EU-Rüffel Deutschland wird wieder Defizitsünder
Brüssel - Deutschland kämpft mit den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise: Die Neuverschuldung werde 2009 3,9 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt erreichen und im kommenden Jahr sogar 5,9 Prozent, teilte die Kommission am Montag in ihrem Frühjahrskonjunkturgutachten mit.

Kanzlerin Merkel, Finanzminister Steinbrück: Deutschland macht mehr Schulden
Foto: DDPErlaubt ist nach dem EU-Stabilitätspakt eine maximale Neuverschuldung von höchstens drei Prozent. Die Bundesregierung muss damit die Einleitung eines Defizitverfahrens befürchten.
Grund für die Schuldenmisere ist die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise: Die Fachleute des Bundesfinanzministeriums haben in einer internen Analyse eine düstere Prognose für die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden gestellt. Als Folge der Wirtschaftskrise rechnen sie nach Informationen des SPIEGEL mit Steuerausfällen von mehr als 300 Milliarden Euro bis 2013. Danach muss der Fiskus in diesem Jahr auf knapp 25 Milliarden Euro verzichten, rund die Hälfte davon fällt beim Bund an.
Spätestens bis Anfang Juni will Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) deshalb einen Nachtragshaushalt mit einem Volumen von bis zu 15 Milliarden Euro vorlegen. Die Nettokreditaufnahme des Bundes summiert sich damit 2009 auf rund 50 Milliarden Euro, für das nächste Jahr hält Steinbrück eine Neuverschuldung von bis zu 80 Milliarden Euro für erforderlich. In dieser Rechnung sind in beiden Jahren noch nicht die Belastungen aus einem Teil des zweiten Konjunkturprogrammes (siehe Grafik unten) und dem Bankenrettungspaket berücksichtigt, die in zwei Schattenhaushalten aufgefangen werden.
Nicht nur Deutschland gerät in den Verschuldungssog: Nur noch drei Länder des Euro-Gebiets - Finnland, Luxemburg und Zypern - halten nach Brüsseler Einschätzung im laufenden Jahr die Maastrichter Defizitmarke ein. Wegen der Milliardenausgaben für Konjunkturprogramme und Banken-Rettungspakete werden voraussichtlich 20 der 27 EU-Staaten den Stabilitätspakt verletzen. Die Neuverschuldung werde 2009 durchschnittlich 6 Prozent des BIP erreichen, 2010 sogar 7,3 Prozent, schreibt die Kommission.
EU warnt vor verschärfter Rezession
Die Rezession in Europa ist dem Gutachten zufolge schlimmer als zunächst angenommen. Die Wirtschaft der gesamten EU und der 16 Euro-Länder wird im laufenden Jahr um vier Prozent schrumpfen, das ist doppelt so viel wie bisher erwartet. Die Arbeitslosigkeit dürfte zugleich deutlich steigen. Europaweit rechnet die Brüsseler Behörde in diesem und im kommenden Jahr mit dem Verlust von 8,5 Millionen Jobs.
Anders als bisher angenommen könnte die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg laut Kommission auch im kommenden Jahr noch andauern. 2010 rechnet die Kommission in der EU und in den Eurostaaten mit einem BIP-Minus von 0,1 Prozent. Bisher hatte Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia auf ein leichtes Wachstum gesetzt.
In Deutschland rechnet die Kommission in diesem Jahr mit einem deutlichen Minus von 5,4 Prozent. Die Bundesregierung geht sogar von minus sechs Prozent aus. Für das kommende Jahr prognostiziert Brüssel dagegen ein leichtes Wachstum von 0,3 Prozent. Auch Berlin geht bisher von 0,5 Prozent Wachstum aus.
IW-Forscher rechnen mit langer Durststrecke
Etwas optimistischer als EU-Kommission und Bundesregierung zeigt sich das Institut der deutschen Wirtschaft. Die Kölner IW-Forscher erwarten ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts um 4,5 Prozent, wie aus der am Montag veröffentlichten Frühjahrsprognose hervorgeht.
Dennoch sind die Aussichten düster: IW-Direktor Michael Hüther sagte, zwar werde in diesem Jahr die konjunkturelle Tiefebene erreicht. Sie werde allerdings nicht mit kräftigem Marschtempo durchschritten, geschweige denn, dass es bis Ende 2010 zu einem nennenswerten Aufstieg komme. "Wir erreichen die Talsohle, aber keinen nachhaltigen Wendepunkt nach oben."
Die Krise spiegelt sich auch in der IW-Konjunkturumfrage wider, an der mehr als 1900 Unternehmen teilnahmen. Im Westen Deutschlands gehen zwei Drittel der Firmen von einer rückläufigen Produktion im Jahr 2009 aus. Nur ein Zehntel erwarte ein Plus. Im Osten seien 53 Prozent der Betriebe skeptisch und lediglich 14 Prozent zuversichtlich.