EU-Vorstoß im Energiemarkt Deutsche Konzernchefs sprechen von Enteignung

Enteignung, bürokratisches Monster, Gefährdung der Versorgung - Argumente gegen die Initiative der EU-Kommission für mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt fallen deutschen Politikern und Konzernchefs gleich reihenweise ein. Mit Inbrunst setzen sie sich gegen den Machtverlust zur Wehr.

Brüssel/Berlin –Das Lob sprach Michael Glos (CSU) aus rein diplomatischen Gründen aus. Die Initiative sei zu befürworten, sagte der Wirtschaftsminister – um dann vernichtende Kritik nachzuschieben. "Das Paket ist insgesamt zu bürokratisch und führt zu einem hohen regulatorischen Aufwand", sagte er heute in Berlin. Die geplante Entflechtung der Stromkonzerne sei geeignet, die hohe Qualität und Sicherheit der deutschen Stromnetze zu gefährden. Zudem sei dieser Ansatz bei staatlichen Energieversorgungsunternehmen praktisch wirkungslos, kritisierte der CSU-Politiker.

Der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) führte noch grundsätzlichere Bedenken ins Feld. "Der Vorschlag aus Brüssel packt das Problem nicht an der Wurzel", sagte Rhiel der "Fuldaer Zeitung". Das Grundproblem sei der fehlende Wettbewerb bei der Stromerzeugung selbst. "Vier Konzerne kontrollieren 80 Prozent des Marktes und können maßlos an der Preisspirale drehen", sagte Rhiel. Notfalls müsse das Bundeskartellamt die Macht bekommen, die vier großen Konzerne zum Verkauf von Kraftwerken zu zwingen.

So weit aber will selbst EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes nicht gehen. Sie will lediglich die Unternehmen zwingen, die Verwaltung ihrer Leitungen einem unabhängigen Treuhänder überlassen. Zur Kontrolle der geplanten Reformen schlägt sie eine Stärkung der Energie-Regulierungsbehörden in den einzelnen EU-Staaten vor. Zudem soll eine europäische "Agentur für die Kooperation der Energie-Regulierungsbehörden" eingerichtet werden. Gerade in Deutschland, "wo der Markt von wenigen integrierten Konzernen beherrscht wird", sei ein schärferer Wettbewerb erforderlich, begründete Kroes ihre Initiative. "Den Preis für den fehlenden Wettbewerb zahlen die Verbraucher".

Bislang nutzten die Energiekonzerne "ihre Kontrolle über die Stromkabel und Pipelines, um ihre Wettbewerber vom Markt fernzuhalten", fügte Kroes hinzu. Eine Trennung der Energie-Erzeugung vom Netz dagegen werde Investitionen in die Leitungen begünstigen und damit auch zu einer größeren Versorgungssicherheit beitragen.

Zentralismus und Bürokratie

In einigen EU-Staaten wie etwa Großbritannien sind Produktion und Transport von Energie bereits getrennt. Kroes rechnete vor, dass die Strompreise vor Steuern für Endverbraucher in Deutschland deutlich höher lägen als in Großbritannien. "Deutsche Verbraucher zahlen 31 Prozent mehr", sagte Kroes.

Die deutsche Energiebranche bestreitet das: "Der Vergleich mit Ländern, die diesen Weg bereits gegangen sind, zeigt: Die Abtrennung der Netze führt nicht zu mehr Wettbewerb, führt nicht zu höheren Investitionen in die Netze, führt nicht zu niedrigeren Preisen", sagte der Chef von Deutschlands Marktführer E.on  , Wulf Bernotat. Auch Berthold Bonekamp, Energie-Chef des Essener Versorgers RWE  , der Nummer zwei der Branche, äußerte deutliche Kritik. "Es muss schon sehr nachdenklich machen, wenn die Politik von Unternehmen Investitionen in Netze fordert und gleichzeitig deren Enteignung anstrebt".

Der Vorstandschef des Energieversorgers EnBW  , Utz Claassen, sagte, die Vorschläge würden weit über das Ziel hinausschießen. "Während Brüssel mehr Wettbewerb einfordert, soll durch die Hintertür faktisch staatliche Marktkontrolle eingeführt werden."

Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) schloss sich dem Argument der Politik an. Die Vorschläge führten zu mehr Zentralismus und Bürokratie und seien ungeeignet, "um den Wettbewerb und die Versorgungssicherheit in Europa weiter zu verbessern". Die Branche selbst will die Märkte in Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten enger verzahnen. Nach Brancheneinschätzung wollen die Stromkonzerne damit der Kommission den Wind aus den Segeln nehmen.

Applaus von Verbraucherschützern und Öko-Stromern

Zustimmung erhielt die EU-Kommission dagegen von Verbraucherschützern. Der Bund der Energieverbraucher erklärte, eine Entflechtung des Energiemarkts sei im Sinne des Wettbewerbs und der Verbraucher "zwingend". Verbandspräsident Aribert Peters forderte im Deutschlandradio Kultur, die Bundesregierung müsse ihren Widerstand gegen die "vernünftigen Lösungsvorschläge" aus Brüssel aufgeben. Auch die Anbieter von Öko-Strom begrüßten die Vorschläge aus Brüssel. Die Energiekonzerne hätten es nicht vermocht, einen freien Zugang zum Netz und faire Wettbewerbspreise zu erreichen. "Das EU- Regulierungspaket ist nun die Quittung dafür", sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands Neuer Energieanbieter, Robert Busch. Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, die Entflechtung der Energiekonzerne sei einer der Kernpunkte, um die Macht der Versorger, "die sich wie Besatzungsmächte gerieren, zu brechen".

Netzentgelte, Großhandelspreise und Vertrieb machen rund 60 Prozent des Strompreises aus, der Rest entfällt auf Steuern und Abgaben. In Deutschland beherrschen E.on, RWE, EnBW und Vattenfall über 80 Prozent der Stromerzeugung und alle Fernleitungen.

mik/AP/Reuters/dpa-AFX/AFP

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