El Centro in Kalifornien Sonne, Sonne, nichts als Sonne
Der Klimagipfel in Kopenhagen beginnt, und alle Welt blickt auf die USA: Werden sie für eine neue globale Umweltpolitik kämpfen? Auch El Centro in Südkalifornien hofft auf die Ökowende. Die krisengeplagte Stadt hat nur eine Chance: erneuerbare Energien. Besuch bei einem potentiellen US-Krisengewinner.
Sam Crouchman sitzt hinter seinem massiven Schreibtisch, der fast ein bisschen zu groß wirkt für den kleinen Mann mit dem freundlichen, runden Gesicht. Zwischen den Akten hat der Mittfünfziger ein ganzes Regiment Miniatursoldaten aufgebaut, an den Wänden hängen Bilder mit heroischen Schlachtszenen aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Voller Begeisterung erzählt er, dass er als Statist in einer TV-Doku über den Sezessionskrieg mitgespielt hat, in Südstaaten-Uniform. Dabei ist Crouchman im Alltag an einer ganz anderen Front gefordert: Er leitet das Arbeitsamt von El Centro, einer trostlosen Wüstenstadt im Süden Kaliforniens, 30 Prozent Arbeitslosigkeit, so viel wie nirgendwo sonst in den USA.
Die "New York Times" hat El Centro die "Hauptstadt der großen Rezession" genannt, das Magazin "Forbes" wählte die Stadt unter die zehn ärmsten Landstriche Amerikas. Für Crouchman ist das alles ein Missverständnis. "Die Leute denken wohl, dass wir ein Katastrophengebiet sind", sagt er genervt und will erklären, warum die Geschichte der US-Arbeitslosen-Hauptstadt weit mehr ist als nur eine düstere Episode aus der Wirtschaftskrise. "Wir sehen uns als positive Region", sagt Crouchman, seine Stimme klingt trotzig.
Rund 40.000 Menschen leben in El Centro, Verwaltungssitz des Imperial County mit knapp viermal so vielen Einwohnern. Die Stadt ist ein gleichförmig bebautes Straßenraster an der Interstate 8, die sich von San Diego am Pazifik ihren Weg durch Wüste und Felsen in Richtung Arizona bahnt. Die Sanddünen in der Gegend sehen so sehr nach einem anderen Planeten aus, dass Hollywood hier regelmäßig Szenen für Science-Fiction-Filme dreht. An der Ortseinfahrt grüßt von einer Plakatwand Howdy die Eule, das Maskottchen von El Centro. Ein bräsig dreinblickender Kauz, der mit einem Flügel forsch nach vorne weist.
Jeder zweite ist in der Landwirtschaft tätig
Einige Meilen hinter Howdy steht das beige Gebäude der örtlichen Handelskammer, Cathy Kennerson führt hier die Geschäfte. Durch die Krise seien Jobs im Baugewerbe, bei den Autohändlern und im Einzelhandel verlorengegangen, sagt sie, aber der Anstieg der Arbeitslosigkeit sei mit rund fünf Prozent nicht stärker gewesen als anderswo. "Die Leute, die hier aufgewachsen sind, kennen die Besonderheiten unseres Arbeitsmarktes", sagt Kennerson. Sie meint damit die vielen unnatürlich grünen Rechtecke am Rande der Stadt, auf denen Karotten, Salat und anderes Gemüse wachsen.
Nach Angaben der Handelskammer hängt im Imperial County fast jeder zweite Job an der Landwirtschaft. Dank der Region würden die USA auch im Winter verlässlich mit Früchten und Gemüse versorgt, sagt Kennerson. Das Wasser dafür kommt über ein Kanalsystem vom Colorado River in die Wüste. Im Sommer aber, wenn die Temperaturen auf 45 Grad steigen und die Sonne unerbittlich vom Himmel knallt, liegen viele Felder brach, und die Erntehelfer melden sich für einige Monate arbeitslos. "Das bläht die Statistik auf", sagt Kennerson.
Saisonale Arbeitsmarkteffekte sind normal in landwirtschaftlich geprägten Gegenden - den hohen Sockel der Joblosen im Imperial County erklären sie aber nicht. "Wir hatten in El Centro schon immer eine Arbeitslosigkeit im zweistelligen Bereich", sagt Crouchman. In der Gegend gebe es kaum Industrie, größter Arbeitgeber sei der Staat, und auch der müsse wegen des enormen Haushaltsdefizits in Kalifornien sparen. Lediglich die US-Grenzschutzbehörde habe hier in den vergangenen Jahren Jobs geschaffen.
