Henrik Müller

Müllers Memo Attention, Monsieur Macron!

Der neue französische Präsident hat große Pläne für die Eurozone. Berlin ist nicht begeistert. Ein Fehler: Wir sollten Macron ernst nehmen - und einige Bedingungen formulieren.
Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Das schreibt sich so leicht: "Wir werden ein Europa bauen, das der Beschäftigung und der Wirtschaft hilft." Dazu brauche es - Achtung! - ein "Eurozonen-Budget, beschlossen durch ein Eurozonen-Parlament und umgesetzt durch ein Wirtschafts- und Finanzministerium für die Eurozone". So steht es im Wahlprogramm von Emmanuel Macron, Frankreichs neuem Präsidenten.

Dann folgen einige weitere Forderungen, darunter ein "Buy European Act", der EU-Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen bevorzugen soll; "strategische Branchen" will er vor außereuropäischen Übernahmen schützen.

Oh, là, là! Zweifellos gibt es viel zu besprechen, wenn Macron am Montag nach Berlin kommt.

Denn vieles, was ihm vorschwebt, steht im Gegensatz zur deutschen wirtschaftspolitischen Orthodoxie. Entsprechend stoßen seine Ideen hierzulande erst mal auf reflexhaften Widerstand. Nach dem Motto: Macht erst mal eure Hausaufgaben, ihr Franzosen, und lasst uns mit eurem Interventionismus in Ruhe!

Da ist natürlich was dran. Macron hat zu Hause reichlich damit zu tun, einen übergroßen öffentlichen Sektor zurückzustutzen, mit dem die Bürger unzufrieden sind, der aber von kampferprobten Gewerkschaften mit Zähnen und Klauen verteidigt wird. Reformen des Sozialstaats und des Arbeitsmarkts gehören in die nationale Verantwortung. Wohin denn sonst!

Andererseits ist Macron vielleicht die letzte Chance, Europa zu stabilisieren. Die Voraussetzungen dafür sind derzeit so günstig wie seit Langem nicht: Die EU erlebt einen ziemlich stabilen konjunkturellen Aufschwung (Dienstag gibt's neue Zahlen zum Eurozonen-Wachstum). Besser noch: Frankreich hat einen neuen Präsidenten, der mit einer dezidiert proeuropäischen Agenda einen beeindruckenden Wahlsieg errungen hat, was ihm vor einem halben Jahr wohl niemand zugetraut hätte.

So gut wird die Lage nicht bleiben. Machen wir was daraus. Und zwar jetzt!

Es ist insbesondere die Eurozone, die ein solides Fundament braucht. Wenn die gemeinsame Währung scheitert, erübrigen sich alle weiteren Integrationsprojekte. Europa stünde dann vor einem gigantischen Scherbenhaufen.

Der aktuelle Aufschwung mag darüber hinwegtäuschen, aber die Eurokrise kann schon bald zurückkehren. Der größte Unsicherheitsfaktor ist Italien. Ein Land, wo die Schulden und die Arbeitslosigkeit hoch sind, wo die Banken auf rund 350 Milliarden Euro an faulen Krediten sitzen, wo das Wachstum blutarm ist und der Frust gigantisch. Ein politischer Umschwung bei den nächsten Wahlen hin zu den antieuropäischen Protestparteien Cinque Stelle und Lega Nord könnte Italien an den Rand der Zahlungsunfähigkeit bringen und eine weltweite Finanzkrise auslösen.

Statt die Vorschläge aus Paris für den Ausbau der Eurozone instinktiv abzulehnen oder zu verschleppen - so lässt sich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im aktuellen SPIEGEL-Interview interpretieren -, sollte Deutschland darauf eingehen. Denn im Kern hat Macron recht: Die Eurozone braucht eine eigene föderale Struktur: mit Parlament, Regierung und eigenen Finanzen. Man darf gespannt sein, inwieweit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) darauf in seiner europapolitischen Grundsatzrede am Montag eingeht.

