern co op. Casper gilt als wichtigster Drahtzieher im größten Wirtschaftskrimi der Nachkriegszeit.

Anders als seine bereits verurteilten Vorstandskollegen Bernd Otto und Dieter Hoffmann - beide haben vor sechs Wochen ihre Haftstrafen angetreten - war Casper nicht nur über alle Mauscheleien und Betrugsmanöver informiert. Der einstige Finanzchef wurde von seinen ehemaligen Kollegen auch schwer beschuldigt.

»Dafür war Herr Casper zuständig«, war von Otto und Hoffmann immer wieder im Verfahren vor dem Frankfurter Landgericht zu hören.

Fast fünf Jahre lang hatte sich Casper dem Zugriff der deutschen Justiz entzogen. Gut zwei Jahre lang war er unauffindbar, ehe zwei Zielfahnder des Bundeskriminalamts ihn im Februar 1991 in den Rocky Mountains aufspürten und verhaften ließen.

Die Flucht nach Übersee hatte Casper offensichtlich von langer Hand geplant. Schon im Dezember 1987, also fast ein Jahr vor der Aufdeckung des co-op-Skandals im SPIEGEL, hatte sich Casper bei der kanadischen Botschaft in Bonn ein offizielles Einwanderungsvisum besorgt.

Mit der Zusage, mindestens 300 000 Mark zu investieren, war er den Kanadiern als sogenannter Entrepreneur willkommen. In dem Provinznest 108 Mile House, einer ehemaligen Poststation in den Bergen von British Columbia, kaufte sich Casper ein gediegenes Haus mit Seeblick und 8000-Quadratmeter-Grundstück.

Es waren nicht nur die wildreichen Wälder, die den passionierten Jäger nach Kanada lockten. Das zweitgrößte Land der Erde hatte noch einen anderen Reiz: Das Risiko, aus Kanada ausgeliefert zu werden, ist weitaus geringer als in den meisten anderen Staaten.

Kanadische Gerichte verlangen vor einer Auslieferung den Nachweis, daß der Verdächtige schuldig ist. Akzeptiert werden nur Beweismittel, die der kanadischen Strafprozeßordnung entsprechen.

Alle Dokumente, die zum Beispiel bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt wurden, müssen deshalb nachträglich mit einer eidesstattlichen Versicherung versehen werden. Darin muß der damals diensthabende Polizeibeamte vor einem deutschen Richter bestätigen, wo er das betreffende Dokument gefunden hat.

Erst wenn alle Dokumente übersetzt, eidesstattlich gekennzeichnet und mit einem Attest des Bundesjustizministeriums versehen sind, können sie im sogenannten Extradition-Hearing verwendet werden.

Gegen eine Kaution von umgerechnet 320 000 Mark war Casper nach seiner Verhaftung wieder auf freien Fuß gesetzt worden. In aller Ruhe konnte er das sich über mehrere Instanzen hinziehende Verfahren abwarten. Seine Chancen, sich dem deutschen Auslieferungsbegehren zu entziehen, standen nicht schlecht.

Warum der flüchtige co-op-Kassenwart es sich nun plötzlich anders überlegte und seiner sofortigen Auslieferung zustimmte, ist unklar. Anders als Kollege Otto, der mit seiner Familie zunächst nach Südafrika entschwunden war, hatte sich Casper ohne Frau und Kinder nach Kanada abgesetzt und fühlte sich offenbar einsam. Von den Deutschen, die in den Rockies wohnen, wurde er geschnitten.

Nach der Verurteilung seiner Ex-Kollegen Otto und Hoffmann zu viereinhalb beziehungsweise viereinviertel Jahren Haft konnte der ehemalige co-op-Manager sich ausrechnen, welche Strafe in Deutschland auf ihn zukommt. Mit einem umfassenden Geständnis kann er möglicherweise die Strafe noch weiter drücken.

Casper kommt in jedem Fall eine juristische Besonderheit zugute, die derartige Fälle im Auslieferungsrecht regelt. Anders als bei einer freiwilligen Rückkehr ohne Auslieferungsbeschluß kann er sich auf den sogenannten Spezialitätsvorbehalt berufen.

Nach dieser Klausel kann das Gericht in Frankfurt den Ausgelieferten nur wegen der Delikte belangen, die bereits im Haftbefehl von 1989 bezeichnet wurden. Andere Anschuldigungen als Untreue und Betrug darf die Staatsanwaltschaft nicht mehr vorbringen. Y

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