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Elf Milliarden Reserve

Deutsche Großunternehmen verdienen besser, als sie vorgeben / Von Stefan Welzk In den dreizehn Jahren ihrer Bonner Herrschaft habe die SPD die Ertragskraft der deutschen Industrie ruiniert, verkünden Unionsparteien wie Liberale im Wahlkampf. Nur deshalb fehle es an Investitionen. Eine Analyse von Konzern-Bilanzen zeigt jedoch: Viele Großunternehmen leiden keineswegs unter Mangel an Kapital. Autor Stefan Welzk, 42, war Mitarbeiter am Max-Planck-Institut in Starnberg und arbeitet derzeit an einem Projekt über Konzernentwicklung und Wirtschaftskrise der Universitäten Konstanz und Amsterdam.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Die Wirtschaft liegt darnieder, weil die Unternehmen nicht investieren. Sie investieren nicht, weil ihnen das Geld fehlt. Das Geld fehlt ihnen, weil die hohen Löhne die Gewinne weggeschmolzen haben und die Steuerlast eines ausufernden Sozialstaates der Volkswirtschaft das Kapital verzehrt.

Also müssen die Löhne runter, die sozialen Leistungen gekappt ("auf ein vernünftiges Maß zurückgeschraubt") werden. Dann steigen die Gewinne, die Unternehmen können und werden wieder investieren. Das schafft Arbeitsplätze und damit wieder Nachfrage, und so zieht sich die Marktwirtschaft an ihren eigenen Haaren aus dem Sumpf.

Das nennt man »angebotsorientierte Wirtschaftspolitik«, und sie ist, nachdem sie die Volkswirtschaften Englands und Amerikas so eindrucksvoll ruiniert hat, endlich auch hierzulande offizielle Doktrin geworden. Sie markiert die Gutachten der fünf Weisen, und in dieser Konzeption erschöpft sich auch das wirtschaftliche Verständnis der konservativliberalen Bundesregierung.

Das gleiche Gemisch aus Laissez-faire und Einkommenskürzung soll nun den Bundesbürgern die Wohlstandsepoche zurückbringen.

»Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts«, deklamierte Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, dessen Mut zum Festhalten an gescheiterten und überholten Konzepten außer Zweifel steht.

Deshalb soll sich der Staat raushalten aus der Wirtschaft. Und deshalb ist der Bruttonominallohnanstieg auf 3,5 Prozent zu begrenzen - bei einer mit vier Prozent gewiß unterschätzten Inflationsrate. Mit verbesserter Rendite und Kapitalausstattung der Unternehmen würden dann auch die Investitionen wieder stimmen.

Doch die Grundannahmen des Modells sind falsch:

Daß es an Investitionen fehlt, ist unbestreitbar. Nur eineinhalb Prozent des Bruttosozialprodukts wurden im ersten Halbjahr 1982 für die Erweiterung von Produktionsanlagen verwendet - gegenüber fünfeinhalb Prozent in den ersten Halbjahren 1970 bis 1973.

Würde jedoch wirklich Kapitalmangel rundum die Investitionen behindern, dann müßten zum Beispiel die Chemiegiganten Bayer und Hoechst seit langem zu den Ärmsten gehören. 1979 übertraf der Wert der Sachanlagen in der chemischen Industrie den Vorkrisenstand von 1974 um zwölf Prozent. Bei den beiden Branchengrößten dagegen war er (mit 93,5 Prozent und 94,5 Prozent) deutlich unter dieses Niveau gefallen.

Ähnlich sieht es bei der Gutehoffnungshütte aus, mit 88 000 Beschäftigten Deutschlands größter Maschinenbaukonzern. Die Sachanlagen des Konzerns erreichten 1980 nicht den Wert von 1976, während die Branche hier einen Anstieg von 15 Prozent aufwies.

Zum Beweis der Ertragsschwäche wird zumeist auf die Gewinnraten verwiesen. Diese sind in der ersten Hälfte der 70er Jahre rapid gefallen und schwanken seitdem um ein kärgliches Niveau.

Die Ansicht jedoch, die ausgewiesenen Bilanzgewinne und Jahresüberschüsse der großen Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung spiegelten deren Ertragslage wider, würde in jedem bilanzwissenschaftlichen Seminar auf Belustigung stoßen.

