HAUSHALT Emotionale Sperre
Ich war drei Tage in Bonn«, resümierte Karl Schiller selbstzufrieden, »habe meinen Leuten genug zu rechnen aufgegeben und fahre jetzt vorsichtshalber für 14 Tage hinter das, was man früher den Eisernen Vorhang nannte.«
Als Willy Brandts Wirtschafts- und Finanzminister am Mittwoch letzter Woche zu einem Zwei-Wochen-Trip nach Ungarn und Rumänien aufbrach -»weil wir sparen müssen«, verzichtete er entgegen seinen Gewohnheiten diesmal auf einen eigens gecharterten Jet -, hatte er gemeinsam mit seinem Finanzstaatssekretär Hans Hermsdorf den Konfliktkalender des Kabinetts für den Herbst programmiert. Denn auch nach »drei Tagen harter Arbeit« (Schiller), die der Minister zwischen seinem Urlaub im Tessin und seinem Aufbruch gen Osten einlegte, war es ihm noch immer nicht gelungen, die Ausgabenwünsche seiner Kabinettskollegen auf jenes Maß zusammenzustreichen, das dem Konjunkturlenker geboten scheint.
Da die Preise unvermindert heftig steigen -- das von der Wirtschaft finanzierte Deutsche Industrieinstitut sagte jüngst für das zweite Halbjahr 1971 eine Inflationsrate von sechs Prozent voraus -, will Schiller die Kollegen zu weitgehenden Abstrichen am Reformprogramm der Regierung zwingen. Ein maßvoll steigendes Budget und vergleichsweise dürftige Staatsaufträge sollen endlich die Teuerung bremsen. insgesamt darf sich der Bund nach seiner Analyse nur acht Prozent Etatzuwachs genehmigen und seinen Haushalt von 99 auf höchstens 107 Milliarden Mark aufstocken.
Doch trotz aller Appelle und Streichversuche des Schiller-Helfers Hermsdorf fand sich die Kabinettsrunde nicht bereit, dem Rat des Doppelministers zu folgen: Noch immer fordern die Herren sechs Milliarden Mark zuviel.
Zwei traditionelle Schiller-Widersacher führen die unnachgiebigen Petenten an. Verteidigungsminister Helmut Schmidt besteht zugunsten seiner Bundeswehr auf mehr Geld. Neben gestiegenen Personalkosten verschlingen kostspielige Rüstungsprojekte (allein das Kampfflugzeug »Phantom« kostet bis 1975 etwa 6,4 Milliarden) immer mehr Steuer-Milliarden.
Selbst Schiller räumt freilich ein, der Oberbefehlshaber Schmidt lasse es an Konzessionsbereitschaft und Kooperationswillen nicht fehlen·. »Da sind es die sachlichen Schwierigkeiten.«
Beim Kollegen Leber vermuten enge Schiller-Vertraute indes »vor allem emotionale Sperren«. Erst vor wenigen Wochen waren die beiden Intimfeinde wegen der politisch belanglosen Reform der Kraftfahrzeugsteuer aneinandergeraten: Nach öffentlichen Angriffen Lebers hatte Schiller dem Kanzler seinen Rücktritt angeboten und gedroht, er werde internationale Verpflichtungen so lange nicht wahrnehmen, wie es dem Verkehrsminister gestattet sei, gegen ihn zu agitieren.
Auch nachdem der Konflikt notdürftig gekittet war, kamen sich die Herren nicht näher. Leber will für seine beiden Monopolbetriebe Bahn und Post noch für dieses Jahr hohe Staatszuschüsse eintreiben. Denn »der größte Unternehmer Westeuropas« (Ex-Gewerkschafter Leber über sich selbst), der einst Leistungskraft und Zukunftschancen der Staatsbetriebe gern rühmte, hat nicht verhindern können, daß neben der Bahn nun auch die früher rentierliche Post ins Defizit abgewandert ist.
Da die Barschecks aus Bonn kaum ausreichen werden, plant Leber überdies, sich vom Kabinett zum zweitenmal in diesem Jahr höhere Tarife und Gebühren für Bahn und Post genehmigen zu lassen. Und wie bei der ersten Preisrunde wird er mit dem hartnäckigen Widerstand des auf Preisstabilität fixierten Schiller rechnen müssen: »Wir werden erst in Ruhe prüfen müssen, wie sich bei der Post die erste Gebührenerhöhung, die ja teilweise noch nicht einmal in Kraft getreten ist, auswirkt.«
Noch erbitterter werden Verkehrs- und Finanzminister über Mineralölsteuer und Straßenbau rangeln. Mit einer Benzinsteuer-Erhöhung um sechs Pfennig je Liter (davon zwei Pfennig für die Gemeinden) im nächsten Jahr und weiteren vier Pfennig 1974 will Leber den -- nach Expertenurteil verkehrspolitisch verfehlten und ohnehin aussichtslosen -- Wettlauf mit der Motorisierung fortsetzen. Schiller dagegen mag sich für 1974 noch nicht binden. 1972 aber sollte nach seiner Meinung die ergiebige Mineralölsteuer nicht länger ausschließlich in Autobahnen investiert werden, sondern stärker als bisher den Nahverkehrssystemen zugute kommen.
Will Doppelminister Schiller gegen Schmidt, Leber und andere Großverbraucher bestehen, muß der Finanzminister freilich zunächst den Wirtschaftsminister disziplinieren. Denn noch immer ist der Mini-Etat des früheren Wirtschaftsministeriums (1971: rund 1,4 Milliarden Mark) um etwa 20 Prozent zu hoch. Zuschüsse für die chronisch kranke Ruhrkohle AG, die Schiller vor drei Jahren gründete, um den Kohlenbergbau endlich zu sanieren, und neue Forderungen der Luftfahrtindustrie machen es Schiller schwer, ein Beispiel an Sparsamkeit vorzuführen.
Selbst Wirtschaftssekretär Detlev Karsten Rohwedder weiß noch nicht, wie sein Dienstherr sich im Konflikt mit sich selber entscheiden wird: »Wenn im September die Entscheidungen fallen, wird es für uns kein Wonne- und Wundermonat.«