Energiekrise Strompreis schnellt auf Rekordhoch

Die Preisjagd an den Strombörsen wird Deutschlands Verbraucher noch härter treffen. Schon jetzt ist Elektrizität für sie so teuer wie nie zuvor. Hunderte Versorger kündigen weitere Tarifanhebungen an.
Kohlekraftwerk Gelsenkirchen-Schloven: Die Meiler produzieren gerade wieder viel Strom – wegen Windflaute und hoher Gaspreise

Kohlekraftwerk Gelsenkirchen-Schloven: Die Meiler produzieren gerade wieder viel Strom – wegen Windflaute und hoher Gaspreise

Foto: Jochen Tack / IMAGO

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Immer höhere Kosten für fossile Brennstoffe und Emissionsrechte sowie schwache Erträge von Windparks sorgen für Preisrekorde an Europas Strommärkten.

Am Dienstag stieg der richtungsweisende Terminkontrakt für Grundlaststrom zur Lieferung im nächsten Jahr an der Leipziger Energiebörse EEX über 160 Euro je Megawattstunde. Das entspricht gut 16 Cent je Kilowattstunde – und das sind rund 300 Prozent mehr als im Herbst 2020.

Damit kommen erhebliche Mehrkosten auf Deutschlands Stromverbraucher zu: auf die Industrie wie auch auf die Endkonsumenten.

»Der hohe Strompreis ergibt sich aus den hohen Brennstoffpreisen und hohen CO₂-Preisen«

Schon jetzt ist Strom für private Haushalte so teuer wie nie zuvor. Durchschnittlich 34,64 Cent kostet eine Kilowattstunde laut dem Verbraucherpreisindex des Vergleichsportals Verivox. Das sind rund 22 Prozent mehr als vor Jahresfrist. Für einen Durchschnittshaushalt mit 4000 Kilowattstunden Verbrauch per annum bedeutet das eine Verteuerung um rund 250 Euro.

Und der nächste Preisschub ist schon in Sicht. Laut Verivox wollen mindestens 260 Versorger ihre Stromtarife im Januar erhöhen: im Schnitt um 7,1 Prozent – trotz der geringeren EEG-Umlage.

Die EEG-Umlage zum Ausbau erneuerbarer Energien soll zum Jahreswechsel von 6,5 auf 3,7 Cent je Kilowattstunde abgesenkt werden – und Anfang 2023 laut dem Koalitionsvertrag der Ampelparteien dann komplett entfallen.

Podcast Cover

Doch die hochschießenden Großhandels-Einkaufspreise überkompensieren die niedrigere EEG-Umlage. Seit Anfang November hat sich der Stromterminkontakt in Leipzig für 2022 nochmals um mehr als 50 Prozent verteuert.

»Der hohe Strompreis ergibt sich aus den hohen Brennstoffpreisen und hohen CO₂-Preisen«, sagt Hanns Koenig, Marktexperte beim Beratungshaus Aurora Energy Research, dem SPIEGEL.

Wenig Wind, viel Kohle

Für diese Hausse verantwortlich ist das Zusammenspiel mehrerer Faktoren – angefangen mit dem Wetter.

Da derzeit wenig Wind weht, liefern die Windanlagen weniger Elektrizität als üblich; Solarstrom ist im Dezember in hiesigen Breiten ohnehin Mangelware.

Dies führt gerade zu einem kleinen Kohleboom. Laut dem Portal Energy Charts des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme wird hierzulande dieser Tage mehr Strom durch Braun- und Steinkohlekraftwerke erzeugt als durch sämtliche Ökostromanlagen zusammen.

Dabei ist auch Kohlestrom zurzeit richtig teuer:

  • Zum einen sind die Brennstoffkosten extrem hoch. Schließlich sind die Weltmarktpreise für Steinkohle in den vergangenen anderthalb Jahren stark gestiegen – und trotz eines kürzlichen Preisverfalls liegen sie noch weit über langjährigen Niveaus.

  • Zum anderen sind die Kosten für die Verschmutzungsrechte höher denn je. Diese Emissionszertifikate müssen alle Stromerzeuger in der EU vorweisen, wenn sie Kohlendioxid (CO₂) ausstoßen. Da bei der Kohleverstromung besonders viel CO₂ emittiert wird, steigt der Bedarf nach Emissionszertifikaten.

Die höhere Nachfrage und Spekulation treiben den Zertifikatepreis ebenfalls immer weiter nach oben. Am Dienstag lag er erstmals bei mehr als 80 Euro je Tonne.

Trotzdem ist Kohlestrom vergleichsweise günstig – jedenfalls gegenüber Elektrizität aus Gaskraftwerken. Denn deren Brennstoffkosten sind in den vergangenen anderthalb Jahren noch stärker gestiegen. Und gerade ziehen sie wieder kräftig an.

Am europäischen Erdgas-Referenzmarkt TTF kostete eine Megawattstunde Erdgas am Dienstag rund 95 Euro, das sind fast 30 Euro mehr als Anfang November. Die Sorge wächst vor einem möglichen Gasengpass gegen Ende des Winters und vor einem militärischen Konflikt im Osten.

»An den Gasmärkten wird ein gewisses Risiko einer Eskalation in der Ukraine eingepreist«, sagt Experte Koenig. Russland hat Zehntausende Soldaten an der Grenze zum Nachbarland aufmarschieren lassen.

Ohnehin schickt Deutschlands wichtigster Erdgaslieferant zurzeit nur wenig Gas gen Westen. Und die Bundesnetzagentur hat die Zertifizierung der Nord-Stream-2-Pipeline vorerst auf Eis gelegt. Hunderte Gasversorger in Deutschland haben angesichts der drastischen Verteuerung im Großhandel ihre Endkundentarife angezogen, teils sogar verdoppelt oder verdreifacht.

Schon jetzt gehört Deutschland zu den Industrienationen mit den höchsten Strompreisen für Privathaushalte.

»Wenn die Entwicklung an den Strom- und Gasmärkten länger anhalten sollte, wird das ein Politikum«, sagt Koenig.

In Frankreich, Spanien und Italien versuchen Regierungen neuerdings, die Energiekosten einzudämmen: mit kurzfristigen Preismoratorien, Steuernachlässen und Subventionen. Von der künftigen Berliner Ampelkoalition sind, abgesehen von der EEG-Umlage, bisher keine derartigen Pläne bekannt.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

Abonnieren bei

Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.

Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten