Zur Ausgabe
Artikel 18 / 63

BELGIEN Ende vom Traum

Belgien, 20 Jahre lang Dorado für Auslandsfirmen, verliert seinen Reiz: Nach manchen Mißerfolgen ziehen etliche Unternehmen wieder ab.
aus DER SPIEGEL 1/1977

In der Subventionsschlacht«, so grämten sich noch vor kurzem die Wettbewerbshüter der Brüsseler EG-Kommission, »ist Belgien einsame Spitze.«

Wie kein anderer Partner im europäischen Wirtschaftsklub verstanden es die Belgier, mit massiven Staatshilfen Auslandsinvestoren ins Land zu locken. Und schon bald galt das Königreich wegen seiner Lage im Herzen Westeuropas gerade für amerikanische Planungsstrategen als der natürliche Brückenkopf für die Eroberung des europäischen Marktes.

Brüssel und vor allem die flämischen Regionen machten Amerikanern, aber auch den europäischen Nachbarn den Entschluß leicht, sich in Belgien niederzulassen: Neben direkten Zuschüssen gewährten sie alle möglichen versteckten Subventionen, wie beispielsweise beschleunigte Abschreibung von Baukosten, verbilligte Grundstücke und Teilübernahme der Kosten für die Ausbildung von Facharbeitern.

Zwischen 1959 und 1975 gründeten die Ausländer fast 1100 neue Gesellschaften. Mit ihren Firmen brachten die Investoren 180 Milliarden belgische Franc (zum heutigen Kurs knapp zwölf Milliarden Mark) ins Land und schafften fast 100 000 neue Arbeitsplätze. Gut die Hälfte des Investitionskapitals stellten US-Unternehmen.

Doch Ölkrise und Weltrezession beendeten den Traum der Belgier vom immer schneller investierten Fremdgeld. Unversehens verlor das einst verheißungsvolle Land seine Anziehungskraft.

Denn die automatische Bindung der Löhne an die steigenden Kosten der Lebenshaltung machte Belgien zu einem Land mit extrem hohen Arbeitskosten. Inflationsraten von zeitweilig über zehn Prozent, astronomische Mieten für Büros und Privatwohnungen zwingen mittlerweile die Ausländer dazu, zweimal zu rechnen, ob die rasch steigenden Kosten nicht die von den Belgiern gewährten Vorteile aufzehren.

Über 53 ausländische Gesellschaften gaben zwischen 1973 und 1975 in Belgien auf, so etwa der US-Büromaschinen-Hersteller Burroughs, das

Karosseriebau-Unternehmen Bus and Car und Metallverarbeiter Xaloy. Auch die belgische Tochter des Siemens-Konzerns schloß ein Werk. Tausende Arbeiter verloren durch den Auszug der Ausländer ihren Job.

Und neue Investoren sind kaum in Sicht. Denn, so bescheinigte Richard L. Thomas, Präsident der First National Bank of Chicago: »Das Klima hier ist unattraktiv.«

Allerdings, auch schlechtes, meist amerikanisches Management ist zumindest mitschuldig an einigen Flops der letzten Jahre.

So wies die Brüsseler Zeitung »De Standaard« einigen von US-Kapital beherrschten Firmen krasse Fehler in der Unternehmensführung nach.

Der US-Kaufhaus- und Versand-Gigant Sears, Roebuck and Co. beispielsweise hatte 1971 das Brüsseler Kaufhaus Galeries Anspach erstanden, Doch nach nur vier Jahren US-Leitung stand das Kaufhaus im Zentrum der belgischen Hauptstadt am Rand des Ruins. Galeries Anspach verliert derzeit täglich rund 60 000 Mark.

Kaum glücklicher operierte der US-Elektrokonzern Westinghouse in Belgien. Sechs Jahre nachdem die Amerikaner 66,6 Prozent des Kapitals der belgischen Gesellschaft Acec aufkauften, wollen die Amerikaner ihre bisherige Aktienmehrheit auf 20 Prozent reduzieren. Wegen schlechter Erträge mußte die Firma in Jahresfrist ihre Belegschaft von 14 700 auf 9700 verringern.

Mit erstaunlicher Naivität hatte der amerikanische Brauerei-Riese Schlitz versucht, in Europa Geld zu machen. Der Versuch endete nach zwei Anläufen mit einem »vollständigen Fehlschlag« ("De Standaard").

Die amerikanischen Bierbrauer hatten 1968 die Brauerei Ghlin nahe dem wallonischen Mons gekauft. Jetzt möchte Schlitz für jede seiner Aktien nur noch symbolisch einen belgischen Franc (rund 6,5 Pfennig). Die Brauerei nämlich hat den Amerikanern Verluste von rund 26 Millionen Mark eingebracht.

Der Grund für das Minusgeschäft: Die Amerikaner hatten übersehen, daß in Belgien nur der sein Bier erfolgreich absetzen kann, der auch über eigene Gaststätten verfügt.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 63
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren