Entlassung wegen 1,30 Euro "Emmely" darf weiter kämpfen

Nun entscheidet die nächste Instanz: Überraschend hat das Bundesarbeitsgericht eine Revision im Fall "Emmely" zugelassen - die Kassiererin soll zwei Pfandbons unterschlagen haben, wurde darum fristlos gefeuert. Für sie und eine ganze Unterstützer-Schar geht es längst um mehr als 1,30 Euro.

Hamburg - Es war eine Kleinigkeit, mit der einer der meistbeachteten Arbeitsrechtsprozesse der Republik begann: Genau 1,30 Euro waren es, die Barbara E. den Job gekostet haben. So viel waren die zwei Pfandbons wert, die sie unterschlagen haben soll - sie standen gegen 31 Jahre, die die dreifache Mutter in einem Supermarkt in Berlin-Hohenschönhausen gearbeitet hat. Und sie sind der Anlass für den Fall, der nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes jetzt erneut aufgerollt wird.

Der Betreiber des Supermarkts, die Kette Kaiser's-Tengelmann, machte "immensen Vertrauensverlust" geltend. Dieser setzt den Kündigungsschutz außer Kraft. Kaiser's unterschätzte aber die Hartnäckigkeit der geschassten Kassiererin.

Barbara E. wurde arbeitslos, musste Hartz IV beantragen und zog vor das Gericht. Aus Barbara E. wurde der "Fall Emmely", aus einer einfachen Supermarktangestellten eine in den Augen vieler zu Unrecht entlassene Angestellte. Und das zu einer Zeit, in der die Hypo Real Estate vom Staat mit Milliarden gerettet wurde und Post-Chef Klaus Zumwinkel wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe aus seiner Villa abgeführt wurde.

Schnell kam der Verdacht auf, dass die Supermarktkette vor allem eines wollte: eine unbequeme Mitarbeiterin loswerden. Eine, die Gewerkschaftsmitglied ist, die in ihrer Filiale im Vorjahr einen Streik angeführt und die Mitarbeiter mobilisiert hatte. Die bis zuletzt gegen die Streichung von Schichtzulagen und für bessere Verträge gekämpft hatte. Emmely sagte Sätze wie: Es sei doch ihr "gutes Recht, für eine gute Bezahlung zu kämpfen".

Erste Instanz hielt Kündigung für rechtens

Der Fall sorgt für Empörung und für Wut, es geht um die da oben und die da unten, um Fairness und Verhältnismäßigkeit. Doch das interessiert das Arbeitsgericht nicht. Es entscheidet im August 2008 gegen die Arbeitnehmerin. Die Verdachtskündigung sei rechtens gewesen - zumal Zeugen den Verdacht bestätigten. Dazu kommt: Emmely soll falsche Angaben gemacht und eine Mitarbeiterin beschuldigt haben, um sich selber zu entlasten.

Doch Emmely ist nicht mehr allein. Inzwischen haben sich Mitstreiter gefunden. "Solidarität mit Emmely" nennt sich das Komitee aus gewerkschaftlich Engagierten, älteren Betriebsräten und jungen Globalisierungskritikern. Sie haben den Streik im Einzelhandel unterstützt, daher kennen sie Emmely. Laut Sprecher Dirk Nowak hat Emmely nicht gelogen, nur nach einer Erklärung für die abgerechneten Pfandbons gesucht.

Die Gewerkschaft Ver.di ruft im September zu einem Boykott auf, verteilt Postkarten. Mit Luftballons und Flugblättern wird in Supermärkten auf den Fall aufmerksam gemacht. Gleichzeitig wehrt sich der Betriebsrat von Kaiser's gegen die Aktionen. Er kritisiert, dass im Betrieb protestiert wird, ohne die dort arbeitenden Ver.di-Mitglieder einzubeziehen. Die fürchten um ihre Arbeitsplätze. Die Gewerkschaft kämpft mit sich selbst.

