Immobilien »ES WIRD BALD KRACHEN«
Ohne Hast werkeln die Handwerker am Innenausbau des »Neuen Dovenhofs«, eines 25 000-Quadratmeter-Komplexes in der Hamburger City. Der Bauherr, der Frankfurter Immobilienfonds Degi, drängt nicht zur Eile: Mieter sind ohnehin kaum zu finden.
Es geht derzeit gemütlich zu bei der Fertigstellung von Bürohäusern. »Die Bauten werden über ein paar Monate gestreckt«, beobachtete Michael Fritz, Hamburg-Chef des britischen Großmaklers Jones Lang Wootton. »Und viele, die in diesem Jahr bauen wollten, fangen erst Ende 1995 damit an.«
In Hamburg stehen derzeit rund 350 000 Quadratmeter Bürofläche leer, in Berlin über 100 000, in Frankfurt 250 000. Während überall Wohnungen fehlen, gibt es Büros, Supermärkte und Lagerhallen im Überfluß.
In der Wiedervereinigungs-Begeisterung wurden in den Ballungszentren, vor allem in Berlin, Hamburg und Frankfurt, Bürohäuser hochgezogen. In Berliner Spitzenlagen wie Unter den Linden schossen die Grundstückspreise in einem Jahr von 12 000 auf 25 000 Mark pro Quadratmeter hoch. Für Büros in exquisiter Lage, so glaubten Spekulanten, würden sie Mieten von 100 bis 120 Mark pro Quadratmeter kassieren können.
Die Spitzenmieten liegen in Berlin bei 65 Mark. Büros in bester Lage sind derzeit auch für die Hälfte zu haben.
Zwei Jahre zuvor, auf dem Höhepunkt des Booms, stiegen nach einer Erhebung des Rings Deutscher Makler die Büromieten in den Großstädten um durchschnittlich 15 Prozent. Mit der Rezession fielen die Preise.
Fast überall haben sich die Bauträger und Spekulanten überhoben. Büros in der Nähe des neuen Münchner Flughafens stehen leer, im Hamburger Chilehaus ist nach der Renovierung von den 30 000 Quadratmetern fast ein Drittel nicht vermietet, in Stuttgart ist die Nachfrage gegen null gesunken. »Wenn Sie neu vermieten, haben Sie ein Problem«, warnt der Hamburger Unternehmensberater Torsten Angermann Investoren.
Auch in den neuen Ländern, wo Büroräume immer noch knapp sind, geht die Rechnung der Bauherren selten auf. Angermann kennt Investoren, die für ihre Büros in Leipzig eine Miete von 70 Mark pro Quadratmeter kalkuliert hatten. »Die können froh sein«, sagt er, »wenn sie jetzt 40 Mark kriegen.«
Dabei ist in Ostdeutschland die Nachfrage gewaltig. Allein das Leipziger Büro der Maklergesellschaft Müller International hat Mietgesuche für 200 000 Quadratmeter registriert. »Allerdings«, meldete die Niederlassung ihrer Frankfurter Zentrale, »sind die zukünftigen Nutzer heute wesentlich kritischer, was Ausstattung und Preis der Büroflächen betrifft.«
Die Zeiten, in denen die Eigentümer ostdeutscher Immobilien Wuchermieten durchsetzen konnten, sind vorbei. Im Westen mußten die Großvermieter ihre Forderungen merklich reduzieren, oft um 20 bis 30 Prozent.
Im Mai vergangenen Jahres verlangte der japanische Immobilienkonzern Kowa für den aufwendig sanierten 18 000-Quadratmeter-Komplex »Fürstenhof« im Frankfurter Bankenviertel 90 Mark pro Quadratmeter. Auch als die Japaner auf 85 Mark heruntergingen, fand sich kein Mieter.
Fast anderthalb Jahre stand der Bau leer. Vor einem Monat zog dort die Dresdner Bank ein - nachdem Kowa die Miete auf unter 70 Mark gesenkt hatte.
In der Frankfurter Kaiserstraße, einer 1b-Lage, mußten Rechtsanwälte und Steuerberater noch vor ein bis zwei Jahren 35 bis 40 Mark pro Quadratmeter zahlen. Jetzt werden dort Büros für 20 Mark vermietet.
Mitten in der schlimmsten Rezession der Nachkriegsgeschichte wurden viele Gebäude bezugsfertig, die im Boom geplant worden waren. Das Angebot an Büroraum stieg, die Nachfrage stagnierte - die Mieten sackten ab.
