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AFFÄREN Elektronische Beute

Staatsanwälte ermitteln gegen Manager der ältesten deutschen Privatbank. Sie sollen mit gestohlenen Datensätzen einen neuen Geschäftszweig aufgebaut haben.
aus DER SPIEGEL 53/2009

Der Neue Jungfernstieg ist eine der vornehmen Adressen Hamburgs. Hier residieren, mit Blick auf die Binnenalster, etwa das Hotel Vier Jahreszeiten, der Übersee-Club und die Berenberg Bank. Die Berenbergs legen Wert darauf, kein gewöhnliches Geldinstitut zu sein. Rechts und links des Familienwappens ist in Schnörkelschrift zu lesen: »Privatbankiers gegründet 1590«.

In starkem Kontrast zum elitären Auftritt der »Bank der feinen Hanseaten« ("Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung") steht jedoch eine Affäre, die sich seit Mitte Dezember abzeichnet und die im deutschen Kreditgewerbe bislang einzigartig sein dürfte. Vor allem wegen der - vornehm ausgedrückt - irritierenden Sorglosigkeit, mit der die Protagonisten agierten.

Am Donnerstag der Vorweihnachtswoche meldeten sich drei Staatsanwälte und 50 Beamte des Landeskriminalamts am Empfang und präsentierten einen Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Bank und der im Juni gegründeten Berenberg Invest AG. Grund: der Verdacht des Verrats von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen - zu Lasten eines Konkurrenten, der Wölbern Invest KG.

Das ehemals zur Wölbern Bank gehörende Emissionshaus gilt als Marktführer bei geschlossenen Immobilienfonds in den Niederlanden und war Mitte des Jahres von einer Kündigungswelle heimgesucht worden. 25 Mitarbeiter hatten das Unternehmen innerhalb weniger Wochen verlassen. »17 von ihnen arbeiten mittlerweile für Berenberg, die restlichen 8 sollen, wie ich gehört habe, zum 1. Januar dort anfangen«, sagt Heinrich Maria Schulte, persönlich haftender Gesellschafter der Wölbern Invest. »Und auf einmal will die Berenberg Invest AG geschlossene Immobilienfonds in den Niederlanden auflegen, das ist schon merkwürdig.«

Die Berenberg Invest AG hat mittlerweile beim Hamburger Landgericht eine Schutzschrift inklusive eidesstattlicher Versicherungen ehemaliger Wölbern-Invest-Mitarbeiter eingereicht, in der sie den Vorwurf unlauterer Abwerbung zurückweist. Eine angespannte Liquiditätslage und betriebsbedingte Kündigungen hätten erst zu einer Verunsicherung der Mitarbeiter und dann zu Kündigungen geführt.

Dass hinter der kollektiven Flucht aus seinem Haus mehr stecken könnte als nur eine rüde Abwerbeaktion der Konkurrenz, dämmerte Schulte erstmals Anfang Oktober. Im Schrank eines Managers, der das Unternehmen Richtung Berenberg verlassen hatte, fand sich die komplette Konzeption für eine Web-Seite der Berenberg Invest AG. Und weil der Internetauftritt zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Netz präsent war, lag der Schluss nahe, dass der Mann bereits für Berenberg gearbeitet hatte, während er noch bei Wölbern auf der Gehaltsliste stand.

Schulte beauftragte eine Anwaltskanzlei, der Sache auf den Grund zu gehen. Schon nach den ersten Recherchen erhärtete sich für Thomas Wülfing, der das Anwaltsteam koordinierte, ein schwerwiegender Verdacht: »Da wurden gezielt Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gestohlen, die nun mutmaßlich bei der Berenberg Invest AG genutzt werden.« Etwa die Liste der Wölbern-Vertriebspartner bei Genossenschaftsbanken, inklusive Anmerkungen; die Monatsberichte des Emissionshauses für das erste Halbjahr 2009 und die Wölbern-Vertragsdatenbank. All diese Dokumente haben Mitarbeiter, die später zu Berenberg wechselten, von ihren Dienstcomputern an ihre privaten E-Mail-Adressen geschickt. Ob die Daten von dort zur Berenberg Invest AG gelangten, ist unklar.

Der Beutezug der Datenkopierer, so Wülfing, »ist von kaum zu erklärender Leichtfertigkeit«. So fand sich auf dem Dienstcomputer eines abtrünnigen Managers ein Angebot der Internetagentur Sitegeist für die Berenberg-Invest-AG-Web-Seite, das er sich an seine E-Mail-Adresse bei Wölbern hatte schicken lassen.

Auch eine Assistentin, mittlerweile ebenfalls bei Berenberg tätig, agierte, als wäre ihr Computer abgeschirmt wie ein Tresor: Vier Tage nach ihrem letzten Arbeitstag bei Wölbern schickte sie nachts um 1.16 Uhr eine E-Mail an den IT-Dienstleister der Wölbern Invest: »Verdammt, wo sind die ganzen Dateien? Verträge, Facility???«

Es deute alles darauf hin, so Wülfing in der Strafanzeige, die er Ende November bei der Abteilung für Wirtschaftsstraftaten der Hamburger Staatsanwaltschaft einreichte, dass die Frau sogar nach ihrem Ausstieg noch versucht habe, »sich Geschäftsgeheimnisse zu verschaffen«.

Karsten Wehmeier, Pressesprecher der Berenberg Bank, bestreitet die Vorwürfe: »Wir haben keinen Anlass, an der Redlichkeit der Vorstände und Mitarbeiter zu zweifeln, und sprechen allen unser vollstes Vertrauen aus.«

Derweil vertrauen die Mitarbeiter offenbar noch immer auf Kontaktdatenlisten aus der Wölbern-Vorstandsetage. Anfang November bekam die Gemahlin des Wölbern-Chefs elektronische Post von einem Ex-Angestellten ihres Gatten. Dezent offerierte er wertbeständige Geldanlagen - bei der Berenberg Invest AG. GUNTHER LATSCH

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