Die Manipulationsmöglichkeiten sind zahllos. »Denn in der Tat ist die Bilanz der AGs seit den 80er Jahren (des vorigen Jahrhunderts) bis in unsere Zeit hinein zu einem perfektionierten Instrument geworden, nur soviel Gewinn in der Bilanz in Erscheinung treten zu lassen, als man glaubt, mit Rücksicht auf die Gewinnverteilung vertreten zu können«, lehrte schon 1965 der Bilanzwissenschaftler Erich Gutenberg.

Seither hat sich mit der Expansion und Internationalisierung der Konzerne dieser Manipulationsspielraum noch erweitert. Nachweislich wird in den deutschen Aktiengesellschaften der Gewinn dabei zumeist nach unten korrigiert.

Das wirkungsvollste Instrument, erwirtschaftete Überschüsse verschwinden zu lassen, sind die »Rückstellungen«.

Unter diesem Titel kann ein Unternehmen etwa für Pensionsverpflichtungen, für »drohende Verluste aus schwebenden Geschäften«, für »ungewisse Verbindlichkeiten« Gelder einbehalten und damit vor der Begehrlichkeit der Aktionäre und dem Zugriff der Steuer sichern.

Nahezu 90 Rückstellungsgründe sind üblich - für Patentverletzungen, Kulanzen, Kursrisiken, unterlassene Instandhaltungen bis zu Rückstellungen für Aufräumungsaufwand. Ob, für welchen Zweck und - mit Einschränkungen - auch in welcher Höhe hier Mittel reserviert werden, bleibt dem Ermessen der bilanzierenden Instanzen überlassen. »Die Rückstellungsbilanzierung«, so der Bilanzexperte Professor Peter Kupsch, S.81 »bietet dem Bilanzierenden ein Entscheidungsfeld, innerhalb dessen er eine nicht unbeträchtliche bilanzpolitische Aktivität entfalten kann.«

Diese »Fülle bilanzpolitischer Anreize und auch konkreter Möglichkeiten« ist in den letzten Jahren offenbar ausgiebig genutzt worden. Der Anteil von Rückstellungen an den Bilanzsummen der Industrie-Aktiengesellschaften war von 1966 bis 1973 mit 15 Prozent konstant geblieben. Bis 1980 ist er auf den Wert von 23 Prozent gestiegen.

Folglich sind beträchtliche Summen für »ungewisse Verbindlichkeiten« reservierbar gewesen: Bei BMW 33 Prozent der Bilanzsumme und bei Siemens 38 Prozent, beim Pharmakonzern Schering und bei der Daimler-Benz AG jeweils 43 Prozent der Bilanzsumme. Die Bosch GmbH verfügt inzwischen über Rückstellungen im Wert von 50 Prozent der Bilanzsumme - doppelt soviel wie das gesamte Eigenkapital der Firma. Dabei ist der entscheidende Zuwachs in den letzten vier bis sechs Jahren erfolgt.

Niemand wird im Ernst annehmen, diese Topkonzerne, Symbole der Solidität und Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, seien von »drohenden Verlusten« weit intensiver gefährdet als ein Durchschnittsunternehmen. Im Durchschnitt der gesamten verarbeitenden Industrie aber belaufen sich die Rückstellungen nur auf 17 Prozent der Bilanzsumme.

Daß bei vielen Großunternehmen in enormem Ausmaß Gewinne kaschiert, »stille Reserven« gebildet worden sind, ist evident. Dafür spricht auch alle betriebswirtschaftliche Rationalität. Zwar müssen Rückstellungen eines Tages aufgelöst und dem Jahresüberschuß zugewiesen werden, wenn die Risiken überbewertet sind. Sehr wahrscheinlich jedoch lassen sich neue »ungewisse Verbindlichkeiten« ausmachen. Mit anderen Worten, die Gelder werden nach Bedarf steuerfrei gehalten, nur die Begründungen dafür ausgetauscht.

Mehr als die Hälfte der Rückstellungen erfolgt für Betriebspensionen. »Bei großer Zahl von Versorgungsanwärtern und ausgewogener Altersstruktur stehen die Pensionsrückstellungen in berechenbarer Höhe dem Unternehmen in unbegrenzter Zeit zur Verfügung«, notiert Gabler's Wirtschaftslexikon.

