Stahl Elegante Lösung
Ein Anruf sorgte bei EG-Kommissar Martin Bangemann für gute Laune. Am Telefon meldete sich am Donnerstag vergangener Woche Heinz Kriwet, der Chef des größten deutschen Stahlproduzenten Thyssen.
Nach dem Gespräch waren sich Bangemann und seine Mitarbeiter in ihrem Urteil einig. »Eine richtige Bombe«, befand einer von ihnen. »Damit können wir die Sache Klöckner zum Abschluß bringen.«
Der Brüsseler Industriekommissar Bangemann und seine Kollegen Henning Christophersen (Finanzen) und Karel Van Miert (Wettbewerb) müssen in dieser Woche mit Klöckner-Chef Hans Christoph von Rohr über einen Vergleich des Unternehmens verhandeln. Eine Lösung des Problemfalls war bislang nicht in Sicht - bis Kriwet sich meldete.
Er sei mit den Kollegen von Krupp-Hoesch übereingekommen, so die überraschende Mitteilung des Thyssen-Chefs, das bankrotte Bremer Klöckner-Werk zu übernehmen und dort die Arbeitsplätze zu sichern. Der geplante Coup der Stahlkonzerne sei, versicherte Kriwet, finanziell abgesichert.
Er habe bei Klöckners Hauptgläubigern - der Deutschen Bank, der WestLB und der Dresdner Bank - sondiert. Die Banker zögen mit. Eine Bedingung allerdings stellte der Stahlmanager für die Übernahme: Der gerichtliche Vergleich, der diese Woche durch einen Verzicht der Brüsseler Kommission auf 70 Millionen Mark aus einem alten EG-Darlehen in Gang kommen soll, muß erfolgreich abgeschlossen werden.
Kriwets zeitlich wohlplaziertes Angebot erleichtert es den Verhandlungsführern der Gemeinschaft, das letzte Hindernis für einen Vergleich bei Klöckner wegzuräumen.
Noch zwei Tage zuvor, im Rat der Industrieminister, hatten vor allem Italiener und Spanier dagegen protestiert, daß den Duisburgern für ihr marodes Bremer Stahlwerk Schulden erlassen werden sollten. Noch nie habe die Kommission in einem Vergleich auf Forderungen verzichtet, kritisierten die südeuropäischen Länder. Ein Verzicht auf 40 Prozent der 175 Millionen Mark, die Klöckner noch schuldete, komme einer staatlichen Subvention für einen deutschen Konkurrenten gleich.
Eine solche Förderung widerspricht in der Tat der aktuellen Stahlpolitik der EG. Die Gemeinschaft will die gewaltigen Überkapazitäten der europäischen Stahlindustrie abbauen, die Industrie selbst soll entscheiden, wo die Produktion stillgelegt wird.
Doch welches Unternehmen macht das freiwillig mit hohen Kosten etwa für Sozialpläne, fragen die Brüsseler Stahlexperten, wenn andere staatlich subventionierte Konzerne dann um so mehr produzieren?
Die Vertreter der ostdeutschen Eko Stahl, die eine Woche zuvor nach Brüssel gekommen waren, hatten keine Chance. Der Plan der Treuhand, das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt mit Steuergeldern auszubauen, fiel durch.
Das größte Stahlwerk in der ehemaligen DDR ist ohne massive finanzielle Unterstützung durch den Staat nicht überlebensfähig. Bonn und die Treuhand wollten sich den Erhalt des Stahlstandortes in der Nähe der polnischen Grenze 1,94 Milliarden Mark kosten lassen.
Mit dem Geld der öffentlichen Hand sollte nicht nur Bestehendes modernisiert werden. Für einen beträchtlichen Teil der Summe, für rund 670 Millionen Mark, sollte eine neue Warmbreitbandanlage gebaut werden. Sie würde 900 000 Jahrestonnen zum gegenwärtigen EG-Überschuß von rund 20 Millionen Tonnen Warmwalzprodukten hinzufügen.
Die Verantwortlichen sahen zwar die ostdeutsche Notlage - aber sie konnten es sich nicht leisten, einen Präzedenzfall zu schaffen.
Spanier und Italiener haben, von der Kommission zunächst abgelehnt, Anträge in Brüssel eingereicht, daß sie die Milliarden zur Subventionierung ihrer veralteten Staatsbetriebe weiter zahlen dürfen. »Genehmigen wir Eko«, so ein Brüsseler Unterhändler, »dann bricht ein Damm.«
Nachdem die Eko-Pläne in Brüssel gescheitert waren, stiegen die Chancen für Klöckner. Zweimal innerhalb weniger Tage, so die Hoffnung der deutschen Unterhändler, konnte die EG nicht gegen Bonn entscheiden.
Im Falle Klöckner hatten die Deutschen zudem gut vorgearbeitet. Auf fünf Seiten hatte Klöckner-Chef Rohr das Besondere seines Falles und des deutschen Konkursrechts dargestellt. Einen Tag vor der Ministerratssitzung schoben die drei wichtigsten Gläubigerbanken einen Brief nach.
Alle anderen Gläubiger des zum Konkurs anstehenden Klöckner-Unternehmens, argumentierten die Deutschen, hätten einem Vergleich bereits zugestimmt. Komme dieser bis zum 14. Mai nicht zustande, so habe das Amtsgericht Duisburg entschieden, werde unmittelbar das Konkursverfahren eröffnet.
Ein Vergleich, lockten die Banker, koste die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) lediglich 40 Prozent ihrer Forderung, gleich 70 Millionen Mark. Im Konkursfalle aber »gehen wir von einem Totalverlust auch für die erstrangig gesicherten Gläubiger - einschließlich der EGKS - aus«.
Ein Konkurs würde die Bremer Stahlfirma zudem mit ihren hochmodernen Anlagen auf einen Schlag von Schulden, Abschreibungen, Zinsen und Sozialkosten befreien. »Das mit Abstand konkurrenzfähigste und aggressivste Flachstahlwerk Europas wäre geboren«, warnte von Rohr.
Das leuchtete den Brüsselern ein, zumal in einem solchen Werk kein Interesse daran bestünde, Kapazitäten zu verringern. Und darin sieht die EG die einzige Chance, die Krise der europäischen Stahlindustrie zu beenden.
So stimmten die EG-Minister einem Vergleich zu - unter der Bedingung, daß Klöckner seinen Teil zum Kapazitätsabbau beitrage. Bis zu Kriwets Anruf war höchst zweifelhaft, wie Klöckner in den Verhandlungen dieser Woche die Auflage erfüllen sollte.
Die neue Bremer Warmwalzanlage ist eine der modernsten auf dem Stahlmarkt, sie soll weiterlaufen. Doch Warmwalzprodukte gibt es besonders reichlich in Europa.
Das Übernahmeangebot läßt nun eine elegante Lösung zu. Gehören die Bremer zu Thyssen und Co., kann der von Brüssel geförderte Abbau auch anderswo stattfinden - möglicherweise bei einem weiteren Partner. Im Gespräch ist der niederländische Hoogovens-Konzern.
Daß die Klöckner-Übernahme der erste Schritt zu einer gemeinsamen Lösung der Stahlkrise - bis hin zu einer Deutschen Stahl AG - sein könnte, bestreiten die Betroffenen.
Der Anruf in Brüssel, so ein Kriwet-Vertrauter, habe nur einen Zweck gehabt: die Verhandlungen dieser Woche günstig zu beeinflussen und so den drohenden Konkurs bei Klöckner abzuwenden.
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_118_ Rohstahlerzeugung in Deutschland
_____ Subventionen für die Stahl-Industrie von 1975 bis 1991
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