Der "Mexicali-Faktor"
Crouchman kramt eine Karte hervor und zeigt auf eine Häusermasse, die sich von Süden an die Grenze schmiegt: Mexicali, Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Baja California Norte, rund eine Million Einwohner. Der "Mexicali-Faktor" beeinflusse maßgeblich die Arbeitslosigkeit in seinem Bezirk, sowohl nach oben als auch nach unten, sagt Crouchman. "Unsere Städte haben eine symbiotische Beziehung."
Bis zu 60.000 Menschen aus Mexicali arbeiten nach Schätzungen der Behörden im Imperial County, vor allem als Erntekräfte. Crouchman sagt, die Region sei auf sie angewiesen, trotz der hohen Arbeitslosigkeit: "Sie machen Jobs, die Amerikaner normalerweise ablehnen." Einige Mexikaner fahren nach der Arbeit zurück über die Grenze, viele sind im Laufe der Jahre aber in El Centro geblieben - mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind Latinos. Spanisch ertönt gleichberechtigt neben Englisch im Radio, an der Supermarktkasse, bei McDonald's.
Industrie-Jobs gibt es fast nur auf der mexikanischen Seite der Grenze, in den großen Montagewerken, den Maquiladoras. Immerhin profitiert davon auch El Centro, zumindest indirekt: Im Wüstensand des Imperial County steht ein Einkaufszentrum, das viel zu groß geraten ist für die Provinz. Die landesweiten Kaufhausketten Macy's und J.C.Penney betreiben hier Filialen, mehr als 80 kleinere Läden erfüllen das schier endlose amerikanische Konsumversprechen. Vor der Shopping-Mall parken vor allem Autos mit mexikanischen Nummernschildern.
Hunderttausende Mexikaner aus der Gegend um Mexicali haben einen Passierschein, mit dem sie die Grenze überqueren dürfen. Das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und die Fahndung nach illegalen Einwanderern haben die Wartezeiten am Übergang in Calexico in den vergangenen Jahren allerdings von 20 Minuten auf bis zu zwei Stunden ansteigen lassen. Angesichts der verschärften Kontrollen entscheiden sich die Mexikaner immer häufiger gegen eine Einkaufstour in El Centro. Crouchman sagt, ein schnellerer Grenzverkehr sei für die Stadt wichtiger als jedes Konjunkturpaket.
Perfekte Voraussetzungen für erneuerbare Energien
Die größten Hoffnungen setzt Crouchman aber in das Zentrum für erneuerbare Energien, das Investoren bei der Verwirklichung grüner Projekte zur Seite steht. Das Imperial County rühmt sich, die einzige Region der USA zu sein, wo Energie aus Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme gewonnen werden kann. Bei der Eröffnung des Zentrums im Mai sagte ein Vertreter der Stadt, El Centro habe das Zeug zur "nationalen Hauptstadt der erneuerbaren Energien" - ein Titel, den die Menschen hier jenem der Arbeitslosen-Hauptstadt vorziehen. Kommendes Jahr soll mit den Bauarbeiten für den Sunrise Powerlink begonnen werden, der San Diego künftig mit bis zu tausend Megawatt Ökostrom beliefern soll.
Candelario Jiminez nimmt am edlen Konferenztisch im Energiezentrum von El Centro Platz, die ausladenden Sessel sind aus Leder, an den Wänden hängen Flachbildschirme. Der 34-jährige Ingenieur fühlt sich hier schon wie zu Hause. Gerade ist er auf Heimaturlaub von seinem Energiemanagement-Studium im badischen Offenburg. Sein Praktikum, erzählt Jiminez, habe er am Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung in Stuttgart gemacht. Erneuerbare Energien lassen sich in Deutschland besonders gut studieren.
Jiminez plant den Bau eines riesigen Solarkraftwerks in der amerikanisch-mexikanischen Wüste. Imperial County sei dafür perfekt geeignet. Nur wenige Orte auf der Welt hätten eine höhere Sonneneinstrahlung als der Südwesten der USA.
Langfristig könnte dies auch dem Jobmarkt zugute kommen. Aus der Arbeitslosenhauptstadt der USA würde dann tatsächlich eine Ökohochburg. "Wir haben hier doch nichts außer der Sonne", sagt Jiminez.