Steuersätze und Begehrlichkeit der Aktionäre lassen bei großen Aktiengesellschaften im Mittel nur 10 bis 15 Prozent der ausgewiesenen Überschüsse im Unternehmen. Was jedoch gar nicht als Überschuß bilanziert wird, das kann die Hauptversammlung der Aktionäre auch nicht verteilen.

Von den Pensionsrückstellungen profitieren zweifellos die Lohnempfänger; S.82 zugleich sind sie jedoch reines Arbeitskapital. Ihre Nutzung ist kaum Beschränkungen unterworfen. Sie können beliehen werden und erweitern den Kreditspielraum des Unternehmens. Sollten sie verwirtschaftet sein, springt bei Fälligkeit der Pensions-Sicherungs-Verein der deutschen Wirtschaft ein (so im Fall der AEG mit rund zwei Milliarden Mark).

Überhöhte Gewinnraten können nicht nur die Erwartungen der Aktionäre ungebührlich steigern, sondern auch wirtschaftspolitische Konsequenzen haben. Deshalb orientieren sich die großen Aktiengesellschaften mit ihrer Bilanzpolitik am Branchendurchschnitt. Dies erklärt zum guten Teil die gewaltige Zunahme der Rückstellungen seit Beginn der Wirtschaftskrise 1974.

Bei den Auto-Konzernen erreichten nach Berechnungen von Professor Horst Albach die Pensionsrückstellungen - sogenanntes Belegschaftskapital - 1973 noch 30 Prozent, 1980 dagegen schon 91 Prozent des Eigenkapitals. Inzwischen wurden insgesamt Pensionsverpflichtungen für 134 Milliarden Mark eingegangen - das ist deutlich mehr als die Hälfte des Sachanlagevermögens der verarbeitenden Industrie.

Zweifellos haben sich die Unternehmen damit eine enorme Hypothek aufgeladen, denn diese Verpflichtungen sind bei weitem noch nicht finanziert.

Selbst jedoch wenn hier zum Zweck der Steuerersparnis langfristig die Katastrophe riskiert würde, muß das bislang schon zurückgestellte Geld erst einmal S.83 erwirtschaftet worden sein. Die Ertragslage kann sich folglich nicht so düster darstellen, wie die ausgewiesenen Gewinne es vermuten lassen.

Bei Einschätzung der Bonität eines Unternehmens werten die Banken Rückstellungen als »graues Eigenkapital«. Offiziell jedoch werden sie den Fremdmitteln zugerechnet. Nur auf diese Weise läßt sich für den Konzernbereich die verbreitete Behauptung eines bedrohlichen Rückgangs der Eigenkapitalausstattung halten.

So ist laut Bundesbankstatistik der Eigenkapitalanteil an der Bilanzsumme in der verarbeitenden Industrie von 1970 bis 1980 um vier Prozentpunkte gesunken. Im Daimler-Benz-Konzern lag dieser Rückgang sogar bei acht Prozentpunkten.

Trotzdem war das Stuttgarter Unternehmen liquide genug, in den letzten sechs Jahren zwei Milliarden Mark in kurzfristig veräußerbaren Wertpapieren anzulegen. Zugleich hat es 1981 noch dazu gereicht, den amerikanischen Schwerlastwagen-Hersteller Freightliner aufzukaufen (Kaufpreis: fast 600 Millionen Mark).

Man muß schon sehr gut bei Kasse sein, um sich mit derartigen Beträgen in einem Markt zu engagieren, der allein in zwei Jahren um 45 Prozent geschrumpft ist und wo erklärtermaßen auch zunächst noch mit weiterem kräftigem Rückgang gerechnet wird.

Mehr als vier Milliarden Mark - über ein Fünftel der Bilanzsumme von Daimler-Benz - sind zur Zeit auf Bankguthaben und in Wertpapieren angelegt. 1970 war Daimler noch mit einem Sechsundzwanzigstel derartiger »Liquiditätsreserven« ausgekommen. Offenbar fehlt es hier nicht an Kapital zum Investieren, sondern an Anlagemöglichkeiten.

Desgleichen hält der VW-Konzern mit 3,7 Milliarden 14,7 Prozent, Ford 25,2 Prozent und Bosch 18,5 Prozent der Bilanzsumme in Wertpapieren und Bankguthaben (Stand Ende 1981).

