EU-Bankenunion Ein morsches Konstrukt

EU-Bankenunion: Ein morsches Konstrukt
Foto: Olivier Hoslet/ dpaJuristen sind oft scharfsinnige Menschen, aber sie leben manchmal gefährlich. Denn sie neigen bisweilen dazu, vor lauter Rechthaberei nicht mehr zu erkennen, was eigentlich richtig ist.
Als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, ausgebildeter Volljurist, am Mittwochabend kurz vor Mitternacht in Brüssel eine Einigung zur so lange verhandelten EU-Bankenunion verkündete, ertappten sich Beobachter bei dem Gedanken, dass er einer dieser Juristen sein könnte.
Denn auf dem Papier haben Schäuble und seine Unterhändler in sehr vielen Punkt recht behalten. Sie haben geschafft, dass im Jahr 2016 der sogenannte einheitliche Abwicklungsmechanismus neben die bereits beschlossene EU-Bankenaufsicht treten wird. Er soll dafür sorgen, dass marode Banken der Euro-Zone künftig abgewickelt werden können, ohne dass deutsche Steuerzahler etwa für Schuldenberge italienischer oder spanischer Institute aufkommen müssen.
Sie haben auch die Macht der Europäischen Kommission gestutzt, die sich gerne zur obersten Abwicklungsbehörde aufgeschwungen hätte. Nun darf sie zwar formal mitentscheiden, doch nur in enger Abstimmung mit nationalen Ministern.
Damit nicht genug: Die Berliner Verhandler haben zudem einen komplizierten neuen zwischenstaatlichen Vertrag als Rechtsgrundlage durchgesetzt, auszuhandeln bis Anfang 2014 - und wasserdicht genug, um möglichen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht standzuhalten.
Und: Sie haben eine strenge Haftungskaskade etabliert, nach der zunächst Bankenaktionäre, Anleihebesitzer und Sparer mit Vermögen über 100.000 Euro das Risiko tragen. Die Banken müssen zudem binnen zehn Jahren rund 55 Milliarden Euro in einen Notfallfonds einzahlen. Bis der gefüllt ist, soll neben nationalen Absicherungen notfalls auch der europäische Rettungsfonds ESM Gelder bereitstellen. Beantragen muss dies aber der Heimatstaat der jeweiligen Bank und auch dafür gerade stehen. Frühestens 2026 soll sich dies ändern.
Denn das war Berlin besonders wichtig: zu verhindern, dass der milliardenschwere ESM als Rekapitalisierungstopf für überschuldete europäische Banken herhalten soll. Schäuble stand mit dieser Haltung allein gegen 16 Kollegen, berichten Brüsseler Insider - "höchst ungewöhnlich, normalerweise teilen wenigstens einige Länder Berlins Position".
Dies durchzukämpfen, ist auf dem Papier ein riesiger Sieg für den Finanzminister, der ja zwischendurch während der deutschen Koalitionsverhandlungen auch noch um seinen Job kämpfen musste.
Aber kann Deutschland und Europa diese Einigung wirklich recht sein? Schäuble hat selbst davon gesprochen, der Kompromiss forme eine Union aus Holz, nicht aus Stahl, weil keine EU-Vertragsänderung erfolge. Doch hat er bedacht, wie morsch das Konstrukt an gleich mehreren Stellen ist?
- Kompliziert: Gerät eine Bank in echte Schwierigkeiten, soll künftig ein Gremium aus nationalen Bankaufsehern und EU-Vertretern über ihre Abwicklung entscheiden. Die Europäische Kommission kann zwar ein Veto einlegen. In diesem Fall haben aber die Finanzminister das letzte Wort. Klingt kompliziert? Ist es auch. Die Financial Times rechnet kühl vor: "Insgesamt könnte der Prozess neun Komitees befassen und 143 Stimmen nötig machen." Das erfordere viel Koordininationsaufwand an einem einzigen Wochenende, an dem eine Krisenbank vielleicht abgewickelt werden müsse.
- Unterfinanziert: Bis zum Jahr 2026 soll der neue Abwicklungsfonds von den Banken nach und nach mit insgesamt 55 Milliarden Euro befüllt werden. Bei einer tiefen Finanzkrise wäre diese Summe aber schnell aufgebraucht, allein die Rettung einer mittelgroßen irischen Bank verschlang vor Jahren mehr als die Hälfte dieses Betrags. Ein Arrangement mit unzureichender Finanzierung könne die Märkte nicht überzeugen, warnte am Mittwoch der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Vitor Constâncio.
- National: Nicht nur bestehende Bankenaltlasten, auch neue Belastungen sollen bis 2026 also vorwiegend nationale Aufgabe bleiben. Die Bankenunion bleibt vorerst eine nationale Angelegenheit, das Wort "Union" klingt erst einmal ironisch.
Natürlich gibt es Raum für Nachbesserungen, etwa bei der Abwicklungskoordination und der Finanzierung. Doch bleiben diese aus, könnten die Schutzmauern, auf die Berlin nun so stolz ist, nicht mehr viel wert sein. Wer soll etwa einspringen, sollte in fünf Jahren eine neue große Bankenkrise drohen, die nationale Mittel übersteigt? Bis dahin ist keine echte gemeinsame europäische Haftung etabliert. Die EU müsse sich aber für den "day after tomorrow" wappnen, den Tag danach, schreibt der "Economist".
Gelingt das nicht, könnte Schäubles Triumph kostspielig werden. Denn was ist noch teurer als eine Krise ohne Bankenunion? Eine Krise, vor der eine mangelhaft konstruierte Bankenunion trügerische Sicherheit versprach.