Allerdings sollte die Bundesrepublik einige Bedingungen formulieren:

Bedingung 1: Automatik - Umverteilung, die eindeutigen Regeln folgt

Jeder Währungsraum auf der Erde hat irgendeine Art von Mechanismus, der Einkommen zwischen den Regionen umverteilt. Nur die Eurozone nicht. Ein solcher Umverteilungsmechanismus muss automatisch funktionieren und klaren Regeln gehorchen. Nur dann kann er effektiv konjunkturelle Unterschiede innerhalb des Währungsraums abfedern, ohne dass ständig politischer Streit entsteht. Ohne dass sich ganze Nationen (Griechenland, Italien ist auf dem Weg dazu) arm sparen müssen, um ökonomisch wieder auf die Beine zu kommen. Und ohne dass sie hohe außenwirtschaftliche Überschüsse gegenüber dem Rest der Welt fahren müssen - ein stetes Ärgernis, eine Gefahr für die Finanzstabilität und ein Hinweis auf die Konstruktionsmängel der Währungsunion. (Neue Zahlen zur Leistungsbilanz der Eurozone gibt's Freitag.)

Eine Basis-Arbeitslosenversicherung wäre gut dafür geeignet. Länder mit guter wirtschaftlicher Entwicklung würden netto einzahlen, Länder mit schlechter Entwicklung würden netto Geld erhalten. Deutschland hätte in den Nullerjahren, als es hierzulande schlecht lief, Geld aus einem solchen Topf erhalten. Derzeit würden wir einzahlen. Die Nationalstaaten könnten eine solche Euro-Versicherung übrigens mittels eigener Einnahmen beliebig aufstocken. Deutsche Arbeitslose müssten also nicht fürchten, künftig auf lettisches Niveau herabgestuft zu werden.

Übrigens: Investitionsprogramme, wie sie sich Macron von einem Euro-Budget wünscht, braucht es auf Euro-Ebene nicht unbedingt. Dafür gibt es die Strukturfonds der EU. Wenn deren Mittel nicht reichen, sollte der EU-Haushalt aufgestockt oder umgebaut werden. Weitere Programme daneben zu schaffen, die im Prinzip das Gleiche tun, ist Unfug.

Bedingung 2: Klarheit - das Prinzip Verantwortung

Wenn eine weitere staatliche Schicht - neben der nationalen und der EU-Ebene - hinzukommt, muss eindeutig geklärt sein, wer für was zuständig ist. Kurz: Das System muss einfach und verständlich sein. Die Bürger müssen nachvollziehen können, wie Entscheidungen getroffen werden. Bisher ist das auf europäischer Ebene nicht der Fall.

Also: Die Eurozone bekäme ein eigenes Parlament, gewählt in einem eigenen Wahlgang. Womöglich würden sich grenzüberschreitende Euro-Parteien herausbilden, die sich auf wirtschaftspolitische Eurothemen spezialisieren. Das EU-Parlament müsste allerdings in Fragen, die die Währungsunion betreffen, seine (schmalen) Kompetenzen abgeben.

Auch der Euro-Wirtschafts- und Finanzminister, der Macron vorschwebt, müsste klar aus der EU-Kommission herausgetrennt werden. Ein Großteil der Kompetenzen, die derzeit bei EU-Kommissar Pierre Moscovici und Vizepräsident Valdis Dombrovskis liegen, wären dann künftig auf der Euro-Ebene angesiedelt, ebenso wie große Teile der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen.

Wenn die Verantwortlichkeiten der Aufgaben und Ausgaben geklärt sind, braucht die Eurozonen-Ebene eigene Einnahmen. Eignen würde sich beispielsweise ein Zuschlag auf die Mehrwertsteuer, die ohnehin schon halbwegs vereinheitlicht ist in der EU. Auch eine begrenzte Verschuldung könnte man der Eurozone erlauben, also die Ausgabe von Eurobonds, die wiederum Banken im Euroraum als Sicherheiten nutzen können und sich so unabhängiger von der Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten machen könnten, was das Finanzsystem dauerhaft stabilisieren würde.

Ganz wichtig: Für diese Schulden muss allein die Euro-Ebene geradestehen, keinesfalls die Mitgliedstaaten oder die EZB. Um die Gesamtverschuldung nicht in die Höhe zu treiben, sollten die Nationalstaaten ihre Schulden in dem Maße zurückführen, wie die Euro-Ebene ihre Verschuldung steigert - was eine erhebliche Verschärfung der existierenden Budget-Regeln ("Stabilitätspakt") wäre.

Das Eurozonen-Parlament müsste auch Kontrolle ausüben beim Überwachungsverfahren der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer ("Europäisches Semester") und beim Rettungsfonds ESM, der dann zu einer Gemeinschaftsinstitution würde. Beides wird bislang von den Finanzministern der 19 Eurostaaten gelenkt. Nun könnte endlich eine Vertretung der Euro-Bürger mitreden.

