Gehälter von Frauen Das Ausbildungssystem ist das Problem

Frauen verdienen durchschnittlich ein Fünftel weniger als Männer. Experten sagen: Die Gehaltslücke schließt sich, wenn mehr Frauen typische "Männerberufe" übernehmen. Es ist aber anders.

Für die Gleichberechtigung steht sie früh auf. Um vier Uhr morgens klingelt der Wecker, um 5.30 Uhr streift sich Ivonne Linné im Betriebshof den orangefarbenen Overall über, um 6 Uhr beginnt sie die Tour: Seit Anfang März arbeitet die 24-Jährige bei der Hamburger Müllabfuhr - als eine der ersten Frauen.

Die Kollegen, erzählt Linné, hätten anfangs neugierig gefragt, wie sie zu diesem Job gekommen sei. Über ihren Vater, sagte sie. Der ist auch bei der Müllabfuhr. Ein paar Tage später fragten die Männer in ihrer Kolonne, ob sie immer noch bleiben wolle. Auf jeden Fall, sagte sie. Damit hatte es sich.

Linné ist nicht besonders kräftig gebaut. "Aber man kann das auch als Frau schaffen", sagt sie. Tonnen heben und entleeren - das ist eher eine Frage der Technik als der Körperkraft. Zumindest ist es keine Frage des Geschlechts.

Müllfrau bei Hamburger Stadtreinigung

Müllfrau bei Hamburger Stadtreinigung

Foto: Markus Scholz/ picture alliance / dpa

In der Berufswelt klafft ein gewaltiger Unterschied, sowohl bei der Jobwahl als auch beim Geld. Lobbygruppen wie der Verein "Business and Professional Women" wollen darauf Samstag deutschlandweit aufmerksam machen.

21 Prozent verdienten Frauen 2015 weniger als Männer, wenn man Teilzeit, schlechter bezahlte Berufe und anderes nicht herausrechnet. Im Jahr davor waren es rund 22 Prozent. In Kalendereinheiten umgerechnet heißt das: Bis zum 19. März arbeiten sie umsonst, während Männer bereits ab Jahresbeginn bezahlt werden. Deshalb wird der 19. März als sogenannter Equal Pay Day bezeichnet.

Was bedeutet...

left hpcpleftcolumn Der Equal Pay Day markiert im Kalender symbolisch den geschlechtsspezifischen Entgeltunterschied, der laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 21 Prozent in Deutschland betrug. Davor waren es rund 21,6 Prozent. Umgerechnet ergaben sich daraus 79 Tage, die Frauen zum Jahresanfang umsonst arbeiten müssen: 21,6 Prozent von 365 Tagen = 79 Tage. 2016 findet der Equal Pay Day am 19. März statt.

Es gibt viele Gründe für den Verdienstabstand. Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit und steigen seltener in Führungspositionen auf. Frauen haben zudem andere Jobs als Männer, sie arbeiten häufiger in den schlechter entlohnten Bereichen. Es bleibt ein Unterschied von rund sieben Prozent übrig, wenn man diese Faktoren herausrechnet.

Ein Rezept, das im Kampf gegen die Geschlechterungleichheit genannt wird, lautet daher: Es sollen mehr Frauen in Männerberufen arbeiten. Deutschland brauche mehr Aufsichtsrätinnen, Managerinnen, Professorinnen. Aber es geht auch um ganz andere Jobs.

Mehr Frauen in Technikberufe - und in die Müllabfuhr

Ivonne Linné hat eine Ausbildung in der Gebäudereinigung gemacht, einem Beruf mit hohem Frauenanteil - und niedrigem Gehalt. Viele Firmen, bei denen sie sich nach ihrer Ausbildung vorgestellt hatte, boten allenfalls den Mindestlohn oder knapp mehr. Also ging sie zur Stadtreinigung Hamburg. Öffentlicher Dienst. Tarifvertrag. Männerdomäne.

Die Stadtreinigung Hamburg öffnet sich seit einiger Zeit bewusst für Frauen. Sie hat separate Umkleiden und Duschen für Frauen gebaut, im Unternehmen für einen größeren Frauenanteil geworben. Im vergangenen Jahr trat die erste Entsorgerin ihren Dienst an.

Ivonne Linnés Vater hörte davon und erzählte es seiner Tochter. Als sie sich bewarb, war sie längst nicht mehr die Einzige. Die Stadtreinigung verzeichnet mehr und mehr Bewerbungen von Frauen.

Nicht nur die Hamburger Müllabfuhr bemüht sich um mehr weibliche Mitarbeiterinnen. Der sogenannte Girl's Day , an dem Schülerinnen in alle möglichen Berufe hineinschnuppern, soll künftige weibliche Arbeitskräfte auch für Jobs wie Mechatronikerin oder Schornsteinfegerin begeistern. Auch das Bundesbildungsministerium schaltete Werbekampagnen für Frauen in Technikberufen .