Siemens schließlich hat über fünf Milliarden Mark allein an festverzinslichen Wertpapieren auf die hohe Kante gelegt. Einschließlich der Schuldscheine und der flüssigen Mittel hält der Konzern gegenwärtig den astronomischen Wert von elf Milliarden Mark als Liquiditätsreserve. Das sind 30 Prozent seiner Bilanzsumme. Allein im letzten Geschäftsjahr nahm das Polster um 2,5 Milliarden zu.

Die Annahme, diese Konzerne würden ihre Investitionen steigern, wenn sie nur endlich mehr Kapital zur Verfügung hätten, ist folglich nicht sehr plausibel. Sie widerspricht auch aller wirtschaftlichen Vernunft und Erfahrung.

Vor langem schon hat der konservative US-Ökonom Milton Friedman darauf hingewiesen, daß Liquiditätszuwächse in der Krise die Unternehmen nicht zu Investitionen veranlassen, sondern daß diese Mittel für Zinsgewinne und Spekulationen S.86 auf dem Kapitalmarkt eingesetzt werden.

Was geschieht mit dem Geld, das die deutschen Konzerne erwirtschaften?

Es werden damit Imperien zusammengekauft. Produktive Investitionen lohnen mangels Nachfrage nicht - doch Unternehmen sind in der Krise billig zu haben.

Auf 43 Prozent ihres Sachanlagevermögens beliefen sich 1974 die Anteile der deutschen Industrie-Aktiengesellschaften an anderen Unternehmen. 1980 waren es 57 Prozent. In der Chemie stieg dieser Wert von 69 Prozent auf 87 Prozent, im Maschinenbau von 29 Prozent auf 71 Prozent.

Siemens zum Beispiel hatte 1974 neun inländische und 87 ausländische Unternehmen in seine Bilanz einbezogen. 1982 sind es 34 inländische und 131 ausländische.

Zu diesen Erwerbungen zählen Brocken wie die Kraftwerk Union (Auftragseingang 1982: 6,2 Milliarden), der Osram-Konzern mit 29 Tochtergesellschaften im In- und Ausland und die Transformatoren Union AG Stuttgart.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Deutschlands Topmanager sind entweder von verantwortungsloser Großmannssucht geritten und klauben sich internationale Industrie-Imperien auf Pump zusammen, ohne über eine solide Kapitalbasis zu verfügen. Oder die deutschen Industrie-Aktiengesellschaften erfreuen sich mehrheitlich hervorragender Erträge.

Während das Beteiligungsvermögen wächst, erfolgen im eigenen Bereich oft nicht einmal die Ersatzinvestitionen. Bei Fichtel & Sachs fiel von 1978 bis 1981 der Wert der Maschinen und Anlagen um 17 Prozent, die Beteiligungsmasse dagegen nahm um 70 Prozent zu - nahezu um den doppelten Betrag, um den der Anlagenwert zurückging.

Desgleichen hatte die Gutehoffnungshütte nicht das Geld, die Erhaltung ihres Maschinenparks zu finanzieren. Dessen Wert verminderte sich 1976-81 um hundert Millionen oder fast ein Fünftel. Zugleich haben sich die »Finanzanlagen« des Konzerns (zumeist Beteiligungen an anderen Unternehmen) mit einem Zuwachs von 385 Millionen mehr als verdoppelt.

Ob es sich um Aufkäufe handelt oder um Erweiterungen der Kapazitäten - wenn expandiert wird, dann mit Vorliebe jenseits der Grenzen.

»Das Wachstum allerdings, das wird nicht im Inland, sondern im Ausland stattfinden«, hatte beispielsweise Hoechst-Chef Rolf Sammet 1975 der »Wirtschaftswoche« anvertraut. Er hat Wort gehalten.

Befanden sich 1974 erst 33 Prozent des Sachanlagevermögens von Hoechst im Ausland, war es 1981 schon fast die Hälfte. Bei Bayer stieg der Auslandsanteil von 33 Prozent auf 44 Prozent. Beide Konzerne haben ihren Sachwertbestand im Ausland seit 1974 verdoppelt.

