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USA Ende der Reaganomics

Nun also doch: Amerikas Präsident Bush muß die Steuern erhöhen.
aus DER SPIEGEL 27/1990

Ich sagte die Wahrheit«, beklagte sich Michael Dukakis, Wahlverlierer im Präsidentschaftsrennen von 1988, »und zahlte den Preis dafür.«

Der Demokrat aus Massachusetts hatte schon damals Steuererhöhungen wegen des US-Haushaltsdefizits für unausweichlich erklärt. Der Republikaner George Bush dagegen war mit dem dreisten Spruch »Lesen Sie es von meinen Lippen: keine neuen Steuern« in den Wahlkampf gezogen und hatte gewonnen.

Der Spruch, das wußten nach Umfragen der Washington Post schon vier Tage nach der Wahl 67 Prozent der Wähler, war ein leeres Versprechen. Am Dienstag vergangener Woche ist George Bush von der Wirklichkeit eingeholt worden.

Nach einem Gespräch mit den Abgeordneten der Demokratischen Partei verkündete der Präsident: »Mir ist klar, daß beides zusammen, die Höhe des Defizits und die Notwendigkeit, das Budgetgesetz durchzubringen, höhere Steuereinnahmen erfordert.«

Durch die Reihen der Republikaner, die mit der bewährten Anti-Steuer-Ideologie auch wieder die Herbstwahlen für Senat und Repräsentantenhaus bestreiten wollten, fuhr ein Schock. »Da sind viele Leute«, höhnte Demokraten-Sprecher Michael McCurry, »die ihren ganzen Wahlkampf darauf gebaut haben.«

Bush, bei den Ultrarechten seiner Partei längst als ideologisch unzuverlässig enttarnt, hat keine andere Wahl. Zu grauenhaft ist das Finanzchaos, das ihm der Vorgänger Ronald Reagan mit seiner auf Schulden gebauten Ausgabenpolitik hinterlassen hat.

Reagan war mit der Geisterformel Steuersenkungen plus Ausgabenerhöhungen gleich Hochkonjunktur an die Macht gekommen, und er hatte sich mit der gleichen Botschaft auch wieder verabschiedet. George Bush hatte dieses Denkmodell zutreffend Voodoo-Wirtschaftspolitik genannt, als er noch nicht Reagans Vizepräsident war.

Reagans Voodoo-Tänze haben den US-Bundeshaushalt von zwei Seiten her zertrampelt: *___Einkommen und Vermögen verschoben sich so weit in ____Richtung der Betuchten, daß die für den Staatshaushalt ____entscheidende Steuerkraft der Mittelklasse nachließ. ____Die Folge: 1990 werden weniger Einkommensteuern ____kassiert als veranschlagt. *___Das zunehmende Mißverhältnis zwischen Einnahmen und ____Ausgaben schob die Bundesschulden von rund 900 ____Milliarden Dollar 1980 auf weit über drei Billionen ____(dreimal tausend Milliarden). Die Folge: Staatliche ____Zinszahlungen blockieren nun den Haushalt total.

Daneben sitzt der US-Staat noch auf weiteren milliardenschweren Verbindlichkeiten, die Washington von angeschlagenen Spar- und Hypothekenbanken übernommen hat.

Die Sparbanken hatten zur Reagan-Zeit ihre bis dahin strengen Finanzierungsregeln abstreifen können und sich danach in heillose Finanzabenteuer begeben. Um zu verhindern, daß der Kollaps dieser Banken die gesamte amerikanische Kreditbranche infiziert, hatten Bush und sein Finanzminister Nicolas Brady schon Anfang 1989 ein umfassendes Rettungsprogramm beschlossen.

Inzwischen gelten nur noch 40 Prozent dieser Institute als finanziell ungefährdet. Die Sanierung oder Liquidierung der anderen wird den Staat zwischen 400 und 500 Milliarden Dollar kosten. Allein 75 Milliarden davon sind im kommenden Haushaltsjahr fällig.

Unangenehm für die Bush-Regierung war zudem, daß Amerikas Wirtschaft hinter den optimistischen Schätzungen zurückbleibt, die Budgetdirektor Richard Darman und der Wirtschaftsberater Michael Boskin angestellt hatten. Das Resultat: Die Einnahmen stagnierten, die Ausgaben explodierten, das geschätzte Jahresdefizit für den nächsten Etat kletterte auf 160 Milliarden Dollar, ohne die 75 Milliarden für die Sparkassen, die nicht im Haushalt stehen.

Zulässig sind nur 64 Milliarden. Diese Grenze wird durch ein Gesetz vorgegeben, das die Abgeordneten Gramm, Rudman und Hollings 1985 durchsetzten. Wenn diese Summe überschritten wird, ist der Staat verpflichtet, bestimmte Ausgabenposten im Budget ohne Wertung linear zu kürzen.

Die Bush-Regierung liegt mithin um knapp 100 Milliarden Dollar über dem Limit. Schafft Bush bis zum neuen Haushaltsjahr keinen Kompromiß, müßten 50 Prozent jener Etatlücke vom Verteidigungshaushalt gekappt werden, den Rest müßten die anderen Ministerien decken. Keine neuen Steuern?

Der Präsident erkannte, daß seine einzige echte Option Steuererhöhungen sind. Das wiederum bedeutet nicht nur das Ende der Reaganomics. Gescheitert ist damit auch der Plan, die US-Wirtschaft in eine neue, bessere Zeit hineinzusteuern - ohne Steuererhöhungen, ohne Rezession und ohne Inflation. Diesen Plan hatte sein Erfinder Michael Boskin in Bushs Wirtschaftskabinett zur Nach-Reagan-Ideologie befördert.

Nun drängt der Kongreß den Präsidenten zur Erhöhung des Spitzen-Einkommensteuersatzes von 28 auf 33 Prozent und zur Anhebung von Steuern auf Verbrauchsgüter. So drohen dem US-Bürger höhere Belastungen auf Öl-Importe, Benzin, Tabak und Alkohol.

Beifall erhält George Bush nun vorwiegend von der falschen Seite. »Ich applaudiere dem Präsidenten«, bekundet New Yorks demokratischer Gouverneur Mario Cuomo mit einem satten Unterton von Spott, »daß er vor das amerikanische Volk tritt und ihm die Wahrheit sagt.«

Die Wahrheit, mit der Michael Dukakis im November 1988 gegen Bush verloren hatte.

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