Viel gebracht hat all das bisher nicht. Eine Berechnung des Forschungsinstituts IAB  zeigt: Mitte der Siebzigerjahre hätten 66 Prozent der Beschäftigten in Deutschland den Job wechseln müssen, damit in allen Berufen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis geherrscht hätte. Heute seien es immer noch 58 Prozent. Warum ist das eigentlich so?

Duale Berufsbildung fördert Geschlechterungleichheit

Ein Grund für die geschlechterspezifische Starrheit sei die ansonsten so viel gelobte duale Berufsausbildung, sagt die Arbeitsmarktsoziologin Corinna Kleinert von der Uni Bamberg. Das Berufsbildungssystem schafft zwar relativ glatte Übergänge von der Schule in den Job, führt junge Menschen aber auch zielgenau in typische Männer- und Frauenberufe. Zwei Faktoren spielen eine zentrale Rolle:

  • Die Entscheidung für einen Beruf fällt früh in Leben; entsprechend stark orientieren sich viele Jugendliche an Geschlechterstereotypen. "Im Alter von 25 ist es einfacher, eine ungewöhnliche Berufswahl zu treffen als mit 15 oder 16 Jahren", sagt Arbeitsmarktforscherin Kleinert.

  • Die Betriebe bestimmen mit, wer welche Tätigkeit lernt - und lassen sich dabei nicht immer von rationalen Kriterien leiten. Eine Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung  zeigt: Frauen haben eher schlechtere Chancen auf einen Lehrvertrag, wenn sie sich in einem typischen Männerberuf bewerben - und gute, wenn sie einem Frauenmetier treu bleiben.

Gekippt ist das Geschlechterverhältnis nur in wenigen Bereichen - etwa beim Medizinstudium. Mehr als 60 Prozent der Studienanfänger sind mittlerweile weiblich . Warum haben Frauen hier aufgeholt, in anderen Bereichen aber kaum? Forscherin Kleinert sieht zwei Gründe: Die Auswahl zum Studium erfolgt streng nach Noten - Geschlechterklischees im Kopf des Professors spielen keine Rolle. Dass Frauen in der Schule aufgeholt haben, setzt sich somit an den Universitäten fort. "Und der Arztberuf widerspricht dem herrschenden Frauenbild nicht", sagt Kleinert. Wer früher Krankenpflegerin geworden wäre, wird heute eben Ärztin.

Der Durchschnittslohn sinkt, wenn der Frauenanteil steigt

Lässt sich das Gehaltsgefälle also durch mehr Gleichberechtigung im Job aufheben? Forscher bezweifeln das. Studien aus den USA zeigen, dass die Löhne sinken, wenn der Frauenanteil in einem Job steigt. Wo viele Frauen beschäftigt sind, meinen Arbeitgeber offenbar, weniger zahlen zu müssen.

Die Arbeitsmarktforscherin Kleinert hat 2015 mit zwei Co-Autorinnen untersucht , ob dies auch in Deutschland so ist. Das Ergebnis ist ernüchternd: Im Durchschnitt sanken die Löhne, je mehr Frauen in einen Berufszweig kamen - und zwar vor allem, weil Frauen systematisch weniger verdienten. Sie nehmen ihren Einkommensnachteil mit in die Männerberufe.

Das zeigt sich übrigens auch an den Medizinern: Der Frauenanteil in der Ärzteschaft ist zwar gestiegen, dennoch verdienen Männer gut ein Viertel mehr . Eine mögliche Erklärung: Steigt der Frauenanteil in einem Berufszweig, ändert sich auch die Arbeitsteilung. Die Männer wandern in die besser bezahlten Gebiete ab, werden also Kardiologe, während die Frauen Allgemeinmedizin machen. "Die Lohnungleichheit lässt sich nur bedingt über die Berufswahl bekämpfen", sagt Kleinert.

Bei der Hamburger Stadtreinigung, versichert man, gebe es keine Lohnkluft: Ob Müllmann oder Müllfrau - alle würden nach Tarif bezahlt. Im April fängt die fünfte Müllfrau an - unter 900 Männern.

Zusammengefasst: Pünktlich zum sogenannten Equal Pay Day rückt das Lohngefälle zwischen Frauen und Männern in den Fokus. Experten argumentieren oft, dass Frauen öfter Männerberufe annehmen sollten - dann würde sich die Lücke bald schließen. Tatsächlich sinkt der Durchschnittslohn, sobald der Anteil von Frauen in einem Berufsstand steigt.

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