Daheim aber wurden nicht einmal die verschlissenen Anlagen voll ersetzt. Von 1977 bis 1981 verminderte sich der Bilanzwert des Maschinen- und Anlagenparkes bei der Bayer AG um 137 Millionen oder neun Prozent, bei der Hoechst AG gar um 256 Millionen (17 Prozent).

Während das gesamte inländische Sachanlagevermögen von Hoechst um 300 Millionen fiel, stieg es im Ausland um 1,6 Milliarden.

Ähnlich bei der Schering AG: Der Wert der Maschinen und Anlagen ging seit 1976 um fast 30 Prozent zurück. S.88 Außerhalb des Inlandkonzerns verfünffachte er sich in dieser Zeit und übertrifft nunmehr den Bestand der Muttergesellschaft.

Angeblich fördern Auslandsfertigungen die Exporte und schaffen deshalb Arbeitsplätze im Inland. Es findet sich freilich kein einziges Datum, das diesen Glaubenssatz beweist. Auch das Gegenteil ist kaum zu zeigen. Denn die notwendigen Angaben werden von den Unternehmen nicht publiziert - mit einer Ausnahme, der Daimler-Benz AG.

Fast die Hälfte der Ausfuhr des Konzerns geht nach Afrika, Australien und Asien - Gebiete, die an der Auslandserzeugung von Daimler-Benz mit nur 1,5 Prozent beteiligt sind. Vom kräftigen Exportzuwachs des Jahres 1981 entfielen mehr als vier Fünftel auf diese Region, vom Zuwachs der Auslandsproduktion - er belief sich allein in diesem Jahr auf 66 Prozent - dagegen nur zwei Prozent.

Die Erfahrungen der USA zeigen, daß Auslandsproduktionen die Inlandsbeschäftigung im Saldo zunächst kaum beeinflussen, in einer späteren Entwicklungsphase der Job-Export jedoch deutlich überwiegt.

Die Bundesrepublik befindet sich offenbar im Übergang zwischen diesen beiden Phasen. Leider fällt dieser Job-Export dann nicht, wie in den USA der 60er und frühen 70er Jahre, in eine Phase stabilen Wirtschaftswachstums, als er leidlich verkraftet werden konnte.

In der Vision eines entindustrialisierten Deutschlands erging sich denn auch unlängst Hoechst-Chef Sammet: Wo heute in Frankfurt, Leverkusen und Ludwigshafen noch Schlote, Leitungsnetze und Kesselbatterien kilometerweit S.89 die Ufer von Rhein und Main säumen, könne morgen gähnende Leere sein. Die Chemie wandere aus - vertrieben vom »industriefeindlichen Klima«.

In Frankreich sei, lamentierte Sammet, »die Energie billiger«, in Amerika würden »staatliche Mittel effizienter in die Forschung umgesetzt«, in Japan sei das Personal »von der Schulbildung her deutlich höher qualifiziert«.

In Wahrheit sind freilich eher Niedriglöhne und fehlender Kündigungsschutz die entscheidenden Vorteile des Auslandes. Nachdem zum Beispiel Krupp-Chef Wilhelm Scheider seine Belegschaft in Brasilien 1981 von 2800 auf 1600 Mitarbeiter heruntergefahren hatte, bekannte er: »Es ist neiderregend, wie reibungslos der Personalabbau dort geht.«

Welcher weltoffene Unternehmer würde da nicht vom Fernweh gepackt? Kein Wunder, daß der Zugang am Eigenkapital in den Auslandsfilialen der deutschen Wirtschaft 1977-80 immerhin 76 Prozent der inländischen Kapitalbildung erreichte, daß die verarbeitende Industrie in den letzten viereinhalb Jahren (bis Mitte 1982) etwa 25 Milliarden in den Aufkauf und Ausbau ausländischer Unternehmen gesteckt hat.

Zugleich sind seit Jahresbeginn 1980 im Saldo allein 24,2 Milliarden für Anlagen in festverzinsliche Wertpapiere ins Ausland abgeflossen. Im Inland aber fehlt wegen »Ertragsschwäche« das Geld zum Investieren.

Es ist sicher nicht mehr zu übersehen: Der Zusammenhang zwischen Erträgen und Investitionen muß wohl irgendwie anders sein als von den Liberal-Konservativen in Bonn angenommen.

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