Energiewirtschaft in Deutschland CO₂-Ziel verfehlt, Ausbau der Erneuerbaren stockt

Windrad mit beschädigten Rotorblättern
Foto: Bernd Thissen/ dpaDie jüngsten Ausschreibungen des Bundes für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland sind auf sehr verhaltenes Interesse bei möglichen Investoren gestoßen. So wollte die Bundesnetzagentur ursprünglich neue Windparks an Land mit einer Gesamtkapazität von 1190 Megawatt (MW) ausschreiben. Die Behörde hat das Volumen schon auf 604 MW reduziert. Trotzdem sind nur Gebote über etwa 203 MW eingegangen, wie die Netzagentur am Dienstag mitgeteilt hat.
Das ist nun schon die dritte Windausschreibung in Folge, die unterzeichnet ist. Das bedeutet, dass der Ausbau von Windkraftanlagen auf absehbare Zeit hinter den Erwartungen zurückbleiben dürfte.
Und nicht nur bei Windenergie hapert es: Zugleich wollte der Bund neue Solaranlagen auf Gebäuden und Lärmschutzwänden mit einer Kapazität von 202 MW ausschreiben. Doch es sind nur Gebote über 128 MW eingegangen.
Windkraftfirmen klagen seit Jahren über steigende Rohstoffpreise, stockende Lieferketten und die bürokratischen Prozesse beim Bau neuer Anlagen – und halten sich entsprechend mit Investitionen zurück. Der Ausbau erneuerbarer Energien hinkt allerdings dem politisch gewünschten weit hinterher. Die hohe Inflation und steigende Kreditzinsen haben die Lage für die Firmen in diesem Jahr abermals verschärft .
Der Bund hat das Problem mittlerweile erkannt. »Wir schaffen aktuell neue Rahmenbedingungen für erfolgreichere Ausschreibungen im nächsten Jahr«, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. So hat der Bundestag beschlossen, dass die Agentur die Höchstwerte in den Ausschreibungen anheben darf, um die Investitionen für die Firmen attraktiver zu machen. Diese Kompetenzen wolle man »nach den erforderlichen Prüfungen schnellstmöglich« nutzen, so Müller.
»Wirtschaftlich nicht abbildbar«
»Die geringe Anzahl der eingereichten Gebote zeigt eine Zurückhaltung, die dringend beendet werden muss«, sagt Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des Fachverbands VDMA Power Systems, der beispielsweise Windanlagenbauer vertritt. »Diese Unsicherheit des Marktes gefährdet den künftigen Zubau von Onshore-Windenergie«, so Rendschmidt. »Kostensteigerungen und Zinsentwicklung führen dazu, dass Projekte mit dem bisher gültigen Höchstwert wirtschaftlich nicht abbildbar sind.«
Die Probleme spiegeln sich in der Bilanz der Energiewirtschaft. Laut einer ersten Berechnung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) für das laufende Jahr wird der Sektor in diesem Jahr 260 Millionen Tonnen CO₂ emittieren – die Werte für die verbleibenden Tage des Jahres sind Schätzungen. Das ist ein höherer Treibhausgasausstoß als dem Sektor gesetzlich erlaubt ist. Die Energiewirtschaft wird also ihr Sektorziel verfehlen, was im vergangenen Jahr auch im Gebäudebereich und im Verkehrssektor der Fall war.
Zwar wird in Deutschland in diesem Jahr 44,6 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen, eine Steigerung um vier Prozentpunkte im Vergleich zum vergangenen Jahr. Aber auch der Anteil der besonders klimabelastenden Kohleverstromung werde von 28,5 Prozent auf 31,9 Prozent steigen.
Hinter der Entwicklung stehen der fortschreitende Atomausstieg sowie der kriegsbedingte Ausfall russischer Gaslieferungen: Die letzten drei Kernkraftwerke werden in diesem Jahr noch sechs Prozent der Stromerzeugung in Deutschland ausmachen, prognostiziert der BDEW, im Vorjahr waren es mit sechs Atommeilern noch knapp zwölf Prozent. Und von Gaskraftwerken werden in diesem Jahr noch 13,5 Prozent der Stromerzeugung stammen; 2021 waren es noch 15,4 Prozent.
Eine Folge dieser Verschiebungen: Die CO2-Emissionen der Energiewirtschaft steigen gegen den langjährigen Trend. Im Vergleich zum Referenzjahr 1990 bedeuten 260 Millionen Tonnen CO2 zwar 44 Prozent niedrigere Emissionen – das Ziel für die Energiewirtschaft lag für dieses Jahr aber bei 45 Prozent oder 257 Millionen Tonnen CO2. »Diese Entwicklung ist für das Klima natürlich ein Rückschritt«, sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des BDEW. »Wir müssen deshalb alles tun, um so schnell wie möglich wieder in die Spur zu kommen.«