Die Firmen müssen mehr denn je sparen; vielen sind die City-Mieten auch jetzt noch viel zu hoch. Sie flüchten aus der Stadt oder zumindest aus den teuren Lagen.
In Frankfurt, wo bis zur Wiedervereinigung die mit Abstand höchsten Mieten verlangt wurden, gab der Gesamtverband der Textilindustrie sein schönes Quartier am Mainufer auf und zog ins billigere Eschborn, der Campus Verlag siedelte vom Westend an den Stadtrand über, die BHF-Bank verzichtet auf eine feine Adresse und zieht demnächst mit 750 Mitarbeitern ins benachbarte Offenbach.
Kreditinstitute, die aus Prestigegründen im teuren Bankenviertel bleiben, verlagern ganze Abteilungen in preiswertere Gegenden. Der DIT etwa, die Fondsgesellschaft der Dresdner Bank, wird die Verwaltung seiner 600 000 Kunden-Depots von Frankfurt nach Hof an der Saale legen. In der oberfränkischen Provinz, dicht an der ehemaligen Zonengrenze, sind nicht nur die Mieten erheblich niedriger, sondern auch die Gehälter.
Im rauher gewordenen Klima nehmen viele Einzelhandelsfirmen überhöhte Preise nicht mehr hin. Im vergangenen Jahr waren in Berliner Spitzenlagen die Mieten bis auf 400 Mark pro Quadratmeter geklettert. In diesem Jahr rutschten sie auf 280 Mark ab.
Aber auch mit solchen Preisen ruiniert sich manche Firma. Der Hamburger Textilhändler Jean Pascal, ein kerngesundes Unternehmen mit weit über hundert Filialen im Bundesgebiet, hat sich als Obergrenze 100 Mark pro Quadratmeter gesetzt. Vorstandsmitglied Martin Ebeling: »Etliche Verkaufsflächen werden kurzfristig wieder auf den Markt kommen, weil sich die Mieter übernommen haben.«
Makler, die ständig neue Spitzenmieten austrommelten, hatten den Markt angeheizt. Tatsächlich läßt eine Spitzenmiete keine Rückschlüsse auf das Mietniveau zu. Spitzenmieten werden gern verkündet, weil sich damit die Preise und Provisionen hochtreiben lassen.
Den offiziellen Mietangaben der Makler, sagen Immobilienprofis, sei nicht zu trauen: Die Preise lägen immer etwas oberhalb der Realität.
Makler und Verwalter arbeiten mit allen Tricks, um die Mieten optisch hochzuhalten. Sie machen heimlich Zugeständnisse und präsentieren dann einen Mietvertrag: Da ist es ihnen gelungen, trotz allen Krisengeredes Büroflächen für 62,50 Mark zu vermieten - netto, ohne Nebenkosten.
Der ehrliche Preis liegt weit niedriger. Denn in einem Zusatzvertrag übernimmt der Eigentümer Kosten, die eigentlich der Mieter zahlen müßte. So trägt beispielsweise der Eigentümer die Grundsteuer, kommt für die Reinigung auf oder spendiert die Büro-Einrichtung. Wichtig ist nur, daß wieder einmal eine Spitzenmiete erreicht wird.
Es sei schierer Unfug, empört sich der Berliner Makler Alexander Rainoff, wenn Großmakler dauernd mit Supermieten von 65 Mark handeln würden. Er wie seine Kollegen vom Verband Deutscher Makler kommen für Berlin auf »Mittelwerte« von 25 Mark.
Die Düsseldorfer Maklerfirma Aengevelt stellte fest, »daß die undifferenzierte Betrachtung der Spitzenmieten zu ganz erheblichen Fehleinschätzungen geführt hat«.
Vertan haben sich da Investoren, die auf Leipziger Spitzenmieten von 70 bis 80 Mark hereingefallen sind; verrechnet haben sich Bauherren in Frankfurt, als sie hörten, daß für den Messeturm Mieten »bis zu 92 Mark« gefordert wurden. Die wurden nie gezahlt.
Vielen Bauträgern und Spekulanten, die auf einen immerwährenden Boom gesetzt hatten, bricht nun die Kalkulationsgrundlage weg. »Die haben sich reihenweise übernommen«, meint Angermann, der davon überzeugt ist, »daß es bald kracht«.
Ähnlich sieht auch sein Kollege Fritz die Lage: »Es gibt jetzt ernsthafte Gespräche zwischen Banken und Investoren.« Y
»Wenn Sie neu vermieten, haben Sie ein Problem«