Bedingung 3: Einheitlichkeit - überall die gleichen Regeln

Was immer auf Eurozonen-Ebene entschieden wird, es muss einheitlich in der Eurozone angewandt werden - nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich in der Realität. Man wird deshalb kaum umhinkommen, eigene Eurozonen-Behörden überall in den 19 Ländern aufzubauen, wo Euro-Beamte tätig sind, die die Mittel von Eurozonen-Programmen vergeben und die Euro-Steuern eintreiben. Diese Behörden wiederum müssten effektiv beaufsichtigt werden durch einen Euro-Rechnungshof und das Euro-Parlament.

Das deutsche Prinzip der "Bundesauftragsverwaltung", bei der die Länder im Auftrag des Bundes hoheitliche Aufgaben wahrnehmen, ist im internationalen Vergleich sehr ungewöhnlich. Auf Euro-Ebene wird es kaum funktionieren. Entsprechend braucht es ein leichtes, aber flächendeckendes Behördennetz.

Fazit: Es geht um die Teilabschaffung der EU und der Nationalstaaten

Man darf sich nichts vormachen: Eine derart vertiefte Eurozone würde die EU teilweise abschaffen und auch die Spielräume der Mitgliedstaaten weiter einengen. Sie hätte viel mehr Macht als die heutige EU, weil sie über eigenes Geld verfügen und in praktisch alle wirtschaftspolitischen Fragen der Mitgliedstaaten hineinregieren würde. Umso wichtiger, dass die Kompetenzen der Euroebene klar umrissen sind - dass man nicht mit vagen Kompromissen in eine neue Ära hineinstolpert. Umso wichtiger auch, dass eine Demokratie-Infrastruktur entsteht, durch die eine europäische Leitkultur verankert werden kann.

Die Wahlkämpfer in Paris und Berlin sollten es den Bürgern klar sagen: Die Eurozone würde zu einer echten Währungsunion ausgebaut. Nationale Souveränität würde mehr und mehr zur bloßen Fiktion staatlicher Größe. Ein überfälliger Schritt. Aber er hat eben seinen Preis.

Allerdings: Auch Nichtstun hat seinen Preis - die nächste, dann womöglich letale Krise wird nicht lange auf sich warten lassen.

VIDEOANALYSE: "Montag ist Schluss mit lustig"

SPIEGEL ONLINE

Die wichtigsten Wirtschaftstermine der kommenden Woche

MONTAG

Berlin - Bonjour tristesse - Auftritt eines Superstars: Frankreichs Präsident zum Antrittsbesuch in Berlin.

Düsseldorf/Berlin - Aufarbeitung - Nach der NRW-Wahl: Zeit zum Erfolgereklamieren, Schuldzuweisen, Wundenlecken.

Essen - Aus der Defensive - Außenminister Gabriel spricht beim Politischen Forum Ruhr über die "Die Idee Europa. Politische Zukunft unseres Kontinents". Man darf gespannt sein.

Berlin - Und ewig drückt der Überschuss - Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellt seine Analyse zur Wirtschaftsentwicklung in Deutschland vor. Top-Thema seit Jahren: der Rekordüberschuss in der Leistungsbilanz.

DIENSTAG

Brüssel - Raus der Stagnation - Europas Statistiker veröffentlichen die erste Schätzung zur Entwicklung des BIP im ersten Quartal.

MITTWOCH

Berlin - Arbeiter aller Länder… - Labor20 - Im Rahmen des deutschen G20-Vorsitzes veranstaltet der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine internationale Konferenz der Arbeitnehmervertreter. Mit dabei: Merkel und Nahles.

DONNERSTAG

Bad Neuenahr - An die Arbeit! - Treffen der G20-Arbeitsminister (bis Freitag) unter deutschem Vorsitz.

Tokio - Abenomics - Wächst's wieder? Erste Schätzung zur Entwicklung des japanischen BIP im ersten Quartal 2017.

FREITAG

Frankfurt - Immer höher im Plus - Neue Zahlen zur Euro-Leistungsbilanz: Die Eurozone ist der Wirtschaftsraum mit dem höchsten außenwirtschaftlichen Überschuss weltweit.

Berlin - Gruppenbild mit Merkel - Treffen der G20-Gesundheitsminister (bis Samstag). Mit dabei: die Kanzlerin und Minister Gröhe.

Stuttgart - Grüner wird's nicht - Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) hat zum "Autogipfel" geladen. Mit dabei: Top-Leute von Daimler, Audi, Porsche, Bosch, Gewerkschafter.

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