Das Verfahren geht in die nächste Instanz: zum Landesarbeitsgericht Berlin. Im Februar wird dort verhandelt - während die Unterstützer vor dem Gericht demonstrieren. Als Emmely den Gerichtsraum betritt, feiert sie das Publikum mit Applaus. In diesem Moment wird Nowak nach eigenen Worten klar, dass dieser Einzelfall für mehr steht. "Wir kennen ähnliche Fälle", sagt der Gewerkschafter. Meistens würden die Betroffenen eine normale Kündigung aushandeln und auf den Prozess verzichten. Emmely aber kämpft. Und ihre Unterstützer kämpfen für Emmely, protestieren vor der Kaiser's-Filiale in Hohenschönhausen, machen die Pressearbeit.

Wie gerecht kann eine Gesellschaft sein?

Der Fall ist inzwischen über die Grenzen Deutschlands bekannt, er trifft den Zeitgeist. Das Solidaritätskomitee hofft, dass das gesellschaftliche Echo in das Urteil mit einfließt. Aber das Landgericht entscheidet wieder gegen Emmely und damit ganz im Einklag mit der ständigen Rechtsprechung. Kassierer müssten "absolute Korrektheit" zeigen, das Unternehmen sich absolut auf sie verlassen können. Die lange Betriebszugehörigkeit und das Alter der Klägerin zählen weniger. Kündigung rechtens, Revision ausgeschlossen.

Dieses Mal sind die Reaktionen noch empörter: "Ein barbarisches Urteil von asozialer Qualität", poltert Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) in einem Zeitungsinterview. Für seine ungewöhnlich scharfe Kritik an der dritten Gewalt entschuldigt sich der Politiker später, er spricht nur noch von einer "unverhältnismäßige Reaktion auf ein unverhältnismäßiges Urteil".

Benedikt Hopmann, der Anwalt von Emmely, legt Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt ein. Seit der ersten Instanz vertritt er sie; er hat das Mandat übernommen, weil die zunächst beauftragte Anwältin nicht in die Öffentlichkeit wollte, Emmely gar zu einem Kompromiss riet. Hopmann ist spezialisiert auf Arbeitsrecht, berät vorwiegend Betriebsräte. Der 59-Jährige ist sich sicher: "Emmely wurde Unrecht getan."

Ver.di trägt die Kosten für den Rechtsstreit

Deshalb will Hopmann weiterkämpfen - bis zum Verfassungsgericht werde man gehen, wenn nötig bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, sagt er, den die "taz" den "Anwalt der Schwachen" nennt. Ein guter Anwalt für Arbeitsrecht wisse, dass Rechtsfragen Machtfragen seien.

Deshalb freut er sich nun über die überraschende Entscheidung des Bundesarbeitsgericht am Dienstag. Das Erfurter Gericht hat eine Revision zugelassen, Emmelys Nichtzulassungsbeschwerde ist erfolgreich. "Von 100 Anträgen gehen nicht mal fünf durch", sagt Hopmann. Die Wiederaufnahme sei "eine Freude". Zumal man davon ausgehen könne, dass sich die Richter der vorherigen Instanzen angesichts des großen Medieninteresses um ein revisionsfestes Urteil bemüht hätten.

Was Hopmann nicht sagt: Die Richter wollen den Fall lediglich wegen möglicher Falschaussagen neu aufrollen. Verhandelt werden kann nur, ob diese bei der Urteilsfindung eine Rolle gespielt haben könnten. Das hat wenig mit 1,30 Euro und dem Kampf für eine gerechtere Welt zu tun.

Ver.di trägt die Kosten für den weiteren Rechtsstreit. Man könne nicht so tun, als ob die Kündigung nichts mit Emmelys Engagement zu tun habe, teilt die Gewerkschaft mit. Hier solle an einer aktiven Gewerkschafterin ein Exempel statuiert werden - das sei "ein Skandal".

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